Wort der Bibel und Buch der Natur

Prof. Dr. Andreas Benk PH Schwäbisch-Gmünd

Prof. Dr. Andreas Benk PH Schwäbisch-Gmünd


 
Das Wort der Bibel und das Buch der Natur – Zum Schriftverständnis neuzeitlicher und moderner Naturwissenschaftler
von Andreas Benk
Vortrag vom 20.09.2003, Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim
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Gliederung des Vortrags

1. Galileis Schriftverständnis

  • Der Kontext: Auseinandersetzung um den Kopernikanismus
  • Die Streitfrage: Ist die Lehre von der Bewegung der Erde mit den biblischen Schriften vereinbar?
  • Galileis Lösungsversuch – Brief an den Benediktinermönch Benedetto Castelli (1613)

2. „Buch der Natur“ und „Buch der Bibel“
3. Kepler als Theologe

  • Zur Biographie Keplers
  • Zur Religiosität Keplers
  • Naturwissenschaft als Gotteslob Keplers Schriftverständnis – die „Akkomodationstheorie“
  • Astrologie als Exegese der Natur

4. Ausblick: Zum Schriftverständnis moderner Naturwissenschaftler

  • Im 17. Jahrhundert war es eine Überlebensfrage der Naturwissenschaft, sich vor der Schrift fundiert rechtfertigen zu können – diese Funktion übernehmen heute Rechnungshof und Hochschulranking.Die Bezugnahmen der gegenwärtigen Naturwissenschaftler auf die Bibel orientieren sich nur selten am aktuellen Stand der Bibelwissenschaften.
  • Immer wieder unterstellen Naturwissenschaftler bei Theologen wie selbstverständlich ein wortwörtliches Bibelverständnis und üben daran Kritik.
  • Abgesehen davon findet sich unter Naturwissenschaftlern das gesamte Spektrum gegenwärtigen Schriftverständisses: Von biblizistische Positionen, über historisch-kritische Auslegungen bis zu grundsätzlicher Schriftkritik.
  • Nach wie vor gängig ist bei christlichen Naturwissenschaftlern die Differenzierung zwischen Weltanschauung und Weltbild: Die in der Bibel ausgedrückte „jüdisch-christliche Weltanschauung“ kann sich mit ganz unterschiedlichen „naturwissenschaftlichen Weltbildern“ verbinden und fällt somit auch nicht mit dem „biblischen Weltbild“ (so schon der „Keplerbund“).

 

Texte zum Vortrag

Bibelstellen

Bibelstellen, die bei der Kontroverse um den Heliozentrismus als problemtisch galten (Auswahl):

  • os 10,12f: „Damals, als der Herr die Amoriter den Israeliten preisgab, redete Josua mit dem Herrn; dann sagte er in Gegenwart der Israeliten: Sonne, bleib stehen über Gibeon und du, Mond, über dem Tal von Ajalon! Und die Sonne blieb stehen, und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte.“
  • Koh 1,4f: „Eine Generation geht, eine andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit. Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht.“

Galileo Galilei

Galileo Galilei: Brief an den Benediktinermönch Benedetto Castelli (1613) – (Auszüge):

  • „Obwohl die Schrift niemals irren kann, [können] ihre Interpreten und Ausleger manchmal auf die verschiedenste Weise irren […].“
  • „Somit enthält die Schrift viele Sätze, die nach ihrem nackten Wortsinn in ihrer Erscheinung von der Wahrheit abweichen, aber so formuliert wurden, um dem Fassungsvermögen des gemeinen Volkes entgegenzukommen […].“
  • „[…] weil darüber hinaus klar ist, dass zwei Wahrheiten sich niemals widersprechen können, ist es das Amt weiser Ausleger, sich zu bemühen, die wahren Bedeutungen der Bibelstellen herauszufinden und in Übereinstimmung zu bringen mit denjenigen physikalischen Folgerungen, die uns vermöge der Sinne oder durch notwendige Schlussfolgerungen als sicher und gewiss gelten.“
  • „Ich möchte annehmen, dass die Autorität der Heiligen Schrift einzig das Ziel hat, die Menschen von denjenigen Artikeln und Aussagen zu überzeugen, die, notwendig für das Seelenheil und alle menschliche Vernunft übersteigend, durch keine andere Wissenschaft einsichtig gemacht werden könnte, es sei denn durch den Mund des Heiligen Geistes selbst.“
  • „Falls die ursprünglichen heiligen Autoren die Absicht gehabt hätten, die Leute über die Konstellationen und Bewegungen der Himmelskörper zu belehren, hätten sie diese nicht so spärlich behandelt […].“

„Buch der Natur“ und „Buch der Bibel“

  • Hugo von Sankt Victor (gest. 1141) über das „Buch der Natur“: „Die ganze sichtbare Welt gleicht einem Buche, geschrieben vom Finger des Herrn; sie ist geschaffen durch göttliche Kraft, und alle Geschöpfe sind Figuren, nicht als Erzeugnisse menschlicher Willkür, sondern hingestellt durch göttlichen Willen zur Offenbarung und gleichsam als sichtbares Merkmal der unsichtbaren Weisheit Gottes.“
  • Raimund von Sabunde (gest. 1436): „Zwei Bücher sind uns von Gott gegeben, das Buch der Gesamtheit der Kreaturen oder der Natur und das Buch der Heiligen Schrift. Das erstere ward dem Menschen von Anbeginn an gegeben, als der Inbegriff aller Dinge geschaffen wurde; denn jegliche Kreatur ist nur ein von Gottes Finger geschriebener Buchstabe, und aus den vielen Kreaturen setzt sich jenes Buch zusammen, wie ein Buch aus seinen Buchstaben […]. Der Mensch aber ist Hauptbuchstabe desselben Buches. Auch ist dieses nicht wie jenes [ergänze: die Bibel] verderbt und verfälscht, sondern allen gemeinsam und verständlich.“

Johannes Kepler

  • „Ich bin ein Christ, die Augsburger Konfession habe ich aus der Belehrung von meinen Eltern her, in wiederholter Erforschung ihrer Begründung, in täglichen Erprobungen in mich aufgenommen; an ihr halte ich fest. Heucheln habe ich nicht gelernt. Mit der Religion ist es mir ernst, ich treibe kein Spiel mit ihr. Daher ist es mir auch ernst mit ihrer Ausübung und mit dem Empfang der Sakramente.“ (Kepler an Herwart v. Hohenburg, 16.12.1598)
  • „Das Buch der Natur [wird] in den Heiligen Schriften hoch gefeiert […]. Paulus ruft voll des Heiligen Geistes, voll heiliger Freude dem Weltall zu: Lobt ihr Himmel, den Herrn, lobt ihn, Sonne und Mond. Hat der Himmel, haben die Sterne eine Stimme? Können Sie Gott loben wie die Menschen? […] So lösen wir dem Himmel und der Natur auf den folgenden Seiten die Stimme und lassen ihre Stimme lauter erschallen […].“ (Kepler, 1596)
  • „Du, der Du durch das Licht der Natur das Verlangen in uns mehrst nach dem Licht Deiner Gnade, um uns durch dieses zum Licht Deiner Herrlichkeit zu geleiten, ich sage Dir Dank, Schöpfer, Gott, weil Du mir Freude gegeben hast an dem, was Du gemacht hast, und ich frohlocke über die Werke Deiner Hände. Siehe ich habe jetzt das Werk vollendet, zu dem ich berufen war. Ich habe dabei alle die Kräfte meines Geistes genutzt, die du mir verliehen hast. Ich habe die Herrlichkeit Deiner Werke den Menschen geoffenbart, soviel von ihrem unendlichen Reichtum mein enger Verstand hat erfassen können.“ (Kepler in „Harmonices Mundi“, 1619)
  • „Wer aber zu einfältig ist, um die astronomische Wissenschaft zu verstehen, oder zu kleinmütig, um ohne Ärgernis für seine Frömmigkeit dem Kopernikus zu glauben, dem gebe ich den Rat, er möge die Schule der Astronomie verlassen, ruhig nach Gutdünken philosophische Lehren verdammen und sich seinen Geschäften widmen. […] Er möge aber seine Augen, mit denen allein er ja sieht, zu dem sichtbaren Himmel erheben und sich mit vollem Herzen ganz dem Dank und dem Lob Gottes des Schöpfers hingeben, wobei er überzeugt sein darf, dass er Gott keine geringere Verehrung erweist als der Astronom, dem Gott die Gabe verlieh, dass er mit dem Auge des Verstandes schärfer sieht und über seinen Entdeckungen auch seinerseits seinen Gott feiern kann und will.“ (Kepler in Astronomia Nova, 1609)
  • „Nun aber redet auch die Hl. Schrift über die gewöhnlichen Dinge (in denen sie nicht die Absicht hat, die Menschen zu belehren) mit den Menschen auf menschliche Weise, um von den Menschen verstanden zu werden; sie verwendet das, was bei den Menschen allgemein anerkannt ist, um Höheres und Göttliches beizubringen. Ist es daher verwunderlich, wenn die Schrift auch den menschlichen Sinnen entsprechend redet, wenn der wirkliche Sachverhalt mit oder ohne Wissen der Menschen den Sinnen widerspricht?“ (Kepler in „Astronomia Nova, 1609)
  • „Denn wenn jemand Josua bedeutet hätte, dass sich die Sonne nicht in Wirklichkeit gegen das Tal Ajalon bewege, sondern nur für den Augenschein, hätte er dann nicht ausgerufen, er wünsche nur, dass der Tag für ihn verlängert werde, wie das auch geschehen möge! […] Gott hat aber aus den Worten Josuas leicht verstanden, was er wollte, und gewährte ihm seine Bitte, indem er die Bewegung der Erde anhielt, so dass es Josua schien, die Sonne stehe still.“ (Kepler in Astronomia Nova, 1609)
  • J. Hübner, Die Theologie J. Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, Tübingen 1975, 227: „Entsprechend der Tatsache, dass bereits in der Schultheologie neben dem Buch der Bibel das Buch der Natur steht, kann also neben die Auslegung der Bibel die Auslegung der Natur treten. Die Exegese der Natur kann durch die Exegese der Natur ergänzt werden. Die Auslegung der Natur aber stellt sich zu einem wesentlichen Teil dar in Gestalt der Astrologie.“

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