Universum aus dem Nichts
Stephen Hawkings Weltformel der Physik auf dem Prüfstand
14. Januar 2011
Tagungszentrum Hohenheim
Mit: Jürgen Audretsch, Hans-Dieter Mutschler, Markus Pössel, Rüdiger Vaas
Stephen Hawking, britischer Astrophysiker und Autor bekannter Bestseller, legte zusammen mit dem Physiker Leonard Mlodinow seinen „großen Entwurf“ vor, der „eine neue Erklärung des Universums“ liefern soll. Zum einen glaubt er, der Weltformel nahe zu sein, zum anderen will er damit die letzten Fragen der Menschheit beantworten. Seine Naturwissenschaft beerbt damit die Philosophie, die Hawking schon im zweiten Absatz des Buches schlicht für tot erklärt.

Die beiden Autoren behaupten, dass es möglich ist, diese existenziellen Grundfragen des Menschen (z. B.: Warum gibt es überhaupt etwas?) „ausschließlich in den Grenzen der Naturwissenschaft und ohne Rekurs auf göttliche Wesen zu beantworten“ (S. 168). Damit werde auch der Rückgriff auf einen Schöpfergott entbehrlich, denn das Universum entsteht ‚spontan aus dem Nichts’. Hawking ergänzt damit kosmologisch, was Richard Dawkins evolutionstheoretisch versucht hat: den Schluss von den Naturwissenschaften zur Nichtexistenz Gottes. Die Tagung hat die provokanten Thesen Hawkings kritisch reflektiert und zum Anlass für zentrale Fragen des interdisziplinären Dialogs genommen:
Was ist innerwissenschaftlich von der propagierten Weltformel zu halten?
- Inwieweit sind naturwissenschaftliche Theorien Konstrukte, inwieweit beschreiben sie „Wirklichkeit“? Wo liegen ihre Grenzen?
- Was ist theologisch unter „Schöpfung aus dem Nichts“ zu verstehen – im Unterschied zu dem „Nichts“, aus dem das Universum spontan entstehen soll?
Auf manche Kritikpunkte an Hawkings und Mlodinows Ansatz konnten sich die Referenten einigen – Hawkingkritiker wie -befürworter gleichermaßen. So sei die Verabschiedung der Philosophie unangemessen, und zentrale Begriffe der Argumentation (zum Beispiel „Gott“ und „Nichts“) seien mehrdeutig. Wie nicht anders zu erwarten, gab es neben dem Konsens beim Übergang von der Kosmologie zur weltanschaulichen Deutung aber auch einen grundlegenden Dissens, was sich exemplarisch an der Frage nach der Beweislast zeigte.
Vaas vs. Mutschler: Wer trägt die Beweislast?
Vaas: Der Theist hat die Beweispflicht
„Letztlich ist die Welt unerklärbar und zufällig, und insofern ist alles letztendlich kontingent. Gott ist also zu einer Erklärung des Universums nicht notwendig, da gehe ich mit Hawking d’accord. Eine naturalistische Erklärung des Urknalls und des Universums ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, aber bislang nur partiell gelungen. Wenn der Theist daraus Kapital schlagen will, dann hat er die Beweispflicht. Erklärungslückenargumente sind weder notwendig noch hinreichend für den Theismus, und es ist auch keine Pattsituation zwischen Naturalismus und Theismus, weil es keine argumentative Symmetrie gibt.“ Rüdiger Vaas
Mutschler: Die Materialisten hätten gern das gute Gewissen der Rationalität
„Nun hat Herr Vaas unter anderem auch gesagt, dass der materialistische Standpunkt, wenn man die Wissenschaft ernst nimmt, sich sozusagen von selbst versteht, so dass der Theist die Beweislast habe. Ich bestreite das. Ich bin der Meinung, dass – wenn überhaupt – die Beweislast gerecht verteilt ist. Die Materialisten hätten es gerne anders und würden sich gerne das gute Gewissen der Rationalität oder der Wissenschaft machen, aber ich werde zeigen, dass es so nicht geht, sondern dass die Materialisten eine ganze Menge Leichen im Keller haben, den sie gut verschlossen halten. Ich werde dieses Schloss jetzt öffnen.“ Hans-Dieter Mutschler
Referenten
Prof. Dr. Jürgen Audretsch
Prof. em. für Theoretische Physik der Universität Konstanz; Veröffentlichungen u.a. „Zufall oder Fügung. Theologie und Naturwissenschaft im Gespräch“ (2010), „Die sonderbare Welt der Quanten“ (2008), Interview zu Stephen Hawking (2010)
Prof. Dr. Hans-Dieter Mutschler
Philosoph, Physiker und Theologe; Lehrbeauftragter am C.G.Jung-Institut Zürich, Professor an der philosophisch-pädagogischen Hochschule Krakau, Dozent für Naturphilosophie an der Hochschule St.Georgen / Frankfurt; Rezension zu Hawking in: Stimmen der Zeit 12/2010.
Dr. Markus Pössel
Astrophysiker und Wissenschaftskommunikator, Leiter des Hauses für Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, Fachlektor der deutschen Ausgabe von Hawkings und Mlodinows „Großem Entwurf“.
Rüdiger Vaas
Philosoph, Astronomie- und Physik-Redakteur bei bild der wissenschaft; Veröffentlichung u.a. „Hawkings neues Universum. Wie es zum Urknall kam“ (2010), „Die gottlose Welt des Stephen Hawking“, in: bild der wissenschaft 11/2010.
Tagungsleitung
Dr. Heinz-Hermann Peitz, Akademiereferent
Die Beiträge der Tagung
[otw-bm-list id=“41″]
Recent Comments