Presseschwerpunkt anlässlich des 100. Geburtstags des Evolutionsbiologen Ernst Mayr (*5. Juli 1904), zusammengestellt von Heinz-Hermann Peitz
Zur Biographie
Ernst Mayr wurde am 5. Juli 1904 in Kempten im Allgäu geboren und verstarb am 3. Februar 2005 in Bedford bei Boston. 1926 promovierte er mit 21 Jahren in Zoologie über ein ornithologisches Thema.
1928 und 1930 gewann Mayr auf Expeditionen nach Neuguinea und zu den Solomon-Inseln Kenntnisse zur Biogeografie, die zur Grundlage seiner späteren evolutionstheoretischen Überlegungen wurden. Seit 1931 in den USA, wechselte Mayr 1953 an die Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Auch nach seiner Emeritierung 1975 arbeitete er weiter am dortigen Museum of Comparative Zoology.
Berühmt wurde Mayr als Hauptvertreter der „Synthetischen Theorie der Evolution“, die Charles Darwins Konzept der „natürlichen Auslese“ mit den Erkenntnissen der Genetik in Einklang brachte.
(verändert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Mayr)
Ein Jahrhundertwerk Evolutionsbiologie
Der Biologe Ernst Mayr – gern als „Darwin des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet (Quelle 3; Quellenangabe siehe unten) – hinterlässt ein Lebenswerk, das durch Mayrs Entwicklung vom Ornithologen über den systematisch orientierten Evolutionstheoretiker hin zum Philosophen seines Faches nicht nur fachinterne, sondern auch interdisziplinäre Maßstäbe gesetzt hat.
Architekt der „Synthetischen Theorie“
Innerhalb der Biologie besteht Mayrs bedeutendste Leistung neben der Formulierung des „biologischen Artbegriffs“ (Art = Fortpflanzungsgemeinschaft) (Quelle 5) in der Integration von Einzeldisziplinen wie Evolutionslehre, Genetik und Biogeografie zur so genannten „Synthetischen Theorie der Evolution“, einem in sich schlüssigen Bild der Evolution (Quellen 2, 3). Erst diese Zusammenführung konnte z. B. erklären, wie es nicht nur zum Überleben des Tüchtigsten durch Anpassung, sondern zur erstaunlichen Artenvielfalt kommen konnte: Geografische Trennungen – ein neuer Aspekt – isolieren kleine Populationen, aus denen über eigenständige genetische Entwicklungen zahlreiche selbständige Arten hervorgehen (1).
Von manchen seiner Kollegen grenzt sich Mayr mehr oder weniger scharf ab. Stephen Jay Goulds Punktualismus (die Evolution schreitet nicht gleichmäßig in kleinen Schritten, sondern in kurzen Phasen schneller Veränderung voran) hält Mayer als Gradualist (allmähliche Artenbildung) immer für die Ausnahme. „Total im Unrecht“ sei hingegen Richard Dawkins, der die Gene als eigentliche Zielscheibe der Evolution betrachte. Mayr dagegen: „Gene laufen in der Natur nicht frei herum“, im Zentrum steht immer das Individuum. (5)
Bei allen Dissensen im Detail: Die hohe Integrations- und Erklärungskraft, sowie die Robustheit der modifizierten Evolutionstheorie haben diese zu einem zentralen Pfeiler der modernen Biologie gemacht. Mayr zitiert gern seinen Kollegen Dobzhansky: „Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Lichte der Evolution“ (2). Mehr noch: Über die Biologie hinaus schätzt Mayr die denkerische Revolution der Evolutionstheorie als bahnbrechender ein als die der Quanten- und Relativitätstheorie. Diese hätten schließlich – anders als die Evolutionslehre – keinen Einfluss auf den Durchschnittsmenschen genommen (2).
Die Autonomie der Biologie
Überhaupt ist Mayr auf die Physiker nicht gut zu sprechen. So integrativ er innerhalb der biologischen Disziplinen vermittelte, so wenig glaubt er an eine Integration von Biologie und Physik. Gegenüber einer Reduktion der Biologie auf die Physik wird Mayr nicht müde, die Eigenständigkeit der Biologie zu betonen. Das Organische und Lebendige unterscheide sich von den Gegenständen der Physik durch Einzigartigkeit und Variabilität: Anders als Elektronen gleiche kein Mensch dem anderen. (2, 5) Und jeder reduktionistische Ansatz, der ein Ganzes als Summe seiner Einzelteile verstehen will, scheitert, wenn er nicht nur das was und wie erklären will, sondern wenn er beantworten will, warum in der Natur etwas passiert (4). Darüber hinaus hält Mayr die von Physikern praktizierte Mathematisierung (Galilei: „Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik abgefasst“, 2) für eine fatale Engführung der Wissenschaft: „Demnach wäre Darwins ‚Vom Ursprung der Arten’ nicht wissenschaftlich, denn es enthält keine einzige mathematische Formel“ (Quellen 5).
Evolution und Schöpfung?
Die Verbindung von Gottesglauben und Evolutionsdenken hat Mayr „nie verstehen können“. Andererseits kennt er große Evolutionsbiologen, die diese Verbindung „fertig gebracht“ haben. (2) Mayr scheint hier Schöpfungsdenken mit einem Denken in statischer Typologie, bei dem alle Wesen als konstant (geschaffen) gelten (5), auf eine Stufe zu stellen. Verständlich, wenn er unter dieser [aus meiner Sicht freilich falschen; HHP] Voraussetzung Gottesglauben als Verrat des Evolutionsgedankens versteht (4).
Auch von Forschern, die an ein „intelligentes Design“ der Natur glauben, grenzt sich Mayr – mit einem erneuten Seitenhieb in Richtung Physik – ab: „Physiker glauben an so etwas. Biologen sind da anderer Meinung“ (5). Er kenne (außer E. O. Wilson) „keinen einzigen Biologen, der an intelligentes Design glaubt. Wie denn auch? Jeder Biologe weiß, dass das Design der Welt alles andere als intelligent ist.“ (5)
Quellen
(1) Frankfurter Rundschau [FR], 06.07.2004
Wissenschaft vom Leben
(2) DER SPIEGEL [SP], 05.07.2004
„Das passt ja wunderbar zusammen“
(3) DER SPIEGEL [SP], 05.07.2004
Theorie des Lebendigen
(4) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung [FAS], 04.07.2004
Normal ist das alles nicht
(5) Die Welt [WEL], 03.07.2004
Die Biologie ist keine zweite Physik
(c) Foto Ernst Mayr: „Ernst Mayr PLoS“ von University of Konstanz – Meyer A. (2005). „On the Importance of Being Ernst Mayr“. PLoS Biology 3 (5): e152. DOI:10.1371/journal.pbio.0030152.. Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons.
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