Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn diskutierte am 28. April 2020 mit den TeilnehmerInnen eines Online-Meetings über Risiken, die uns wirklich bedrohen und wie wir richtig damit umgehen. Renn entfaltete, warum wir uns oft vor dem Falschen fürchten und die „echten“ Bedrohungen der Menschheit unterbewerten. Ist auch das Coronavirus reine Panikmache, oder legt es die Aufmerksamkeit auf genau die eigentlichen, nämlich systemischen Risiken und zeigt es nicht, wie sehr wir die Verletzlichkeit unserer Welt unterschätzt haben? Schließlich: Können wir aus Corona etwas lernen für die systemische Bedrohung durch die Umweltkrise?
[fvplayer src=“https://youtu.be/1kEHsHfYqUo“ chapters=“http://www.forum-grenzfragen.de/uploads/sprungmarken/renn_2020a.vtt“ splash=“https://i.ytimg.com/vi/1kEHsHfYqUo/maxresdefault.jpg“ caption=“Renn: Von der Coronakrise zur mündigen Risikoeinschätzung“]
Corona und die Merkmale systemischer Risiken
Gegenüber den leichter überschaubaren konventionellen Risiken zeigen sich bei der Coronakrise typische Merkmale systemische Risiken:
- Sie sind grenzüberschreitend.
- Sie sind mit anderen Funktionsbereichen eng gekoppelt, z. B. der Wirtschaft.
- Die mit ihnen verbundenen Ursache-Wirkungsketten sind stochastisch und nichtlinear, d. h. sie unterliegen Zufallsschwankungen und können plötzlich große Schadensausmaße annehmen.
- I. a. werden systemische Risiken in der Öffentlichkeit unterschätzt, was bei den direkten Folgen des Coronavirus weniger der Fall ist als bei ökologischen Risiken, die schleichender auftreten.
Vom Umgang mit systemischen Risiken
Der angemessene Umgang mit systemischen Risiken macht sich u. a. an folgenden Stichworten fest:
- Es kommt v. a. auf die Resilienz des globalen Systems an. Damit ist die Widerstandsfähigkeit gegen innere und äußere Risiken und die Funktionsfähigkeit auch unter Stress gemeint. Das ist nur durch Diversifizierung und Redundanz zu gewährleisten, auch wenn sich dies in einer auf Effizienz getrimmten Produktions- und Wirtschaftsweis vor und außerhalb von Krisen nicht „rechnet“.
- Es müssen sensible Frühwarnsysteme etabliert werden, damit schnell reagiert werden kann, bevor sog. Tipping-Points erreicht werden.
- Einsatz- und Kommunikationspläne müssen erarbeitet sein, bevor eine Krisensituation eintritt.
- Es muss an einer mündigen Risikowahrnehmung aller gearbeitet werden.
Neben institutionellen Maßnahmen thematisierte Renn auch individuelle Einflussmöglichkeiten. Als StaatsbürgerIn partizipiert man etwa durch Wahlen und Teilnahme an Initiativen oder Bürgerforen. Als Privatperson kann man durch bewusstes Konsumieren Einfluss nehmen, insbesondere wenn solcher Verhaltensweisen sich „viral“ verbreiten. Auch in Krisenzeiten bewährt sich ein bewusstes Interagieren und Kommunizieren im privaten oder Beratungskontext, insbesondere wenn man die unterschiedlichen Reaktionsmuster („Flucht“, „Kampf“, „Todstellen“) auf Bedrohungen bei Gesprächen berücksichtigen kann.
Renn schloss mit der Hoffnung, dass es möglich ist, den Umgang mit systemischen Risiken zu lernen und sie in ähnlicher Weise zu reduzieren, wie wir dies erfolgreich mit den konventionellen Risiken geschafft haben.
Recent Comments