Unter dem Titel „Youcat“ behandelt der neue Jugendkatechismus „in jugendgemäßer Sprache das Ganze des katholischen Glaubens, wie er im ‚Katechismus der Katholischen Kirche‘ (KKK von 1997) vorgelegt wurde“.
Zunächst ist es erfreulich, wenn Youcat Naturwissenschaft und Glauben im Sinne eines „sowohl – als auch“ für vereinbar hält. Wenn es aber ins Detail geht, fällt Youcat an durchaus nicht unwichtigen Stellen zurück in eine konfliktträchtige „entweder – oder“-Sprache. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Youcat die große Vorlage des KKK nicht nur zusammengefasst, sondern vor dem Hintergrund der jüngsten Herausforderungen reformuliert hätte. Dass dies unterbleibt, schlimmer noch: dass alte Konflikte (unnötigerweise) wiederbelebt werden – statt sie dialogisch zu reformulieren –, ist eine verpasste Chance im Dialog mit den Naturwissenschaften. Dies wird im folgenden entfaltet.
Vorbemerkung
Inwieweit der Anspruch „jugendgemäßer Sprache“ und Orientierung an den Fragen, die Jugendliche existenziell betreffen, eingelöst wurde, sei an dieser Stelle nur vorsichtig angefragt. Während „Youcat“ an die bei Jugendlichen sehr beliebte Internetplattform Youtube erinnert und Papst Benedikt im Vorwort ermuntert, sich im Internet auszutauschen (S. 10), bleibt „Internet“ ansonsten ein Fremdwort. Unter dem Stichwort „soziale Kommunikationsmittel“ (S. 250) wird das Internet zwar erwähnt, aber unterschiedslos in einer Reihe mit den klassischen Broadcastmedien wie Presse, Film, Radio, Fernsehen – sämtlich an Top-down-Kommunikation und der Unterscheidung von „Medienschaffende“ und „Mediennutzern“ (S. 250) orientiert. Dass die von Jugendlichen bevorzugt genutzten „social media“ wie schülerVZ, studiVZ, facebook, twitter etc. genau diese Charakteristika (Top-down-Kommunikation und Unterscheidung von „Medienschaffende“ und „Mediennutzern“) durchbrechen, wird im Youcat nicht reflektiert, geschweige denn „medienpädagogisch“, individualethisch oder gesellschaftspolitisch (Stichwort auf der re:publica war „modern revolutions are digital revolutions“) fruchtbar gemacht. Zeitgemäß? Jugendgemäß?
Der Bestsellerautor und Youcatberater Manfred Lütz sieht den Anspruch des Jugendkatechismus in der Konzentration auf Fragen, die für Jugendliche tatsächlich existenziell bedeutsam sind – im Unterschied zu Fragen wie der von Lütz erwähnten: „Warum ist Maria die eschatologische Ikone der Kirche?“ Die große existenzielle Trendwende bei Youcat bleibt indes aus. Die dortige Frage: „Ist es nicht anstößig, Maria ‚Mutter‘ Gottes zu nennen?“ (Frage 82, S. 57) hat meine pubertierende Tochter jedenfalls noch nicht gestellt. Der Typ von Jugendlichen, der nach Wunsch des Papstes für das Studium des Youcat Leidenschaft, Ausdauer und Lebenszeit opfert, „dürfte allerdings eher dünn gesät sein, nicht nur in unseren Breiten“ – vermutet die Herder-Korrespondenz [1].
Diese vorsichtigen Anfragen mögen ausgewiesene Pastoraltheologen und Religionspädagogen beurteilen. An dieser Stelle soll ein thematischer Ausschnitt zur Diskussion gestellt werden, nämlich die Aussagen des Youcat über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Naturwissenschaften.
Die Wahrheit der Schrift
So mancher Konflikt hat sich – leider bis in die Gegenwart – am Verständnis der biblischen Schöpfungserzählungen entzündet, und so ist in unserem Zusammenhang Frage 15 einschlägig: „Wie kann die Heilige Schrift ‚Wahrheit‘ sein, wenn nicht alles, was in ihr steht, richtig ist?“
Die Antwort stellt klar, dass es nicht die Absicht der Bibel ist, naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. Die Formulierungen der biblischen Autoren sind geprägt vom kulturellen Kontext und Weltwissen der damaligen Zeit und teilen auch deren Unzulänglichkeiten. Davon zu unterscheiden seien die Heilsfragen, welche die Schrift „mit unfehlbarer Sicherheit“ beantworte.
Wer diesem Anspruch auf den Grund gehen will, wird auf die entsprechenden Abschnitte des erwähnten KKK verwiesen, von dort wiederum auf das Zweite Vatikanische Konzil, das diesen Punkt in Dei Verbum 11 beeindruckend geklärt hat. Dort wird von den Büchern der Schrift ausgesagt, „dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ [2]. Statt einer vermeintlich einfacheren materialen Beschränkung der Irrtumslosigkeit auf Teile der Schrift (Materialobjekt) wird mit „um unseres Heiles willen“ die durchgehende, auf alle Teile anwendbare Perspektive als Formalobjekt eingeführt. Damit haben auch profane Aussagen an der Irrtumslosigkeit teil, aber nur in einer bestimmten Hinsicht, nämlich insofern sie heilsrelevant sind. Der maßgebliche Kommentar dieser Textstelle vermerkt: „Im Lichte des salutis causa erkennen wir die Heilige Schrift als eine geschichtete, komplexe Wirklichkeit … Es gibt unmittelbare Heilsaussagen und -berichte, in denen sich dieser Formalbezug salutis causa in voller Eindeutigkeit verifiziert. Es gibt aber auch Teile der Schrift, die gegenüber diesen unmittelbaren Heilswahrheiten nur Hilfsfunktion ausüben. Hier kann es – unter der Sicht der profanen Wissenschaften – ein Zurückbleiben hinter der Wahrheit geben.“ [3] Kurz: Bibelstellen können Wahrheit nicht in naturwissenschaftlicher Hinsicht, sondern nur im Hinblick auf die Heilsbedeutsamkeit beanspruchen. Wenn dadurch Konflikte zwischen Bibel und Naturwissenschaften unterbunden werden, ist dies keine Immunisierungsstrategie, sondern schlicht die erkenntnistheoretische Einsicht in die Grenzen von Bibel und Theologie – so, wie man auch von den Naturwissenschaften die Einhaltung ihrer Erkenntnisgrenzen erwartet.
Kein Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft
Damit deutet sich bereits die Antwort auf Frage 23 an: „Gibt es einen Widerspruch zwischen Glauben und Naturwissenschaft?“ Unter der Annahme, dass es letztlich nur eine Wahrheit geben kann, auf die sich Glaube und Wissenschaft auf je unterschiedliche Weise beziehen, ist für Youcat klar: „Einen unauflöslichen Widerspruch zwischen Glauben und Naturwissenschaft gibt es nicht“. Das „unauflöslich“ schließt durchaus ein, dass faktisch natürlich Konflikte aufgetreten sind und weiterhin auftreten. Doch es bleibt der Optimismus, dass sich diese Konflikte als Scheinkonflikte herausstellen und letztlich überwunden werden können. Der mahnende Zeigefinger deutet allerdings einseitig in Richtung Naturwissenschaft, die sich „nicht an die Stelle Gottes“ setzen dürfe, sondern Schöpfung und Mensch zu dienen habe. Hier wie auch bei der Verweisstelle des KKK (159) vernimmt man noch Reste der Auffassung , der Glaube könne eine Art „norma negativa“ für die Naturwissenschaft sein, zumal mit den Worten des Ersten Vatikanischen Konzils durchaus daran festgehalten wird, dass „der Glaube über der Vernunft steht“ (KKK 159). Zwar ist zu würdigen, dass sich seinerzeit das Konzil der Herausforderung durch die modernen Wissenschaften überhaupt stellt und sich weder durch Fideismus noch Rationalismus entzieht. [4] Aber im Konfliktfall kommt für das Konzil nur der Gegensatz ,irrende Vernunft – unfehlbare Offenbarung‘ in Frage, nicht jedoch der Gegensatz ,richtiges wissenschaftliches Ergebnis – bedingte und daher überholbare theologische Deutung der Offenbarung‘. [5] (Ausführlicher hier) Die Aussagen des Ersten Vaticanum reichen in diesem Punkt nicht an die des Zweiten Vaticanum heran, und der Glaubwürdigkeit des Katechismus hätte es gut getan, wenn selbstkritischer auf kirchliche Eigenanteile an faktischen Konflikten hingewiesen worden wäre.
Gott vs. Zufall
Ab Frage 41 wird es schöpfungstheologisch konkreter. Erfreulicherweise garniert mit einem Zitat des Naturwissenschaftlers Hoimar von Ditfurth, dessen Dialogangebote seinerzeit nicht von allen Theologen geschätzt wurden, stellt Youcat klar: Die Naturwissenschaft macht den Schöpfer nicht überflüssig, denn „der Satz ‚Gott hat die Welt erschaffen‘ ist keine überholte naturwissenschaftliche Aussage“. Erneut wird – um Kategorienfehlern vorzubeugen – herausgestellt, dass Schöpfungsaussagen der theologischen Perspektive angehören und nicht mit naturwissenschaftlichen Aussagen konkurrieren: Nicht ‚entweder – oder‘, sondern ‚sowohl – als auch‘. In diesem Sinne kann man aus christlicher Perspektive (!) auch die „Evolution als fortwährende Schöpfung“ (Definition S. 37) verstehen. Konsequent und in ausdrücklicher Abgrenzung vom Kreationismus kann Youcat dann die Frage 42 („Kann man von der Evolution überzeugt sein und doch an den Schöpfer glauben?“) bejahen – allerdings nicht ohne die Warnung vor dem „Irrglauben des Evolutionismus“, der laut Youcat „den Menschen als Zufallsprodukt biologischer Prozesse sieht“.
Zum einen kann man hier fragen, ob an dieser Stelle „Evolutionismus“ geschickt charakterisiert ist. Prägnanter wäre der Ismus-Vorwurf in Ratzingers Worten mit dem Versuch umschrieben, „die Evolutionslehre als Universaltheorie alles Wirklichen“ zu etablieren, „über die hinaus weitere Fragen nach Ursprung und Wesen der Dinge nicht mehr zulässig und auch nicht mehr nötig sind“ [6]. Aber auch ein solcher – zu Recht abzulehnender – Evolutionismus würde nicht behaupten, der Mensch sei ein reines Zufallsprodukt, wie dies hier nahe gelegt wird. Überhaupt fällt auf, dass in kirchlichen Äußerungen der Zufall meist negativ besetzt ist.

Prof. Dr. Armin Kreiner ist mit dem Vortrag „Die verfluchte Theorie“ dem christlichen Antidarwinismus auf der Spur
Zusammen mit Passus 43 erinnert der gesamte Abschnitt (zufällig?) an Kardinal Schönborns umstrittenen Beitrag „finding design in nature“ Juli 2005 in der New York Times, in dem er ebenfalls die Unvereinbarkeit der katholischen Lehre mit dem Zufallsbegriffs, wie er im Darwinismus verwendet wird, deutlich herausstellt. Schönborn beruft sich dabei erstaunlicherweise auf einen Text der Internationalen Theologenkommission von 2004. Erstaunlich deshalb, weil die Theologenkommission über die Vereinbarkeit mit dem Zufall gänzlich anders urteilt (ausführlich in dem Vortrag von Armin Kreiner). Es bedarf keiner verzwickten Hermeneutik, es genügt die schlichte Wiedergabe des O-Tons, um die Diskrepanz zu Schönborn und Youcat zu belegen:
„Den Kernpunkt dieser gegenwärtig lebhaften Kontroverse betrifft die wissenschaftliche Beobachtung und Verallgemeinerung hinsichtlich der Frage, ob die verfügbaren Daten einen planvollen Entwurf oder den Zufall stützen, und kann von der Theologie nicht entschieden werden. Es ist jedoch wichtig festzustellen, dass im katholischen Verständnis der göttlichen Ursächlichkeit wahre Kontingenz in der geschöpflichen Ordnung nicht unvereinbar ist mit der zielgerichteten göttlichen Vorsehung. Göttliche Ursächlichkeit und geschöpfliche Ursächlichkeit unterscheiden sich radikal der Art und nicht nur dem Grade nach. Folglich kann sogar das Ergebnis eines wahrhaft kontingenten natürlichen Prozesses dennoch in Gottes Vorsehungsplan für die Schöpfung fallen.“ [7]
Statt wie in Youcat einen künstlichen Gegensatz zu konstruieren, hätte man durchaus Wege zur Vereinbarkeit weisen können – und dies wie gesehen im Rückgriff auf hochrangige kirchliche Dokumente.
Man hätte aber auch noch weiter gehen und die positive Bedeutung des Zufalls herausarbeiten können wie dies der Dogmatiker Dieter Hattrup in einem Akademievortrag und in dem lesenswerten Buch „Darwins Zufall oder Wie Gott die Welt erschuf“ entfaltet hat. Wenn es den Zufall nicht gäbe, dann hätte letztlich das mechanistisch-deterministische Weltbild Recht, und „aus der Mechanik der Neuzeit folgt wie von selbst der Atheismus der Neuzeit“ [8]. Denn „wenn alle Bewegungen in der Natur nach determinierten Regeln laufen, kann es dort keine Freiheit geben, also keinen frei handelnden Gott, und Freiheit für den Menschen natürlich auch nicht“ [9]. Es müssen – so Hattrup – wenigstens zwei Bedingungen erfüllt sein, „damit Freiheit in der Natur leibhaftig in Erscheinung treten kann: Zufall und Notwendigkeit“ [10]. Und „deshalb können die Biologen … den Zufall auch so freudig als Steigbügelhalter der Freiheit begrüßen, der, weil er die Notwendigkeit einschränkt, die Freiheit Gottes und des Menschen möglich macht“ [11]. In diesem Sinne bedeutet die Anerkennung des Zufalls nicht christlichen Substanzverlust, sondern im Gegenteil: Substanzerhalt.
Wenn der KKK sich in den Verweisen des Youcat vom Zufall abgrenzt (KKK 295), tut er dies übrigens im reinen Glaubensdiskurs und nicht in Abgrenzung von den Naturwissenschaften. Ansonsten beinhalten die Verweise auf den KKK Vertiefungen, die z. B. von Pantheismus, Deismus, Materialismus abgrenzen (KKK 285), die den Schöpfungsbegriff in Richtung Schöpfung aus dem Nichts (KKK 296-298), Schöpfung als Erhaltung (KKK 301) und Gott als Transzendenten und Immanenten (KKK 300) entfalten, oder die zum Nachdenken über das Verhältnis von natürlicher Gotteserkenntnis und Offenbarung einladen (KKK 286-288; 299) – ein schwieriges Thema, das an anderer Stelle ausführlich erörtert wurde.
Abschnitt 45 lässt noch einmal aufhorchen, fragt er doch, ob die Naturgesetze von Gott stammen, genauer: die Naturgesetze und natürlichen Ordnungen. Dass die Antwort auf beides „Ja“ lautet versteht sich. Die Entfaltung bezieht sich indes nur auf die natürlichen Ordnungen und Gesetze, die zu befolgen sind. Der Schlusssatz dieses Abschnitts könnte im Blick auf den zeitgenössischen Atheismus nachdenklich machen: „Es überfordert den Menschen, wenn er sich von Grund auf selbst entwerfen will“. Beziehbar wäre dies auf den so genannten neuen Atheismus, der eine rein säkulare Ethik anstrebt, aber auch auf anthropotechnische Selbstoptimierungen à la Peter Sloterdijk (siehe hier die Beiträge von Johanna Rahner). Inwieweit hier Indikative oder Imperative aus der natürlichen Ordnung zu gewinnen sind, mögen Moraltheologen kritisch beurteilen.
In unserem Zusammenhang wäre bei der Frage nach den Naturgesetzen interessant gewesen, auf deren erstaunliche Feinabstimmung hinzuweisen, ohne die Leben und Mensch nicht hätten entstehen können. Wenn schon die natürliche Vernunft auf transzendente Spurensuche gehen soll: Hier wäre sie fündig geworden. Freilich nicht im Sinne eines Gottesbeweises, denn auch Naturalisten haben unwiderlegbare (wenn auch hoch spekulative) Erklärungsmuster: Die Feinabstimmung war halt ein Glückstreffer; es gibt beliebig viele Universen, von denen eins eben mit dieser unserer Feinabstimmung aufwartet, etc. Wenn man aber die Prämisse eines Schöpfers akzeptiert, erhält die Feinabstimmung eine bestechende Plausibilität: Wenn Gott tatsächlich die Welt geschaffen und in autonome Entwicklung freigesetzt hat, dann ist die Feinabstimmung eine logische Konsequenz.
Seele – unmittelbar erschaffen?
Gott hat Youcat zufolge zwar die Naturgesetze erschaffen, sie aber auch in ihre Schranken verwiesen. Keinesfalls dürfen aus ihnen Menschen hervorgebracht werden. Das ist immer noch Chefsache, hier muss er selbst eingreifen! Und so beantwortet Youcat die Frage „Woher hat der Mensch seine Seele?“ (63) mit dem Hinweis: „Die menschliche Seele wird unmittelbar von Gott geschaffen und nicht von den Eltern ‚hervorgebracht’.“ Wieder Gegensatz statt Vereinbarkeit – von dem oben erarbeiteten „sowohl – als auch“ keine Spur.
Die anschließende Entfaltung dieser Antwort stellt noch einmal sicher, dass dies sowohl für die Entstehung eines menschlichen Individuums als auch für die Entstehung des Menschen als Gattung gilt: Weder die Evolution noch die Eltern produzieren die Seele. Aber was produzieren sie dann? Eine körperliche Hülle? Jedenfalls wird der Eindruck erweckt, als sei einzig Gott aktiv, Eltern und Evolution im Blick auf die Seele lediglich passiv-rezeptiv. Für Ulrich Lüke ist eine solche Vorstellung eher eine Karikatur, vergleichbar dem „‚Einbau von bestimmten Extras’ in der Automobilbranche“ [12]. Auch Ratzinger ist es wichtig, „dass Geist nicht als etwas Fremdes, als eine andere, zweite Substanz zur Materie hinzutritt“ und „dass man gerade die Erschaffung des Geistes sich am allerwenigsten als ein handwerkliches Tun Gottes vorstellen darf, der hier plötzlich in der Welt zu hantieren beginnen würde“ [13]. Sofern mit unmittelbarer Schöpfung eine „besondere Erschaffung“ gemeint ist, ist damit laut Ratzinger das „spezifische Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott“ [14] ausgedrückt.
Die Diskussion um Geist bzw. Seele geht zurück auf den Konflikt um Generatianismus und Kreatianismus (nicht zu verwechseln mit Kreationismus). Während es beim Generatianismus die Eltern sind, die den Kindern nicht nur ihre Materie, sondern auch die formende Seele verleihen, ist die Seelenerschaffung beim Kreatianismus Gott vorbehalten. Im Anschluss an Thomas von Aquin hat sich lehramtlich zwar der Kreatianismus durchgesetzt, zur Entstehungszeit des KKK vertrat jedoch die Mehrheit der Dogmatiker [15] eine Position, die den Eltern eine aktive Rolle zuschrieb. So hat für Alexandre Ganoczy das Tun, das zu einem neuen Menschen führt, „Gott und die Eltern zugleich und in aller Unmittelbarkeit als Subjekt. … Gott ermöglicht und trägt als transzendente Ursache jenes selbe Geschehen, das von den Eltern ‚kategorial’ vollzogen wird. Was geschieht, ist somit ganz ihr und ganz Gottes Tun“ [16]. Auch wo deutlicher als bei Ganoczy am Kreatianismus festgehalten wird, ist die Aktivität der Eltern respektive der Evolution nicht ausgeschlossen, wie dies ausdrücklich Johann Auer [17] oder Georg Langemeyer [18] betonen. Eine Konkurrenz zwischen innerweltlicher und göttlicher Verursachung, wie dies Youcat nahelegt, belebt also völlig unnötig alte Konflikte.
Man kann das „nicht von den Eltern hervorgebracht“ auch jenseits der Konflikte mit den Naturwissenschaften verstehen. Wenn mit Ulrich Lüke – übrigens in Anschluss an Ratzinger [19] – Seele nicht nur als Form des Leibes, sondern als Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch zu verstehen ist, dann ist evident, dass erst das Zusammen von Wort und Antwort das gesamte Kommunikationsgeschehen konstituiert. Diese Beziehung kann eben nicht vom Menschen allein hervorgebracht, quasi „von unten“ erzwungen werden, so als sei „die Antwort des Menschen … bereits die ganze Kommunikation“ [20]. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Bestimmung im theologischen Diskurs lokalisiert ist; sie ist nicht Gegenstand der naturwissenschaftlichen Perspektive und kann mit dieser auch nicht in einen „entweder – oder“-Konflikt geraten. Die „sowohl – als auch“-Lesart eines kommunikativen Zusammen hätte bei Antwort 63 durchaus Anknüpfungspunkte gefunden, da hier ebenfalls das Beziehungsgeschehen mit „Seele“ in Verbindung gebracht ist. Stattdessen setzt 63 auf das konfliktträchtige „entweder – oder“.
Fazit
Zunächst ist es erfreulich, wenn Youcat Naturwissenschaft und Glauben aus bibelhermeneutischen und erkenntnistheoretischen Gründe im Sinne eines „sowohl – als auch“ für vereinbar hält. Wenn es aber ins Detail geht, fällt Youcat an durchaus nicht unwichtigen Stellen zurück in eine konfliktträchtige „entweder – oder“-Sprache. Die Verantwortung dafür auf den großen Bruder KKK zu schieben, da dieser schließlich die Quelle für Youcat darstellt, greift zu kurz. Es wäre doch wünschenswert gewesen, wenn Youcat die große Vorlage nicht nur zusammengefasst, sondern vor dem Hintergrund der jüngsten Herausforderungen reformuliert hätte. Zu diesen Herausforderungen zählen zweifellos die (von Kardinal Schönborn an eigener Person erlebten) Auseinandersetzungen um Kreationismus / Intelligent Design auf der einen und einen (auch als Reaktion zu verstehenden) naturwissenschaftlich unterlegten Atheismus auf der anderen Seite. Dass an dieser Stelle auf den so genannten neuen Atheismus mit keinem Wort eingegangen wird, schlimmer noch: dass alte Konflikte (unnötigerweise) wiederbelebt werden – statt sie dialogisch zu reformulieren –, ist eine verpasste Chance im Dialog mit den Naturwissenschaften.
Anmerkungen
1 HerKorr 65, 2011, 220.
2 Vaticanum II, Dei Verbum 11.
3 Aloys Grillmeier zu Die Verbum 11, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 13, Freiburg : Herder 1967, 550.
4 Vgl. Pottmeyer, H. J.: Der Glaube vor dem Anspruch der Wissenschaft : Die Konstitution über den katholischen Glauben „Dei Filius“ des Ersten Vatikanischen Konzils und die unveröffentlichten theologischen Voten der vorbereitenden Kommission. Freiburg 1968, 424.
5 Ebd. 410, 425f.
6 Ratzinger, J.: Glaube – Wahrheit – Toleranz : Das Christentum und die Weltreligionen. Freiburg 42005, 145.
7 Internationale theologische Kommission: Gemeinschaft und Dienstleistung, Nr. 69.
8 Hattrup, D.: Darwins Zufall oder Wie Gott die Welt erschuf. Freiburg 2008, 46.
9 Ebd. 265.
10 Ebd. 269.
11 Ebd. 263.
12 Lüke, U.: Das Säugetier von Gottes Gnaden. Freiburg 2006, 151.
13 Ratzinger, in: S. O. Horn (Hg.): Schöpfung und Evolution. Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo. Augsburg 2007, 14f.
14 Ebd. 15.
15 So urteilt Alexandre Ganoczy in: Schöpfungslehre. Düsseldorf 21987, 220.
16 Ebd. 220.
17 Auer, J.: Die Welt – Gottes Schöpfung. Kleine Katholische Dogmatik Bd. III (hg. von J. Auer und J. Ratzinger): „Das Wirken Gottes im Wirken der Kreatur ist im Sinne des Verhältnisses von erster und zweiter Ursache zu verstehen“ (289), und dabei ist „der ganze Effekt … von beiden Ursachen zugleich in der Weise, dass die erste Ursache wie die universale Zweitursache oder die verschiedenen Zweitursachen zusammen je in ihrer Weise ‚Totalursache des totalen Effektes‘ sind“ (148).
18 Langemeyer, G.: Kreatianismus – Generatianismus. In: W. Beinert (Hg.): Lexikon der katholischen Dogmatik. Freiburg 21988, 335.
19 „Seele ist nichts anderes als die Beziehungsfähigkeit des Menschen zur Wahrheit, zur ewigen Liebe“, Ratzinger, zit. nach Lüke, Säugetier, 154.
20 Lüke, Säugetier, 152.
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