Papst-Tagung über Schöpfung und Evolution (II)

Stellt der Papst die Evolutionstheorie in Frage, wonach die Entwicklung des Lebens auf der Erde ungesteuert verlaufen ist und weitgehend vom Zufall abhängt? Legt sich die Kirche auf die Theorie vom „intelligenten Design“ fest oder gibt es zwischen beiden Auffassungen Verbindungen?
Die Fragen erhellen sich, wenn Sie mit mir den Lektüreblog durchgehen, den ich vom 8. bis zum 25. Mai 2007 erstellt habe.

Dienstag, 8. Mai 2007

Peter Schuster: Evolution bedarf keiner Intervention von außen!
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Beginnen wir die gemeinsame Lektüre mit Peter Schuster, Prof. für Theoretische Chemie, der die Tagung mit einer Bestandsaufnahme der Evolutionstheorie eröffnet hat. Dass Evolution stattgefunden hat, weiß Schuster plausibel zu belegen. Das überzeugendste Argument für Evolution liegt in der Tatsache, dass der Stammbaum, der sich aus der Morphologie der Lebewesen rekonstruieren lässt, mit dem Stammbaum übereinstimmt, der sich molekulargenetisch – also völlig unabhängig vom morphologischen Stammbaum – rekonstruieren lässt. (Seite 40)
Nur hartgesottene Gegner werden das dass der Evolution bezweifeln. Aber wie steht es mit den Mechanismen der Evolution? Ist die Entwicklung hin zu immer komplexeren Lebewesen auf natürlichem Wege erklärbar (Selbstorganisation, 38)? Schuster tritt dem grundlegenden Argument entgegen, Komplexität könne nicht aus Einfachem entstehen, indem er auf so genannte zelluläre Automaten hinweist. Bei diesen entstehen aus einfachen Anfangsbedingungen komplexe, dynamische Muster, die sogar „zweckorientiertes Verhalten vortäuschen können“ (37). Die evolutionäre Landschaft liegt bildlich gesprochen zwischen einem ebenen Golfplatz, auf dem ungezielte Schläge (sprich: Mutationen) nie das Loch erreichen werden, und einem Trichter, bei dem jeder Schlag ins Ziel führt. Auf diese Weise bringt die Selektion eine Richtung in den zufälligen Mutationsprozess (36f.). Um philosophischen Begehrlichkeiten vorzubeugen, ist darauf hinzuweisen, dass in der Perspektive des Neodarwinismus diese Zielgerichtetheit nicht als Triebkraft, sondern lediglich als Ergebnis des Evolutionsvorganges verstanden wird (Teleonomie statt Teleologie). (30).
Bei der Beschreibung der Evolutionsmechanismen spielt für die spätere Diskussion ein Befund eine Rolle, der in der Evolution große Schritte und Stufen zu höheren Komplexitätsebenen lokalisiert. Stufen stehen allerdings nicht für kausale Diskontinuität, so als bräuchte man hier eine zusätzliche, externe Erklärung. Die zur Erklärung der Stufen benötigten Zusatzmechanismen gehören sämtlich dem Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft an: Es ist dies z. B. die Kooperation früherer Konkurrenten, die sich auf höherer Ebene zu einer organisierten Einheit zusammenschließen (47f.), die dann wieder den darwinschen Mechanismen ausgesetzt ist (49).
In den Schlussbemerkungen macht Schuster unmissverständlich klar, dass die Evolution als ein Prozess beschrieben werden kann, „der nach den Naturgesetzen abläuft und der keiner Intervention von außen bedarf“ (55). Nicht die Suche nach möglichen Interventionen von außen sollte – Schuster zufolge – den Brückschlag zur Theologie bilden, sondern vielmehr der Gesamtverlauf der Evolution, die es auf faszinierende Weise geschafft hat, durch viele Nadelöhre den „schmalen Korridor“ (56) vom Urknall zum Menschen zu durchschreiten.
Wie wird von philosophischer, theologischer und päpstlicher Seite auf diese Vorlage des Naturwissenschaftlers reagiert? Lesen Sie morgen mehr!

Mittwoch, 9. Mai 2007

Auf der Suche nach Lücken – Anfragen an den Schustervortrag
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Der Schuster-Vortrag (siehe unten) hat eine lebendige Diskussion ausgelöst. Wie angedeutet, waren die Sprünge der Evolution Anlass zu mehrfachem Nachhaken. Ludwig Weimer fragte nach, ob diese Sprünge unerklärlich seien (101), Kardinal Schönborn brachte die Sprünge mit einer „Crux der heutigen Biologie, nämlich dem Artbegriff“ zusammen: „Haben diese Schritte etwas mit der Entstehung der Arten zu tun?“ (107).
Nachdem Schuster versichert hat, dass nun ausgerechnet der Artbegriff „der einzige höhere Begriff [ist], von dem man behaupten kann, dass er in der Biologie gut definiert ist“ (109), modifiziert Schönborn die Nachfrage und erkundigt sich, ob es „erwiesene Übergänge zwischen den Arten“ (110) gebe. In der Tat könne man solche Übergänge – so Schuster – exemplarisch bei den Salamandern beobachten, die den Übergang zur Artbildung, nämlich die fortpflanzungsmäßige Isolation fast schon erreicht hätten (110). Außerdem sei der Eindruck von Sprüngen ein Artefakt, der durch die Wahl der zeitlichen Auflösung bedingt ist: Ist die Auflösung grob, d. h. werden große Zeiträume auf kleinem Raum dargestellt, erscheinen Zeiten, in denen sich viel verändert, als Sprünge, die jedoch bei feiner Auflösung kontinuierlicher aussehen (111).
Auch diese Auskunft stellt Schönborn noch nicht zufrieden; er bringt noch das Argument ins Spiel, dass der historische Evolutionsprozess „nicht experimentell nachvollziehbar“ und damit „die Stammbaumfrage nicht wirklich beantwortet“ sei (111). Wie bereits im Vortrag, so weist Schuster auch hier darauf hin, dass der Stammbaum aus zwei unabhängigen Quellen und deshalb auf überzeugendste Weise erhärtet sei: aus der morphologischen und der genetischen Analyse (112f.).
Zusammen mit der Nachfrage von Vincent Twomey, wie man von etwas Einfachem zu etwas Kompliziertem kommen könne (107) und den Hinweisen von Paul Erbrich (114) und Werner Neuner (123), dass es irreduzibel komplexe Module gebe, deren Entstehung kaum durch Darwinsche Mechanismen erklärbar seien (übrigens ein Hauptargument der Intelligent-Design-Protagonisten), gewinnt man auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Theologen permanent auf der Suche nach Erklärungsdefiziten (in diesem Sinne „Lücken“) der Evolutionstheorie sind, die einen göttlichen Designer unabdingbar machen. Bis zu dieser Stelle der Diskussion hatte Schuster offenbar den gleichen Eindruck: „Etwas, das mir die ganze Zeit über missfallen hat, ist, dass man in der Naturwissenschaft Lücken sucht“ (121f.)
Es gab aber auch noch andere Anknüpfungspunkte für den Dialog, wie sich im weiteren Verlauf der Diskussion (auch der anderen Vorträge) zeigen wird. Außerdem wird noch Papst Benedikt XVI. Stellung beziehen – setzt auch der Papst auf Lücken? Es bleibt also spannend; lesen Sie morgen weiter!

Donnerstag, 10. Mai 2007

Robert Spaemann: Evolutionstheorie kann keine hinreichenden Ursachen benennen!
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Zu Beginn seines Beitrags über „Deszendenz und Intelligent Design“ bekennt sich der Philosoph Robert Spaemann zu einem komplementären Modell der Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie (58). Alle bisherigen Integrationsversuche hätten ihr Ziel nicht erreicht, sondern seien letztlich reduktionistisch geblieben: „Mir scheint, es ist für das Bündnis immer noch zu früh“ (58). So bleibt es bei „zwei fundamental verschiedenen Zugängen“ (58).
Zwar können Innerlichkeit, Subjektivität und Aus-sein-Auf etwas (Teleologie) durch den naturwissenschaftlichen Zugang evolutionär aufgeklärt werden, aber was hier aufgeklärt wird, ist „immer nur der Selektionsvorteil von Subjektivität, nicht aber deren Entstehung“ (59). Schließlich könne die „Kategorie der Teleologie … aus einer ateleologischen Realität nicht hergeleitet werden“ (60).
Auch wenn Spaemann in der Selektion einen Trick der Evolution sieht, traut er ihr nichts Schöpferisches zu: Sie kann auch „nur das begünstigen, was einmal da ist“ (61). Sie kann also die Entstehung von kategorial schlechthin Neuem (Leben, Subjektivität) nicht erklären (61). Auch Worte wie „Emergenz“ oder seinerzeit „Fulguration“ (man denke zurück an Konrad Lorenz) erklären nicht, sondern sind nicht mehr als Bezeichnungen der Unableitbarkeit (59).
Wenn Spaemann an dieser Stelle behauptete, der naturwissenschaftliche Zugang könne nicht jeden Aspekt von Subjektivität, Innerlichkeit etc. beschreiben, würden ihm die meisten Naturwissenschaftler folgen und die Legitimität auch anderer Zugänge einräumen – von metaphysischen Naturalisten einmal abgesehen. Aber die Entstehung von Leben und Subjektivität grundsätzlich nicht mit ihren Mitteln erklären zu können, werden die meisten als konkurrenzartigen Eingriff in das Sprachspiel der Naturwissenschaft verstehen. Wie anders sollten sie es deuten, wenn ihnen zugestanden wird, Entstehungsbedingungen zu beschreiben, aber „nicht hinreichende Ursachen“ (62)
Ein anderer Gedanke Spaemanns kommt demgegenüber den Naturwissenschaftlern sehr viel weiter entgegen. Spaemann weist auf die Existenz von Doppelcodierung hin: Es gibt materielle Träger, die Informationen in doppelter Weise enthalten können. So kann ein systemfunktionaler Code die Entstehung verstehen lassen, und ein zweiter Code kann eine ganz andere Botschaft enthalten. Der Autor veranschaulicht die Doppelcodierung mit einer Violinsonate von Bach, die nach kabbalistischer Entschlüsselung der Noten einen lateinischen Text hergibt. Die Musik der Sonate ist ein in sich stimmiges und sinnvolles Ganzes. „Wer aber, einem Gerücht folgend vermutet, dass hier noch etwas verborgen sein könnte, und den Versuch macht, nach einer weiteren Botschaft zu suchen, … dem tritt auf einmal eine weitere, ungeahnte Dimension dieser Musik vor Augen.“ (63) Übertragen bedeutet dies: „Wem das alte Gerücht von einem Schöpfergott keine Ruhe lässt, den wird es nicht einschüchtern, wenn die Naturwissenschaft in der Überlebensfunktionalität die hinreichende (!) Ursache für die Entstehung der natürlichen Arten einschließlich des Menschen zu finden hofft und teilweise schon gefunden hat. Er wird … hier eine ganz anders codierte Botschaft entdecken, die sich auf die erstere in keiner Weise zurückführen lässt, obgleich schon die erste ihre eigene Schönheit hat.“ (63f.) Man kann also offenbar doch den Naturwissenschaftlern hinreichende Ursachen zugestehen, ohne die Tiefendimension zu gefährden, auf die es Philosophen und Theologen ankommt. Und zu diesen Formulierungen passt denn auch das zuvor von Spaemann gemachte Versprechen: „Teleologische Erklärungen konkurrieren nicht mit kausalen“ (61).
Lesen Sie morgen, wie Spaemanns Thesen aufgenommen wurden!

Freitag, 11. Mai 2007

Fragen an Spaemann: Nur komplementäres Nebeneinander?
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Ausdrücklich greift Peter Schuster das Phänomen der Doppelcodierung auf, das ihn „sehr fasziniert“ hat (124). Damit kann man sehr gut ein komplementäres Nebeneinander beider Zugänge zur Wirklichkeit plausibel machen – Zugänge, die nicht aufeinander reduzierbar sind und gleiche Berechtigung haben: „Die Musik ist so gut wie der Text“ (124) – wie Schuster sagt. Aber: Ist im Moment nicht mehr als ein Nebeneinander möglich? „Etwas enttäuscht war ich schon, dass Sie die Unmöglichkeit des zielstrebigen Dialogs so stark herausgestrichen haben“ (132), bedauert Schuster schließlich.
Die sowohl von Schuster als auch von Spaemann eingebrachte Unterscheidung „der Naturwissenschaftler als solcher“ und „als Mensch“ hätte an dieser Stelle für eine Verbindung des Nebeneinanders möglicherweise fruchtbarer werden können, denn – so Spaemann – „der Naturwissenschaftler als Naturwissenschaftler ist natürlich auch Mensch“ (132). Was Spaemann jedoch stark machen will, ist der jedem Menschen mögliche lebensweltliche Zugang, den Naturwissenschaftler gern solange als provisorisch und vor-wissenschaftlich abtun, bis er wissenschaftlich erschlossen ist. Dagegen Spaemann: Wenn „mein Hund Hunger hat, muss ich nicht warten, bis der Naturwissenschaftler mir das Phänomen Hunger erklärt“ (132).
In ähnlicher Weise scheint auch die Theologie nicht auf die Naturwissenschaft angewiesen zu sein. Zwar muss sie aus pragmatischen Gründen informiert sein (quasi, um ihren ideologischen Gegner zu kennen, der alles in jeder Hinsicht naturalistisch zu erklären beansprucht), aber thematisch brauche die Theologie keine naturwissenschaftlichen Zusammenhänge zu kennen: „Sonst hätte es schließlich auch keine gute Theologie gegeben, ehe es nicht eine gute Naturwissenschaft gab, was aber offenbar der Fall war“ (126).
Dies ist ein treffendes Argument gegen Naturalisten wie Richard Dawkins, der mit G. G. Simpson behauptet, dass alle Versuche, die Sinnfrage vor Darwin zu beantworten, „wertlos sind, und dass es für uns besser ist, sie völlig zu ignorieren“ (Das egoistische Gen, Berlin 1978, 1).
Insofern hat Spaemann Recht; sicher gab es vor Darwin und den Naturwissenschaften gute Theologie. Nur, was nützt uns heute (im Zeitalter der Naturwissenschaften) eine „gute“ Theologie, die richtige Antworten auf Fragen bereithält, die keiner mehr stellt?
Lesen Sie ab Montag, was Kardinal Schönborn zur „Evolutionismusdebatte“ beisteuert.

Montag, 14. Mai 2007

Christoph Kardinal Schönborn: Auferstehung Christi als Zielpunkt der Evolution
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Manche mögen mit Spannung erwarten, wie sich Kardinal Schönborn positioniert. Schließlich war Schönborns breit und heftig diskutierter Artikel in der New York Times („Finding Design in Nature“) der Anlass, das Papsttreffen dem Thema „Schöpfung und Evolution“ zu widmen.
Zu Beginn seines Beitrags geht Schönborn kurz auf diesen Anlass ein. Die Leidenschaft der Debatte seines Artikels gründe letztlich in der existenziellen Frage, ob sich das Universum blindem Schicksal oder weisem Plan verdankt. (81) Zunächst lässt Schönborn die Frage offen: „Sprechen manche besonders komplexe Phänomene nicht deutlich für ein ‚intelligent desing’ in der Natur?“ (82) Während noch Newton für den göttlichen Plan optierte, habe Darwin (84) und in Folge die heute gängige Evolutionstheorie (82) das Kontrastprogramm entwickelt, nämlich die Artenvielfalt in Zufallsmutationen und deren Überlebenschancen gründen zu lassen.
Schönborn zweifelt nicht daran, „dass Darwin mit seiner Theorie dem Materialismus wissenschaftlich zum Sieg verhelfen wollte“ (84). Insofern „diese ideologische, weltanschauliche Komponente in Darwins Theorie“ (84) Grund der passionierten Diskussionen sei, sei es vorrangig die Aufgabe der Naturphilosophie, hier für Klarheit zu sorgen (84): „Die entscheidende Frage liegt aber nicht auf der Ebene der Naturwissenschaften, auch nicht auf der der Theologie, sondern zwischen beiden: der Naturphilosophie“ (85). Hier gehe es um mehrere Schritte:
– Unterscheidung von Wissenschaft und Weltanschauung bzw. Ideologie (84f)
– Es muss erlaubt sein, die ideologischen Seiten zu kritisieren (85)
– Es muss erlaubt sein, die offenen Fragen der Evolutionstheorie zu diskutieren (85)
Beim letzten Punkt notiert Schönborn Widerstand von seiten der scientific community – was mich allerdings kaum wundert: Wer würde hier nicht mögliche Übergriffe befürchten; die Zeiten, in denen sich die Theologie als „norma negativa“ für die Naturwissenschaften verstand, sind noch nicht sehr lange her (vgl. die Diskussionen um humani generis, der ‚frühe’ Rahner in den 50er Jahren etc.). Meine Meinung: Biologische Fragen können nicht theologisch gelöst werden!
Die Tendenz, dies doch zu tun, zeigt sich einige Seiten später. Mit Adrian Walker bezweifelt Schönborn, dass „das Zusammenspiel von (genetischer) Mutation und natürlicher Selektion eine hinreichende Erklärung der Entstehung neuer Lebensformen“ (86f.) ist. Denn wenn diese ausreichten, gäbe es „keinen Grund, warum blinde Materie der erste Ursprung des Lebens nicht sein könnte“ (87). Meine Frage: Warum kann Schönborn die Entscheidung, ob eine hinreichende Erklärung zur Lebensentstehung vorliegt, nicht den Evolutionstheoretikern überlassen, warum kann Materie nicht tatsächlich selbst Ursprung des Lebens sein? Schönborn selbst liefert mit Thomas von Aquin Argumente in diese Richtung: „Die Natur ist nichts anderes als … die Kunst Gottes, die den Dingen eingegeben ist und durch die die Dinge selber auf ihr bestimmtes Ziel hin ausgerichtet werden … Es ist das so als wenn der Erbauer eines Schiffes den Hölzern die Fähigkeit verleihen könnte, dass sie aus sich selber heraus dazu bewegt würden, die Schiffsgestalt hervorzubringen“ (91). Was ist dieses „aus sich selber heraus“ denn anderes als das Zugeständnis, eine hinreichende Ursache zu sein?
Wenn man geneigt ist, weiter zu fragen (z. B.: Wie kommt es denn, dass die Hölzer diese Eigenschaft haben?), so liegt dies auf einer anderen Ebene, die dann auf den Designer verweisen mag (ich denke da an die „Doppelcodierung“, von der Spaemann sprach). Zu Recht fragt Schönborn: „Wer erkennt das design? Und: Wie wird es erkannt? Darwin sagt, im Detail der Naturforschung könne er keinerlei Art von design erkennen. Mit der streng wissenschaftlichen, quantitativen, messenden Methode wird das wohl auch nicht möglich sein.“ (89) Eben: Erst die zweite Codierung, die mit der ersten in keinerlei Konkurrenz steht, legt den Blick auf den Designer frei.
Die zentrale Frage bei Schönborn ist: Wer hat Zugang zu dieser Codierung? Unmissverständlich wiederholt Schönborn, was auch schon in der New York Times zu heftiger Kritik geführt hat: „Der katholische Glaube hält … daran fest, dass die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“ (87). Eine rein materiell orientierte Wissenschaft sei dagegen „einseitig“: „Es fehlt ihr das, was eigentlich den Menschen als Menschen kennzeichnet: seine Gabe, sich mit Verstand und Intuition über die materiellen Bedingungen zu erheben und zum Sinn, zur Wahrheit, zur ‚Botschaft des Autors des Textes’ vorzustoßen“ (95).
Aber genau das ist es doch: Die Sinnfrage ist eine Frage des Menschen als Menschen, nicht als Naturwissenschaftler, der sich methodisch auf die Textimmanenz beschränkt. Weiter gefragt: Kann denn der Mensch als Mensch eindeutig auf den Autor eines Textes schließen? Der von Schönborn zitierte Richard Schaeffler geht ja gerade von Texten aus, in denen der Autor (ausdrücklich) nicht vorkommt (anders als Spaemann, bei dem – in einem ähnlichen Bild – der Regisseur selbst im Film vorkommt, 120).
Noch einmal meine Meinung: Man muss kein Analphabet der zweiten Codierung sein, wenn man aus dem Text der Schöpfung nicht „mit Gewissheit“ den Schöpfer als Autor identifizieren kann.
Auch hierfür liefert Schönborn Argumente – besser gesagt: Das Argument: „Der Glaube an einen guten Schöpfer, an sein ‚progetto intelligente …’ (Papst Benedikt XVI. …), wird durch die schier endlosen Grausamkeiten in Frage gestellt.“ (97) Abgesehen davon, dass man im Zitat durchaus von ‚intelligent design’ (authentische englische Übersetzung des ‚progetto intelligente’) hätte sprechen können:
Schönborns Stärke ist es, sich hier und ausführlich in seiner jüngsten Veröffentlichung (Ziel oder Zufall, Freiburg 2007, 93-110) der größten Herausforderung (auch von Seiten der weltanschaulich interessierten Evolutionsbiologen) zu stellen, dem Übel als „Fels des Atheismus“ (Büchner). Hier weicht Schönborn nicht aus und will nicht „vorschnell … das ‚intelligent design’ zeigen“ (97). Die tragfähige Antwort auf die Theodizeefrage liegt für Schönborn nicht in der Vernunft, sondern in Jesus Christus: „Das Kreuz ist der Schlüssel zu Gottes Plan … So wichtig, so unerlässlich eine erneute, vertiefte Anstrengung in Sachen Naturphilosophie ist, das Wort vom Kreuz ist Gottes letzte Weisheit. … Das Kreuz aber ist das Tor zur Auferstehung.“ Und „hier ist der Zielpunkt ‚der Evolution’. Von ihrem Ende, ihrer Vollendung her zeigt sich auch ihr Sinn“ (98).
Aber (Schönborn gegen den Strich gebürstet): Kann man eigentlich noch deutlicher sagen, dass es gerade nicht die Perspektive der Vernunft, sondern die des Glaubens ist, die ein göttliches design zu erkennen vermag?
Morgen (wenn das Margen-Darm-Virus meiner Familie mich unerwarteter Weise nicht erreicht haben sollte – Theodizee ganz praktisch ) lesen Sie: Schönborn in der Diskussion.

Freitag, 18. Mai 2007

Die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit: Kard. Schönborn in der Diskussion
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Etwas verspätet (das Virus hatte tatsächlich Besitz von mir ergriffen) ein kurzer Einblick in die Diskussion des Beitrags von Kardinal Schönborn. Die interessanteste Kontroverse entzündetet sich an Schönborns oft wiederholter Aussage: „Der katholische Glaube hält … daran fest, dass die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“ (87).
Der Systematiker Siegfried Wiedenhofer, der ansonsten mit der „Gesamtabsicht völlig einverstanden“ (158) war, glaubt anders als Schönborn, „dass man die Vernünftigkeit des Glaubens nicht in einer … Ordnungsstruktur der Welt suchen sollte, darin, dass sozusagen alles gut läuft“ (159). Denn so gut laufe es de facto ja nicht, und die Schöpfung könne vom Erlösungsdenken nicht abgekoppelt werden. Dagegen schlägt Wiedenhofer vor:
Vernünftigkeit des Glaubens liegt „nicht in einem möglichst optimalen Ordungsarrangement“, sondern:
Vernünftigkeit des Glaubens liegt in der Fähigkeit des Glaubens, „gerade die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit aus ihren Möglichkeitsbedingungen heraus zu begreifen“ (159).
In gewisser Weise stimmt Schönborn dem auch zu, indem er ebenfalls auf den Glauben als hermeneutischen Schlüssel des Sinnverstehens verweist: „Der Glaube – insbesondere an die Auferstehung – erschließt uns einen Sinnhorizont, der natürlich den Glauben an einen Schöpfer voraussetzt“ (160). Dessen Gesamtplan würden wir zwar nicht erkennen, aber Schönborn hält daran fest, dass wir zumindest „Stücke seiner Gedanken … erkennen“ und „auf sein Gesamtprojekt … vertrauen“ dürfen. Man beachte: „vertrauen“!
Und im selben Atemzug fällt dann der Hinweis auf das Wort des Papstes vom „Intelligent Design“ des Kosmos (etwas hinter dem italienischen Wortlaut „progetto intelligente“ versteckt).
Wie positioniert sich Papst Benedikt XVI. selbst in diesem Dissens zwischen Kardinal Schönborn und Wiedenhofer?
Die Antwort auf diese Frage lesen Sie am kommenden Dienstag. Dies leitet dann dazu über, die Position des Papstes zum gesamten Tagungsthema, zu Schöpfung und Evolution, aus dem Dokumentationsband zu erschließen. Also: Bis zur nächsten Woche Ihnen ein schönes Wochenende.

Dienstag, 22. Mai 2007

Evolutionstheorie ist keine Universaltheorie alles Wirklichen! Positionierungen von Papst Benedikt XVI.
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Der vorliegende Band ist in doppelter Hinsicht geeignet, sich der Position des Papstes in der Frage nach Evolution und Schöpfung anzunähern und der Sphäre der bloßen Befürchtungen und des rein Spekulativen zu entziehen. Zum einen hat Kardinal Schönborn im Vorwort ausführlich die Stellungnahmen Ratzingers über die Jahre dokumentiert, zum anderen hat sich Ratzinger als Papst kommentierend in die Diskussion der Gandolfo-Tagung 2006 eingemischt. Daraus ergibt sich ein erstes (vorläufiges) Bild, das vor 40 Jahren beginnt und in die aktuelle Debatte mündet.
Rückblick
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Äußerungen Ratzingers die eigentliche Frontstellung. Es ist nicht die Evolutionstheorie als solche, die Ratzinger kritisch hinterfragt, sondern eine Evolutionstheorie, die sich grenzüberschreitend zu einer Art philosophia universalis, also zu einer Gesamterklärung alles Wirklichen ausdehnt und dabei keine andere Denkebene mehr zulässt (9f., 12, 17-19). Dies kann nicht deutlich genug gegenüber dem verbreiteten Missverständnis betont werden, der Konflikt richte sich direkt gegen die Evolutionstheorie als naturwissenschaftliche Theorie. Dagegen macht Ratzinger deutlich: „Wo Naturwissenschaft zur Philosophie wird, ist es die Philosophie, die sich mit ihr auseinandersetzen muss“. Dann aber ist „die eigentliche Gesprächsebene … die des philosophischen Denkens“ (10). Hier stimmt Ratzinger mit Schönborn überein, für den „die entscheidende Frage … nicht auf der Ebene der Naturwissenschaften, auch nicht auf der der Theologie [liegt], sondern zwischen beiden: der Naturphilosophie“ (85; Hervorhebung Schönborn).
Diese Lokalisierung des eigentlichen Streit- und Dialogortes dürfte so manchen (Schein-)Konflikt entschärfen. Aber wie so oft, so liegt auch hier der Teufel im Detail. Wie fügen sich die Problemfelder Evolution im allgemeinen und Entstehung des Menschen im besonderen diesem Dialogmodell? Wo genau liegen z. B. naturwissenschaftliche Grenzüberschreitungen vor?
Konfliktfeld „Evolution“
Im Bereich der Evolution bereite es „für den Glauben heute keine Schwierigkeit mehr …, die naturwissenschaftliche Hypothese Evolution sich gemäß ihrer eigenen Methoden ruhig entfalten zu lassen“ (10). Die Grenze kommt mit der Frage in den Blick, ob „das solchermaßen als Weg verstandene Sein, die Evolution im ganzen, einen Sinn habe“ (11f.). Diese Frage könne „nicht innerhalb der Evolutionstheorie selbst entschieden werden; für sie ist das eine methodenfremde Frage“ (12). Die Zuständigkeit für die Sinnfrage wird denn auch von Naturwissenschaftern meist widerspruchslos an ein „Glaubenssystems“ abgetreten – an welches auch immer. Erst in diesem, die Fakten deutenden System (nicht in den Lücken des naturwissenschaftlichen Systems) hat dann der Schöpfungsglaube seine Berechtigung: „An Schöpfung glauben heißt die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt im Glauben als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt verstehen“ (13). Schöpfung betrifft dabei das Sein als ganzes, „als zeitliches und werdendes“ (12) und nicht irgendwelche punktuellen Eingriffe. Schöpfung ist „nicht ein ferner Anfang und auch nicht ein auf mehrere Stadien verteilter Anfang“ (12) und ist auch „nicht nach dem Muster des Handwerkers zu denken, der allerlei Gegenstände macht“ (13). Das Bild eines solchen Handwerker-Gottes ist leider allzu verbreitet und führt dann konsequent zu (Schein-)Konflikten. Denn ein Handwerker-Gott ist zumeist ein Lückenbüßer-Gott: Sein Wirken wird in Lücken der Evolution sichtbar, die Suche nach ihm gestaltet sich als Suche nach den Lücken der Evolution(stheorie). Schöpfung dagegen in Ratzingers Sicht ist die „Weise, in der das Denken schöpferisch ist“. Die Vorstellung vom schöpferischen Denken macht sichtbar, „dass das Ganze der Seinsbewegung … Schöpfung ist“ (13), nicht bloß der Anfang oder das Füllen einer Lücke.
Konfliktfeld „Mensch“
Diese Vorstellung bewährt sich auch bei der Entstehung des Menschen – bei der die Aussage der unmittelbaren Erschaffung der menschlichen Seele auf den ersten Blick sperrig wirkt. Heißt „unmittelbar“ nicht „unvermittelt“ oder „direkt“, sprich „ohne das Mittel der Evolution“? Die Spannung löst sich auch hier auf, wenn Ratzinger daran erinnert, „Dass auch hinsichtlich der Erschaffung des Menschen die Schöpfung nicht einen fernen Anfang bezeichnet, sondern mit Adam jeden von uns meint: jeder Mensch ist direkt zu Gott“ (14). Wie der Denker nicht nur am Anfang einer Gedankenkette steht, sondern jeden Gedanken unmittelbar schöpferisch trägt, so ist auch jeder Mensch unmittelbar von Gottes Schöpferkraft getragen. Die „unmittelbare Erschaffung des Menschen“ setzt also auch in diesem speziellen Fall keine Lücke im evolutiven Geschehen voraus – allen gängigen Missverständnissen zum Trotz.
Das Besondere der Erschaffung des Menschen liegt in dem besonderen Gewolltsein durch Gott: „nicht nur als Gebilde, das er gedacht hat, sondern als Existenz, die ihn wieder denken kann. Dieses spezifische Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott nennen wir seine besondere Erschaffung.“ (15) Dies ist deutlich eine Bestimmung auf theologischer Ebene; eine Bestimmung, die nicht in Konkurrenz zur evolutiven Beschreibung steht, da „unmittelbar“ und „direkt“ nicht auf der Ebene der innerweltlichen Ursachen zu verstehen sind.
Zusammen gefasst: die Sinnfrage und das besondere Gewolltsein des Menschen von Gott aus der Zuständigkeit der Evolutionstheorie auszuklammern, könnte auf weiten Konsens stoßen – auch auf Seiten der Naturwissenschaftler.
Schwieriger wird es, wenn Ratzinger die Reichweite der Evolutionstheorie detaillierter hinterfragt. Lesen Sie dazu morgen mehr!

Mittwoch, 23. Mai 2007

Ist „Makroevolution“ biologische Grenzüberschreitung? Detailfragen des Papstes
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Im weiteren Verlauf hinterfragt Ratzinger (im historischen Rückblick des vorliegenden Bandes) die Reichweite der Evolutionstheorie detaillierter. Gemeint ist hier die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution. Zunächst gesteht Ratzinger die Zuständigkeit der Evolutionstheorie für die Mikroevolution zu: „Niemand wird die wissenschaftlichen Beweise für die mikroevolutiven Prozesse ernstlich in Zweifel ziehen können“ (18). Und er fährt fort: „Nicht darauf bezieht sich daher die Frage, die ein Gläubiger der modernen Vernunft gegenüber stellen wird, sondern auf die Ausdehnung zu einer philosophia universalis, die zur Gesamterklärung des Wirklichen werden will“. Zu Recht weist Ratzinger die Grenzüberschreitung zurück, die eine Evolutionstheorie vornimmt, wenn sie sich zur alles erklärenden Weltanschauung ausweitet.
Wo aber wird eine solche illegitime Grenzüberschreitung greifbar: „Innerhalb der Evolutionslehre selbst deutet sich das Problem an beim Übergang von der Mikro- zur Makroevolution“ (18). Hier ist für mich nicht plausibel, warum dieser Übergang problematisch oder gar eine Grenzüberschreitung sein soll. Warum kann die Makroevolution nicht legitimer Gegenstand der Evolutionstheorie sein?
Überraschenderweise bezieht sich Ratzinger in seiner Argumentation auf Reinhard Junker und Siegfried Scherer (18), deren evolutionskritisches Lehrbuch zwar nicht mehr so offensiv wie in früheren Auflagen einen Kurzzeitkreationismus nahelegt, immerhin aber die Makroevolution durch punktuelle Schöpfungen von separaten, nicht evolutiv verbundenen Grundtypen (darunter auch den Menschen) ersetzen will. Transportiert die Kritik an der Makroevolution als trojanisches Pferd nicht allzu leicht das Schöpfungsmodell der Grundtypen? Dies könnte kaum im Sinne Ratzingers sein, da die Grundtypen-Schöpfung mit Ratzingers Schöpfungsverständnis im obigen Sinne m. E. nicht vereinbar ist.
Noch einmal rückt Ratzinger deshalb die Detailfrage nach der Makroevolution in den eigentlich intendierten Kontext: „Die Frage, die hier zu stellen ist, reicht freilich tiefer: Es geht darum, ob die Evolutionslehre als Universaltheorie alles Wirklichen auftreten darf, über die hinaus weitere Fragen nach Ursprung und Wesen der Dinge nicht mehr zulässig und auch nicht mehr nötig sind“ (18f.). Die Detailfrage nach der Makroevolution ist also eingeklammert von der Hauptfrage nach der Grenzüberschreitung Richtung Weltanschauung, die damit die Funktion eines hermeneutischen Schlüssels einnimmt. Eine Detailfrage „X“ hat demgegenüber eine abgeleitete oder konkretisierende Funktion: „X ist kritisierbar, insofern X eine illegitime Grenzüberschreitung impliziert“. Impliziert „X“ dies nicht, gehört X dem rein naturwissenschaftlichen Diskurs an und hat damit den Kampfplatz (Philosophie) erst gar nicht betreten.
Ein aufschlussreicher historischer Rückblick auf die Äußerungen Ratzingers also! Der Rückgriff auf die Kreationisten wird den Biologen nicht entgehen, wie der Beitrag des Biologen Reichholf im September zeigen wird (siehe Presseschau).
Aber wie hat der Papst auf die Vorträge der Tagung reagiert? Mehr dazu am Freitag.

Freitag, 25. Mai 2007

Rationalität, aber auch das Rätsel des Schrecklichen in der Natur. Papst reagiert auf die Vorträge.
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Vor weiteren Detailfragen äußert Papst Benedikt XVI. Anmerkungen zur grundsätzlichen Verhältnisbestimmung. Einerseits nimmt er den Hinweis Spaemanns, dass es für ein Bündnis noch zu früh sei, insofern gerne auf, als er der Meinung ist, „dass voreilige Harmonisierungen meistens nicht sehr tragfähig sind“ (144). Andererseits weist er darauf hin, „dass wir nicht aufhören dürfen, den Versuch zu machen, die beiden Welten zu vereinen, und dahinter zu sehen, welcher Codex das Ganze trägt, ohne dass wir zu einer Harmonisierung gelangen könnten“ (144). Ein wenig mag dies Peter Schuster entgegen kommen, der ja über das bloße und festgeschriebene Nebeneinander etwas enttäuscht war (132).
Wenn also Dialog, wo ist dann die geeignete Plattform dafür? Im Konsens mit Kardinal Schönborn (der hier von Naturphilosophie spricht, 84) und in Kontinuität zu seinen früheren Äußerungen, die vorgestern aufsummiert wurden, streicht der Papst erneut die Philosophie als entscheidende Instanz heraus: „Die Evolutionslehre [impliziert] Fragen …, die der Philosophie zugeordnet werden müssen und von sich aus über den Innenbereich der Naturwissenschaften hinausführen“ (150). Im Einzelnen sind dies:
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1. Da die Evolutionslehre in großen Teilen experimentell nicht beweisbar sei, gebe es „erhebliche Lücken“ (150). Der viel und gern zitierte Ausspruch Johannes Pauls II., „die Evolutionslehre ist mehr als eine Hypothese“, sei zwar begründet, aber zugleich gelte, „dass die Evolutionslehre noch keine komplette, wissenschaftlich verifizierte Theorie ist“ (151). Konsequent sprechen Theologen häufig von „Evolutionslehre“ und nicht von „Evolutionstheorie“. Diese Wortwahl wird manchen Biologen in die Hände spielen, die hier eine Ähnlichkeit mit der Strategie der Kreationisten vermeinen, die die verschiedenen Codes terminologisch verschleiern (beides sind ja „-lehren“) und das eine mit dem anderen auf derselben Ebene aushebeln wollen (siehe Kutschera, Streitpunkt Evolution, Münster 2004, 141).
2. Die Frage der evolutiven Sprünge sei zu vertiefen. (151)
3. Der Papst greift schließlich das Dialogangebot von Schuster auf und findet es bedenkenswert, „dass der Korridor, in dem sich die Entwicklung abspielen konnte, schmal ist“ (151).
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Zu Frage 1 gibt Schuster zu bedenken, dass man von der Evolutionstheorie ungerechterweise mehr verlange als von anderen Theorien. So seien beispielsweise Phänomene der Quantentheorie erst 70 Jahre nach ihrer theoretischen Formulierung experimentell bestätigt worden (EPR-Phänomen), ohne dass man seinerzeit am Theoriestatus gezweifelt habe (153). Außerdem gründe die Plausibilität der Evolutionstheorie nicht nur in experimenteller Bestätigung, sondern speise sich aus mehreren unabhängigen Quellen (wie z. B. aus der morphologischen und der genetischen Rekonstruktionen des evolutiven Stammbaums) (153).
Bei der 2. Frage hat Schuster schon Schönborn zu bedenken gegeben, dass der Eindruck von Sprüngen ein Artefakt sei, der durch die Wahl der zeitlichen Auflösung bedingt ist: Ist die Auflösung grob, d. h. werden große Zeiträume auf kleinem Raum dargestellt, erscheinen Zeiten, in denen sich viel verändert, als Sprünge, die jedoch bei feiner Auflösung kontinuierlicher aussehen (111).
Zu 3: Verständlicherweise war Schuster erfreut, den eigenen Brückenvorschlag vom Papst aufgegriffen zu sehen. Denn hier, und nicht in Lücken oder Sprüngen der Evolution, sieht Schuster Anknüpfungspunkte: „Wenn wir den Prozess nun als Ganzen sehen, diesen langen Korridor vom Urknall über die Entstehung des Lebens zur Entstehung des Menschen, so dokumentiert dieser … einen Plan, den ich nicht in der Naturwissenschaft finde, welche ja die einzelnen Prozesse betrachtet. Dieser Korridor kann das Werk eines Schöpfers darstellen“ (154)
Offenbar ist es nicht irrational, in der kosmischen Entwicklung das Werk des Schöpfers zu decodieren. Spiegelt sich hier das, was der Papst mit der Rationalität der Materie und ihres gesamten Entwicklungsprozesses meint? „Woher stammt diese Rationalität? Gibt es eine ursprunggebende Rationalität, die sich in diesen beiden Zonen und Dimensionen von Rationalität spiegelt?“ (152). Wenn der Papst sagt, „die Naturwissenschaft kann und darf darauf nicht direkt antworten“ (152), findet er sich vom Naturwissenschaftler Schuster bestätigt. Dieser sagt ausdrücklich, dass er mit der Deutung des engen Korridors „aus der Naturwissenschaft herausgetreten“ ist (154). Die Schlagzeile des Spiegels „Papst weist Naturwissenschaft in die Schranken … ein Affront gegenüber Vertretern eines modernen Weltbilds“ bedient damit zwar medienwirksam einen papstkritischen Trend, ist aber wissenschaftstheoretisch unreflektiert.
Aber bleiben wir bei dieser Rationalität. Bedeutet diese, dass – wie Schönborn annimmt – „die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“?
Hiermit löste Schönborn nicht nur in dem umstrittenen Beitrag in der New York Times („Finding Design in Nature“) heftige Kritik aus. Auch auf der Gandolfo-Tagung distanziert man sich, und neben Siegfried Wiedenhofer ist es kein geringerer als der Papst selbst, der zu bedenken gibt: „Natürlich gibt es die Rationalität in der Natur, aber sie gestattet uns nicht, eine totale Einsicht in den Plan Gottes zu gewinnen. Es bleiben also die Kontingenz und das Rätsel des Schrecklichen in der Natur“ (161). Diese „Komponente des Schreckens“ sei „nicht mehr philosophisch auflösbar“, sondern verweise in den Diskurs des Glaubens, der ein ganz anderes Gesicht des Logos und Designers zeigt, „als wir es aus einer Rekonstruktion der Gründe für die Natur erahnen und ertasten können“ (161). Damit hält der Papst eine sympathische Distanz sowohl vom Fideismus, der sich von der Vernunft absetzen will, als auch von einem Rationalismus, der den Plan Gottes nur mit der Vernunft extrapolieren will.
Trotz des Schrecklichen in der Natur von „Plan“ oder „Intelligent Design“ (ID) zu sprechen, wurde die bei der Tagung primär von Kardinal Schönborn stark gemacht (21, 82, 97) – auch mittels eines Papstzitats. Die Abgrenzung vom Kreationismus ist dabei für Schönborn (85) und den Papst (149) selbstverständlich. Der Hinweis auf ID bedeutet aber auch nicht automatisch eine katholische Festlegung auf die neo-kreationistische Intelligent-Design-Bewegung US-amerikanischen Zuschnitts. Während der dortige Anspruch, ID spiele auf naturwissenschaftlicher Ebene, als Kategorienfehler zurückgewiesen werden muss (und höchstrichterlich auch zurückgewiesen wurde), ist gegen die Verwendung von ID im rein theologischen Kontext zunächst nichts einzuwenden: Wer wollte verbieten, den Schöpfer als intelligenten Designer zu bezeichnen? Allerdings: Will man den Eindruck eines Schulterschlusses mit der amerikanischen ID-Bewegung und deren Implikate vermeiden, ist die Wortwahl nicht gerade geschickt.
Fazit
Den Papst kennzeichnet eine vorsichtige Dialoghaltung, die weiß „dass voreilige Harmonisierungen meistens nicht sehr tragfähig sind“ (144), und der ein Bündnis – mit Robert Spaemann gesprochen – möglicherweise für zu früh erachtet. Eine Dialoghaltung, die aber ebenso weiß, „dass wir nicht aufhören dürfen, den Versuch zu machen, die beiden Welten zu vereinen“ (144).

Mittwoch, 9. Mai 2007

Auf der Suche nach Lücken – Anfragen an den Schustervortrag
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Der Schuster-Vortrag (siehe unten) hat eine lebendige Diskussion ausgelöst. Wie angedeutet, waren die Sprünge der Evolution Anlass zu mehrfachem Nachhaken. Ludwig Weimer fragte nach, ob diese Sprünge unerklärlich seien (101), Kardinal Schönborn brachte die Sprünge mit einer „Crux der heutigen Biologie, nämlich dem Artbegriff“ zusammen: „Haben diese Schritte etwas mit der Entstehung der Arten zu tun?“ (107).
Nachdem Schuster versichert hat, dass nun ausgerechnet der Artbegriff „der einzige höhere Begriff [ist], von dem man behaupten kann, dass er in der Biologie gut definiert ist“ (109), modifiziert Schönborn die Nachfrage und erkundigt sich, ob es „erwiesene Übergänge zwischen den Arten“ (110) gebe. In der Tat könne man solche Übergänge – so Schuster – exemplarisch bei den Salamandern beobachten, die den Übergang zur Artbildung, nämlich die fortpflanzungsmäßige Isolation fast schon erreicht hätten (110). Außerdem sei der Eindruck von Sprüngen ein Artefakt, der durch die Wahl der zeitlichen Auflösung bedingt ist: Ist die Auflösung grob, d. h. werden große Zeiträume auf kleinem Raum dargestellt, erscheinen Zeiten, in denen sich viel verändert, als Sprünge, die jedoch bei feiner Auflösung kontinuierlicher aussehen (111).
Auch diese Auskunft stellt Schönborn noch nicht zufrieden; er bringt noch das Argument ins Spiel, dass der historische Evolutionsprozess „nicht experimentell nachvollziehbar“ und damit „die Stammbaumfrage nicht wirklich beantwortet“ sei (111). Wie bereits im Vortrag, so weist Schuster auch hier darauf hin, dass der Stammbaum aus zwei unabhängigen Quellen und deshalb auf überzeugendste Weise erhärtet sei: aus der morphologischen und der genetischen Analyse (112f.).
Zusammen mit der Nachfrage von Vincent Twomey, wie man von etwas Einfachem zu etwas Kompliziertem kommen könne (107) und den Hinweisen von Paul Erbrich (114) und Werner Neuner (123), dass es irreduzibel komplexe Module gebe, deren Entstehung kaum durch Darwinsche Mechanismen erklärbar seien (übrigens ein Hauptargument der Intelligent-Design-Protagonisten), gewinnt man auf den ersten Blick den Eindruck, dass die Theologen permanent auf der Suche nach Erklärungsdefiziten (in diesem Sinne „Lücken“) der Evolutionstheorie sind, die einen göttlichen Designer unabdingbar machen. Bis zu dieser Stelle der Diskussion hatte Schuster offenbar den gleichen Eindruck: „Etwas, das mir die ganze Zeit über missfallen hat, ist, dass man in der Naturwissenschaft Lücken sucht“ (121f.)
Es gab aber auch noch andere Anknüpfungspunkte für den Dialog, wie sich im weiteren Verlauf der Diskussion (auch der anderen Vorträge) zeigen wird. Außerdem wird noch Papst Benedikt XVI. Stellung beziehen – setzt auch der Papst auf Lücken? Es bleibt also spannend; lesen Sie morgen weiter!

Donnerstag, 10. Mai 2007

Robert Spaemann: Evolutionstheorie kann keine hinreichenden Ursachen benennen!
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Zu Beginn seines Beitrags über „Deszendenz und Intelligent Design“ bekennt sich der Philosoph Robert Spaemann zu einem komplementären Modell der Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie (58). Alle bisherigen Integrationsversuche hätten ihr Ziel nicht erreicht, sondern seien letztlich reduktionistisch geblieben: „Mir scheint, es ist für das Bündnis immer noch zu früh“ (58). So bleibt es bei „zwei fundamental verschiedenen Zugängen“ (58).
Zwar können Innerlichkeit, Subjektivität und Aus-sein-Auf etwas (Teleologie) durch den naturwissenschaftlichen Zugang evolutionär aufgeklärt werden, aber was hier aufgeklärt wird, ist „immer nur der Selektionsvorteil von Subjektivität, nicht aber deren Entstehung“ (59). Schließlich könne die „Kategorie der Teleologie … aus einer ateleologischen Realität nicht hergeleitet werden“ (60).
Auch wenn Spaemann in der Selektion einen Trick der Evolution sieht, traut er ihr nichts Schöpferisches zu: Sie kann auch „nur das begünstigen, was einmal da ist“ (61). Sie kann also die Entstehung von kategorial schlechthin Neuem (Leben, Subjektivität) nicht erklären (61). Auch Worte wie „Emergenz“ oder seinerzeit „Fulguration“ (man denke zurück an Konrad Lorenz) erklären nicht, sondern sind nicht mehr als Bezeichnungen der Unableitbarkeit (59).
Wenn Spaemann an dieser Stelle behauptete, der naturwissenschaftliche Zugang könne nicht jeden Aspekt von Subjektivität, Innerlichkeit etc. beschreiben, würden ihm die meisten Naturwissenschaftler folgen und die Legitimität auch anderer Zugänge einräumen – von metaphysischen Naturalisten einmal abgesehen. Aber die Entstehung von Leben und Subjektivität grundsätzlich nicht mit ihren Mitteln erklären zu können, werden die meisten als konkurrenzartigen Eingriff in das Sprachspiel der Naturwissenschaft verstehen. Wie anders sollten sie es deuten, wenn ihnen zugestanden wird, Entstehungsbedingungen zu beschreiben, aber „nicht hinreichende Ursachen“ (62)
Ein anderer Gedanke Spaemanns kommt demgegenüber den Naturwissenschaftlern sehr viel weiter entgegen. Spaemann weist auf die Existenz von Doppelcodierung hin: Es gibt materielle Träger, die Informationen in doppelter Weise enthalten können. So kann ein systemfunktionaler Code die Entstehung verstehen lassen, und ein zweiter Code kann eine ganz andere Botschaft enthalten. Der Autor veranschaulicht die Doppelcodierung mit einer Violinsonate von Bach, die nach kabbalistischer Entschlüsselung der Noten einen lateinischen Text hergibt. Die Musik der Sonate ist ein in sich stimmiges und sinnvolles Ganzes. „Wer aber, einem Gerücht folgend vermutet, dass hier noch etwas verborgen sein könnte, und den Versuch macht, nach einer weiteren Botschaft zu suchen, … dem tritt auf einmal eine weitere, ungeahnte Dimension dieser Musik vor Augen.“ (63) Übertragen bedeutet dies: „Wem das alte Gerücht von einem Schöpfergott keine Ruhe lässt, den wird es nicht einschüchtern, wenn die Naturwissenschaft in der Überlebensfunktionalität die hinreichende (!) Ursache für die Entstehung der natürlichen Arten einschließlich des Menschen zu finden hofft und teilweise schon gefunden hat. Er wird … hier eine ganz anders codierte Botschaft entdecken, die sich auf die erstere in keiner Weise zurückführen lässt, obgleich schon die erste ihre eigene Schönheit hat.“ (63f.) Man kann also offenbar doch den Naturwissenschaftlern hinreichende Ursachen zugestehen, ohne die Tiefendimension zu gefährden, auf die es Philosophen und Theologen ankommt. Und zu diesen Formulierungen passt denn auch das zuvor von Spaemann gemachte Versprechen: „Teleologische Erklärungen konkurrieren nicht mit kausalen“ (61).
Lesen Sie morgen, wie Spaemanns Thesen aufgenommen wurden!

Freitag, 11. Mai 2007

Fragen an Spaemann: Nur komplementäres Nebeneinander?
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Ausdrücklich greift Peter Schuster das Phänomen der Doppelcodierung auf, das ihn „sehr fasziniert“ hat (124). Damit kann man sehr gut ein komplementäres Nebeneinander beider Zugänge zur Wirklichkeit plausibel machen – Zugänge, die nicht aufeinander reduzierbar sind und gleiche Berechtigung haben: „Die Musik ist so gut wie der Text“ (124) – wie Schuster sagt. Aber: Ist im Moment nicht mehr als ein Nebeneinander möglich? „Etwas enttäuscht war ich schon, dass Sie die Unmöglichkeit des zielstrebigen Dialogs so stark herausgestrichen haben“ (132), bedauert Schuster schließlich.
Die sowohl von Schuster als auch von Spaemann eingebrachte Unterscheidung „der Naturwissenschaftler als solcher“ und „als Mensch“ hätte an dieser Stelle für eine Verbindung des Nebeneinanders möglicherweise fruchtbarer werden können, denn – so Spaemann – „der Naturwissenschaftler als Naturwissenschaftler ist natürlich auch Mensch“ (132). Was Spaemann jedoch stark machen will, ist der jedem Menschen mögliche lebensweltliche Zugang, den Naturwissenschaftler gern solange als provisorisch und vor-wissenschaftlich abtun, bis er wissenschaftlich erschlossen ist. Dagegen Spaemann: Wenn „mein Hund Hunger hat, muss ich nicht warten, bis der Naturwissenschaftler mir das Phänomen Hunger erklärt“ (132).
In ähnlicher Weise scheint auch die Theologie nicht auf die Naturwissenschaft angewiesen zu sein. Zwar muss sie aus pragmatischen Gründen informiert sein (quasi, um ihren ideologischen Gegner zu kennen, der alles in jeder Hinsicht naturalistisch zu erklären beansprucht), aber thematisch brauche die Theologie keine naturwissenschaftlichen Zusammenhänge zu kennen: „Sonst hätte es schließlich auch keine gute Theologie gegeben, ehe es nicht eine gute Naturwissenschaft gab, was aber offenbar der Fall war“ (126).
Dies ist ein treffendes Argument gegen Naturalisten wie Richard Dawkins, der mit G. G. Simpson behauptet, dass alle Versuche, die Sinnfrage vor Darwin zu beantworten, „wertlos sind, und dass es für uns besser ist, sie völlig zu ignorieren“ (Das egoistische Gen, Berlin 1978, 1).
Insofern hat Spaemann Recht; sicher gab es vor Darwin und den Naturwissenschaften gute Theologie. Nur, was nützt uns heute (im Zeitalter der Naturwissenschaften) eine „gute“ Theologie, die richtige Antworten auf Fragen bereithält, die keiner mehr stellt?
Lesen Sie ab Montag, was Kardinal Schönborn zur „Evolutionismusdebatte“ beisteuert.

Montag, 14. Mai 2007

Christoph Kardinal Schönborn: Auferstehung Christi als Zielpunkt der Evolution
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Manche mögen mit Spannung erwarten, wie sich Kardinal Schönborn positioniert. Schließlich war Schönborns breit und heftig diskutierter Artikel in der New York Times („Finding Design in Nature“) der Anlass, das Papsttreffen dem Thema „Schöpfung und Evolution“ zu widmen.
Zu Beginn seines Beitrags geht Schönborn kurz auf diesen Anlass ein. Die Leidenschaft der Debatte seines Artikels gründe letztlich in der existenziellen Frage, ob sich das Universum blindem Schicksal oder weisem Plan verdankt. (81) Zunächst lässt Schönborn die Frage offen: „Sprechen manche besonders komplexe Phänomene nicht deutlich für ein ‚intelligent desing’ in der Natur?“ (82) Während noch Newton für den göttlichen Plan optierte, habe Darwin (84) und in Folge die heute gängige Evolutionstheorie (82) das Kontrastprogramm entwickelt, nämlich die Artenvielfalt in Zufallsmutationen und deren Überlebenschancen gründen zu lassen.
Schönborn zweifelt nicht daran, „dass Darwin mit seiner Theorie dem Materialismus wissenschaftlich zum Sieg verhelfen wollte“ (84). Insofern „diese ideologische, weltanschauliche Komponente in Darwins Theorie“ (84) Grund der passionierten Diskussionen sei, sei es vorrangig die Aufgabe der Naturphilosophie, hier für Klarheit zu sorgen (84): „Die entscheidende Frage liegt aber nicht auf der Ebene der Naturwissenschaften, auch nicht auf der der Theologie, sondern zwischen beiden: der Naturphilosophie“ (85). Hier gehe es um mehrere Schritte:
– Unterscheidung von Wissenschaft und Weltanschauung bzw. Ideologie (84f)
– Es muss erlaubt sein, die ideologischen Seiten zu kritisieren (85)
– Es muss erlaubt sein, die offenen Fragen der Evolutionstheorie zu diskutieren (85)
Beim letzten Punkt notiert Schönborn Widerstand von seiten der scientific community – was mich allerdings kaum wundert: Wer würde hier nicht mögliche Übergriffe befürchten; die Zeiten, in denen sich die Theologie als „norma negativa“ für die Naturwissenschaften verstand, sind noch nicht sehr lange her (vgl. die Diskussionen um humani generis, der ‚frühe’ Rahner in den 50er Jahren etc.). Meine Meinung: Biologische Fragen können nicht theologisch gelöst werden!
Die Tendenz, dies doch zu tun, zeigt sich einige Seiten später. Mit Adrian Walker bezweifelt Schönborn, dass „das Zusammenspiel von (genetischer) Mutation und natürlicher Selektion eine hinreichende Erklärung der Entstehung neuer Lebensformen“ (86f.) ist. Denn wenn diese ausreichten, gäbe es „keinen Grund, warum blinde Materie der erste Ursprung des Lebens nicht sein könnte“ (87). Meine Frage: Warum kann Schönborn die Entscheidung, ob eine hinreichende Erklärung zur Lebensentstehung vorliegt, nicht den Evolutionstheoretikern überlassen, warum kann Materie nicht tatsächlich selbst Ursprung des Lebens sein? Schönborn selbst liefert mit Thomas von Aquin Argumente in diese Richtung: „Die Natur ist nichts anderes als … die Kunst Gottes, die den Dingen eingegeben ist und durch die die Dinge selber auf ihr bestimmtes Ziel hin ausgerichtet werden … Es ist das so als wenn der Erbauer eines Schiffes den Hölzern die Fähigkeit verleihen könnte, dass sie aus sich selber heraus dazu bewegt würden, die Schiffsgestalt hervorzubringen“ (91). Was ist dieses „aus sich selber heraus“ denn anderes als das Zugeständnis, eine hinreichende Ursache zu sein?
Wenn man geneigt ist, weiter zu fragen (z. B.: Wie kommt es denn, dass die Hölzer diese Eigenschaft haben?), so liegt dies auf einer anderen Ebene, die dann auf den Designer verweisen mag (ich denke da an die „Doppelcodierung“, von der Spaemann sprach). Zu Recht fragt Schönborn: „Wer erkennt das design? Und: Wie wird es erkannt? Darwin sagt, im Detail der Naturforschung könne er keinerlei Art von design erkennen. Mit der streng wissenschaftlichen, quantitativen, messenden Methode wird das wohl auch nicht möglich sein.“ (89) Eben: Erst die zweite Codierung, die mit der ersten in keinerlei Konkurrenz steht, legt den Blick auf den Designer frei.
Die zentrale Frage bei Schönborn ist: Wer hat Zugang zu dieser Codierung? Unmissverständlich wiederholt Schönborn, was auch schon in der New York Times zu heftiger Kritik geführt hat: „Der katholische Glaube hält … daran fest, dass die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“ (87). Eine rein materiell orientierte Wissenschaft sei dagegen „einseitig“: „Es fehlt ihr das, was eigentlich den Menschen als Menschen kennzeichnet: seine Gabe, sich mit Verstand und Intuition über die materiellen Bedingungen zu erheben und zum Sinn, zur Wahrheit, zur ‚Botschaft des Autors des Textes’ vorzustoßen“ (95).
Aber genau das ist es doch: Die Sinnfrage ist eine Frage des Menschen als Menschen, nicht als Naturwissenschaftler, der sich methodisch auf die Textimmanenz beschränkt. Weiter gefragt: Kann denn der Mensch als Mensch eindeutig auf den Autor eines Textes schließen? Der von Schönborn zitierte Richard Schaeffler geht ja gerade von Texten aus, in denen der Autor (ausdrücklich) nicht vorkommt (anders als Spaemann, bei dem – in einem ähnlichen Bild – der Regisseur selbst im Film vorkommt, 120).
Noch einmal meine Meinung: Man muss kein Analphabet der zweiten Codierung sein, wenn man aus dem Text der Schöpfung nicht „mit Gewissheit“ den Schöpfer als Autor identifizieren kann.
Auch hierfür liefert Schönborn Argumente – besser gesagt: Das Argument: „Der Glaube an einen guten Schöpfer, an sein ‚progetto intelligente …’ (Papst Benedikt XVI. …), wird durch die schier endlosen Grausamkeiten in Frage gestellt.“ (97) Abgesehen davon, dass man im Zitat durchaus von ‚intelligent design’ (authentische englische Übersetzung des ‚progetto intelligente’) hätte sprechen können:
Schönborns Stärke ist es, sich hier und ausführlich in seiner jüngsten Veröffentlichung (Ziel oder Zufall, Freiburg 2007, 93-110) der größten Herausforderung (auch von Seiten der weltanschaulich interessierten Evolutionsbiologen) zu stellen, dem Übel als „Fels des Atheismus“ (Büchner). Hier weicht Schönborn nicht aus und will nicht „vorschnell … das ‚intelligent design’ zeigen“ (97). Die tragfähige Antwort auf die Theodizeefrage liegt für Schönborn nicht in der Vernunft, sondern in Jesus Christus: „Das Kreuz ist der Schlüssel zu Gottes Plan … So wichtig, so unerlässlich eine erneute, vertiefte Anstrengung in Sachen Naturphilosophie ist, das Wort vom Kreuz ist Gottes letzte Weisheit. … Das Kreuz aber ist das Tor zur Auferstehung.“ Und „hier ist der Zielpunkt ‚der Evolution’. Von ihrem Ende, ihrer Vollendung her zeigt sich auch ihr Sinn“ (98).
Aber (Schönborn gegen den Strich gebürstet): Kann man eigentlich noch deutlicher sagen, dass es gerade nicht die Perspektive der Vernunft, sondern die des Glaubens ist, die ein göttliches design zu erkennen vermag?
Morgen (wenn das Margen-Darm-Virus meiner Familie mich unerwarteter Weise nicht erreicht haben sollte – Theodizee ganz praktisch ) lesen Sie: Schönborn in der Diskussion.

Freitag, 18. Mai 2007

Die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit: Kard. Schönborn in der Diskussion
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Etwas verspätet (das Virus hatte tatsächlich Besitz von mir ergriffen) ein kurzer Einblick in die Diskussion des Beitrags von Kardinal Schönborn. Die interessanteste Kontroverse entzündetet sich an Schönborns oft wiederholter Aussage: „Der katholische Glaube hält … daran fest, dass die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“ (87).
Der Systematiker Siegfried Wiedenhofer, der ansonsten mit der „Gesamtabsicht völlig einverstanden“ (158) war, glaubt anders als Schönborn, „dass man die Vernünftigkeit des Glaubens nicht in einer … Ordnungsstruktur der Welt suchen sollte, darin, dass sozusagen alles gut läuft“ (159). Denn so gut laufe es de facto ja nicht, und die Schöpfung könne vom Erlösungsdenken nicht abgekoppelt werden. Dagegen schlägt Wiedenhofer vor:
Vernünftigkeit des Glaubens liegt „nicht in einem möglichst optimalen Ordungsarrangement“, sondern:
Vernünftigkeit des Glaubens liegt in der Fähigkeit des Glaubens, „gerade die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit aus ihren Möglichkeitsbedingungen heraus zu begreifen“ (159).
In gewisser Weise stimmt Schönborn dem auch zu, indem er ebenfalls auf den Glauben als hermeneutischen Schlüssel des Sinnverstehens verweist: „Der Glaube – insbesondere an die Auferstehung – erschließt uns einen Sinnhorizont, der natürlich den Glauben an einen Schöpfer voraussetzt“ (160). Dessen Gesamtplan würden wir zwar nicht erkennen, aber Schönborn hält daran fest, dass wir zumindest „Stücke seiner Gedanken … erkennen“ und „auf sein Gesamtprojekt … vertrauen“ dürfen. Man beachte: „vertrauen“!
Und im selben Atemzug fällt dann der Hinweis auf das Wort des Papstes vom „Intelligent Design“ des Kosmos (etwas hinter dem italienischen Wortlaut „progetto intelligente“ versteckt).
Wie positioniert sich Papst Benedikt XVI. selbst in diesem Dissens zwischen Kardinal Schönborn und Wiedenhofer?
Die Antwort auf diese Frage lesen Sie am kommenden Dienstag. Dies leitet dann dazu über, die Position des Papstes zum gesamten Tagungsthema, zu Schöpfung und Evolution, aus dem Dokumentationsband zu erschließen. Also: Bis zur nächsten Woche Ihnen ein schönes Wochenende.

Dienstag, 22. Mai 2007

Evolutionstheorie ist keine Universaltheorie alles Wirklichen! Positionierungen von Papst Benedikt XVI.
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Der vorliegende Band ist in doppelter Hinsicht geeignet, sich der Position des Papstes in der Frage nach Evolution und Schöpfung anzunähern und der Sphäre der bloßen Befürchtungen und des rein Spekulativen zu entziehen. Zum einen hat Kardinal Schönborn im Vorwort ausführlich die Stellungnahmen Ratzingers über die Jahre dokumentiert, zum anderen hat sich Ratzinger als Papst kommentierend in die Diskussion der Gandolfo-Tagung 2006 eingemischt. Daraus ergibt sich ein erstes (vorläufiges) Bild, das vor 40 Jahren beginnt und in die aktuelle Debatte mündet.
Rückblick
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Äußerungen Ratzingers die eigentliche Frontstellung. Es ist nicht die Evolutionstheorie als solche, die Ratzinger kritisch hinterfragt, sondern eine Evolutionstheorie, die sich grenzüberschreitend zu einer Art philosophia universalis, also zu einer Gesamterklärung alles Wirklichen ausdehnt und dabei keine andere Denkebene mehr zulässt (9f., 12, 17-19). Dies kann nicht deutlich genug gegenüber dem verbreiteten Missverständnis betont werden, der Konflikt richte sich direkt gegen die Evolutionstheorie als naturwissenschaftliche Theorie. Dagegen macht Ratzinger deutlich: „Wo Naturwissenschaft zur Philosophie wird, ist es die Philosophie, die sich mit ihr auseinandersetzen muss“. Dann aber ist „die eigentliche Gesprächsebene … die des philosophischen Denkens“ (10). Hier stimmt Ratzinger mit Schönborn überein, für den „die entscheidende Frage … nicht auf der Ebene der Naturwissenschaften, auch nicht auf der der Theologie [liegt], sondern zwischen beiden: der Naturphilosophie“ (85; Hervorhebung Schönborn).
Diese Lokalisierung des eigentlichen Streit- und Dialogortes dürfte so manchen (Schein-)Konflikt entschärfen. Aber wie so oft, so liegt auch hier der Teufel im Detail. Wie fügen sich die Problemfelder Evolution im allgemeinen und Entstehung des Menschen im besonderen diesem Dialogmodell? Wo genau liegen z. B. naturwissenschaftliche Grenzüberschreitungen vor?
Konfliktfeld „Evolution“
Im Bereich der Evolution bereite es „für den Glauben heute keine Schwierigkeit mehr …, die naturwissenschaftliche Hypothese Evolution sich gemäß ihrer eigenen Methoden ruhig entfalten zu lassen“ (10). Die Grenze kommt mit der Frage in den Blick, ob „das solchermaßen als Weg verstandene Sein, die Evolution im ganzen, einen Sinn habe“ (11f.). Diese Frage könne „nicht innerhalb der Evolutionstheorie selbst entschieden werden; für sie ist das eine methodenfremde Frage“ (12). Die Zuständigkeit für die Sinnfrage wird denn auch von Naturwissenschaftern meist widerspruchslos an ein „Glaubenssystems“ abgetreten – an welches auch immer. Erst in diesem, die Fakten deutenden System (nicht in den Lücken des naturwissenschaftlichen Systems) hat dann der Schöpfungsglaube seine Berechtigung: „An Schöpfung glauben heißt die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt im Glauben als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt verstehen“ (13). Schöpfung betrifft dabei das Sein als ganzes, „als zeitliches und werdendes“ (12) und nicht irgendwelche punktuellen Eingriffe. Schöpfung ist „nicht ein ferner Anfang und auch nicht ein auf mehrere Stadien verteilter Anfang“ (12) und ist auch „nicht nach dem Muster des Handwerkers zu denken, der allerlei Gegenstände macht“ (13). Das Bild eines solchen Handwerker-Gottes ist leider allzu verbreitet und führt dann konsequent zu (Schein-)Konflikten. Denn ein Handwerker-Gott ist zumeist ein Lückenbüßer-Gott: Sein Wirken wird in Lücken der Evolution sichtbar, die Suche nach ihm gestaltet sich als Suche nach den Lücken der Evolution(stheorie). Schöpfung dagegen in Ratzingers Sicht ist die „Weise, in der das Denken schöpferisch ist“. Die Vorstellung vom schöpferischen Denken macht sichtbar, „dass das Ganze der Seinsbewegung … Schöpfung ist“ (13), nicht bloß der Anfang oder das Füllen einer Lücke.
Konfliktfeld „Mensch“
Diese Vorstellung bewährt sich auch bei der Entstehung des Menschen – bei der die Aussage der unmittelbaren Erschaffung der menschlichen Seele auf den ersten Blick sperrig wirkt. Heißt „unmittelbar“ nicht „unvermittelt“ oder „direkt“, sprich „ohne das Mittel der Evolution“? Die Spannung löst sich auch hier auf, wenn Ratzinger daran erinnert, „Dass auch hinsichtlich der Erschaffung des Menschen die Schöpfung nicht einen fernen Anfang bezeichnet, sondern mit Adam jeden von uns meint: jeder Mensch ist direkt zu Gott“ (14). Wie der Denker nicht nur am Anfang einer Gedankenkette steht, sondern jeden Gedanken unmittelbar schöpferisch trägt, so ist auch jeder Mensch unmittelbar von Gottes Schöpferkraft getragen. Die „unmittelbare Erschaffung des Menschen“ setzt also auch in diesem speziellen Fall keine Lücke im evolutiven Geschehen voraus – allen gängigen Missverständnissen zum Trotz.
Das Besondere der Erschaffung des Menschen liegt in dem besonderen Gewolltsein durch Gott: „nicht nur als Gebilde, das er gedacht hat, sondern als Existenz, die ihn wieder denken kann. Dieses spezifische Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott nennen wir seine besondere Erschaffung.“ (15) Dies ist deutlich eine Bestimmung auf theologischer Ebene; eine Bestimmung, die nicht in Konkurrenz zur evolutiven Beschreibung steht, da „unmittelbar“ und „direkt“ nicht auf der Ebene der innerweltlichen Ursachen zu verstehen sind.
Zusammen gefasst: die Sinnfrage und das besondere Gewolltsein des Menschen von Gott aus der Zuständigkeit der Evolutionstheorie auszuklammern, könnte auf weiten Konsens stoßen – auch auf Seiten der Naturwissenschaftler.
Schwieriger wird es, wenn Ratzinger die Reichweite der Evolutionstheorie detaillierter hinterfragt. Lesen Sie dazu morgen mehr!

Mittwoch, 23. Mai 2007

Ist „Makroevolution“ biologische Grenzüberschreitung? Detailfragen des Papstes
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Im weiteren Verlauf hinterfragt Ratzinger (im historischen Rückblick des vorliegenden Bandes) die Reichweite der Evolutionstheorie detaillierter. Gemeint ist hier die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution. Zunächst gesteht Ratzinger die Zuständigkeit der Evolutionstheorie für die Mikroevolution zu: „Niemand wird die wissenschaftlichen Beweise für die mikroevolutiven Prozesse ernstlich in Zweifel ziehen können“ (18). Und er fährt fort: „Nicht darauf bezieht sich daher die Frage, die ein Gläubiger der modernen Vernunft gegenüber stellen wird, sondern auf die Ausdehnung zu einer philosophia universalis, die zur Gesamterklärung des Wirklichen werden will“. Zu Recht weist Ratzinger die Grenzüberschreitung zurück, die eine Evolutionstheorie vornimmt, wenn sie sich zur alles erklärenden Weltanschauung ausweitet.
Wo aber wird eine solche illegitime Grenzüberschreitung greifbar: „Innerhalb der Evolutionslehre selbst deutet sich das Problem an beim Übergang von der Mikro- zur Makroevolution“ (18). Hier ist für mich nicht plausibel, warum dieser Übergang problematisch oder gar eine Grenzüberschreitung sein soll. Warum kann die Makroevolution nicht legitimer Gegenstand der Evolutionstheorie sein?
Überraschenderweise bezieht sich Ratzinger in seiner Argumentation auf Reinhard Junker und Siegfried Scherer (18), deren evolutionskritisches Lehrbuch zwar nicht mehr so offensiv wie in früheren Auflagen einen Kurzzeitkreationismus nahelegt, immerhin aber die Makroevolution durch punktuelle Schöpfungen von separaten, nicht evolutiv verbundenen Grundtypen (darunter auch den Menschen) ersetzen will. Transportiert die Kritik an der Makroevolution als trojanisches Pferd nicht allzu leicht das Schöpfungsmodell der Grundtypen? Dies könnte kaum im Sinne Ratzingers sein, da die Grundtypen-Schöpfung mit Ratzingers Schöpfungsverständnis im obigen Sinne m. E. nicht vereinbar ist.
Noch einmal rückt Ratzinger deshalb die Detailfrage nach der Makroevolution in den eigentlich intendierten Kontext: „Die Frage, die hier zu stellen ist, reicht freilich tiefer: Es geht darum, ob die Evolutionslehre als Universaltheorie alles Wirklichen auftreten darf, über die hinaus weitere Fragen nach Ursprung und Wesen der Dinge nicht mehr zulässig und auch nicht mehr nötig sind“ (18f.). Die Detailfrage nach der Makroevolution ist also eingeklammert von der Hauptfrage nach der Grenzüberschreitung Richtung Weltanschauung, die damit die Funktion eines hermeneutischen Schlüssels einnimmt. Eine Detailfrage „X“ hat demgegenüber eine abgeleitete oder konkretisierende Funktion: „X ist kritisierbar, insofern X eine illegitime Grenzüberschreitung impliziert“. Impliziert „X“ dies nicht, gehört X dem rein naturwissenschaftlichen Diskurs an und hat damit den Kampfplatz (Philosophie) erst gar nicht betreten.
Ein aufschlussreicher historischer Rückblick auf die Äußerungen Ratzingers also! Der Rückgriff auf die Kreationisten wird den Biologen nicht entgehen, wie der Beitrag des Biologen Reichholf im September zeigen wird (siehe Presseschau).
Aber wie hat der Papst auf die Vorträge der Tagung reagiert? Mehr dazu am Freitag.

Freitag, 25. Mai 2007

Rationalität, aber auch das Rätsel des Schrecklichen in der Natur. Papst reagiert auf die Vorträge.
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Vor weiteren Detailfragen äußert Papst Benedikt XVI. Anmerkungen zur grundsätzlichen Verhältnisbestimmung. Einerseits nimmt er den Hinweis Spaemanns, dass es für ein Bündnis noch zu früh sei, insofern gerne auf, als er der Meinung ist, „dass voreilige Harmonisierungen meistens nicht sehr tragfähig sind“ (144). Andererseits weist er darauf hin, „dass wir nicht aufhören dürfen, den Versuch zu machen, die beiden Welten zu vereinen, und dahinter zu sehen, welcher Codex das Ganze trägt, ohne dass wir zu einer Harmonisierung gelangen könnten“ (144). Ein wenig mag dies Peter Schuster entgegen kommen, der ja über das bloße und festgeschriebene Nebeneinander etwas enttäuscht war (132).
Wenn also Dialog, wo ist dann die geeignete Plattform dafür? Im Konsens mit Kardinal Schönborn (der hier von Naturphilosophie spricht, 84) und in Kontinuität zu seinen früheren Äußerungen, die vorgestern aufsummiert wurden, streicht der Papst erneut die Philosophie als entscheidende Instanz heraus: „Die Evolutionslehre [impliziert] Fragen …, die der Philosophie zugeordnet werden müssen und von sich aus über den Innenbereich der Naturwissenschaften hinausführen“ (150). Im Einzelnen sind dies:
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1. Da die Evolutionslehre in großen Teilen experimentell nicht beweisbar sei, gebe es „erhebliche Lücken“ (150). Der viel und gern zitierte Ausspruch Johannes Pauls II., „die Evolutionslehre ist mehr als eine Hypothese“, sei zwar begründet, aber zugleich gelte, „dass die Evolutionslehre noch keine komplette, wissenschaftlich verifizierte Theorie ist“ (151). Konsequent sprechen Theologen häufig von „Evolutionslehre“ und nicht von „Evolutionstheorie“. Diese Wortwahl wird manchen Biologen in die Hände spielen, die hier eine Ähnlichkeit mit der Strategie der Kreationisten vermeinen, die die verschiedenen Codes terminologisch verschleiern (beides sind ja „-lehren“) und das eine mit dem anderen auf derselben Ebene aushebeln wollen (siehe Kutschera, Streitpunkt Evolution, Münster 2004, 141).
2. Die Frage der evolutiven Sprünge sei zu vertiefen. (151)
3. Der Papst greift schließlich das Dialogangebot von Schuster auf und findet es bedenkenswert, „dass der Korridor, in dem sich die Entwicklung abspielen konnte, schmal ist“ (151).
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Zu Frage 1 gibt Schuster zu bedenken, dass man von der Evolutionstheorie ungerechterweise mehr verlange als von anderen Theorien. So seien beispielsweise Phänomene der Quantentheorie erst 70 Jahre nach ihrer theoretischen Formulierung experimentell bestätigt worden (EPR-Phänomen), ohne dass man seinerzeit am Theoriestatus gezweifelt habe (153). Außerdem gründe die Plausibilität der Evolutionstheorie nicht nur in experimenteller Bestätigung, sondern speise sich aus mehreren unabhängigen Quellen (wie z. B. aus der morphologischen und der genetischen Rekonstruktionen des evolutiven Stammbaums) (153).
Bei der 2. Frage hat Schuster schon Schönborn zu bedenken gegeben, dass der Eindruck von Sprüngen ein Artefakt sei, der durch die Wahl der zeitlichen Auflösung bedingt ist: Ist die Auflösung grob, d. h. werden große Zeiträume auf kleinem Raum dargestellt, erscheinen Zeiten, in denen sich viel verändert, als Sprünge, die jedoch bei feiner Auflösung kontinuierlicher aussehen (111).
Zu 3: Verständlicherweise war Schuster erfreut, den eigenen Brückenvorschlag vom Papst aufgegriffen zu sehen. Denn hier, und nicht in Lücken oder Sprüngen der Evolution, sieht Schuster Anknüpfungspunkte: „Wenn wir den Prozess nun als Ganzen sehen, diesen langen Korridor vom Urknall über die Entstehung des Lebens zur Entstehung des Menschen, so dokumentiert dieser … einen Plan, den ich nicht in der Naturwissenschaft finde, welche ja die einzelnen Prozesse betrachtet. Dieser Korridor kann das Werk eines Schöpfers darstellen“ (154)
Offenbar ist es nicht irrational, in der kosmischen Entwicklung das Werk des Schöpfers zu decodieren. Spiegelt sich hier das, was der Papst mit der Rationalität der Materie und ihres gesamten Entwicklungsprozesses meint? „Woher stammt diese Rationalität? Gibt es eine ursprunggebende Rationalität, die sich in diesen beiden Zonen und Dimensionen von Rationalität spiegelt?“ (152). Wenn der Papst sagt, „die Naturwissenschaft kann und darf darauf nicht direkt antworten“ (152), findet er sich vom Naturwissenschaftler Schuster bestätigt. Dieser sagt ausdrücklich, dass er mit der Deutung des engen Korridors „aus der Naturwissenschaft herausgetreten“ ist (154). Die Schlagzeile des Spiegels „Papst weist Naturwissenschaft in die Schranken … ein Affront gegenüber Vertretern eines modernen Weltbilds“ bedient damit zwar medienwirksam einen papstkritischen Trend, ist aber wissenschaftstheoretisch unreflektiert.
Aber bleiben wir bei dieser Rationalität. Bedeutet diese, dass – wie Schönborn annimmt – „die Vernunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit … erkennen kann“?
Hiermit löste Schönborn nicht nur in dem umstrittenen Beitrag in der New York Times („Finding Design in Nature“) heftige Kritik aus. Auch auf der Gandolfo-Tagung distanziert man sich, und neben Siegfried Wiedenhofer ist es kein geringerer als der Papst selbst, der zu bedenken gibt: „Natürlich gibt es die Rationalität in der Natur, aber sie gestattet uns nicht, eine totale Einsicht in den Plan Gottes zu gewinnen. Es bleiben also die Kontingenz und das Rätsel des Schrecklichen in der Natur“ (161). Diese „Komponente des Schreckens“ sei „nicht mehr philosophisch auflösbar“, sondern verweise in den Diskurs des Glaubens, der ein ganz anderes Gesicht des Logos und Designers zeigt, „als wir es aus einer Rekonstruktion der Gründe für die Natur erahnen und ertasten können“ (161). Damit hält der Papst eine sympathische Distanz sowohl vom Fideismus, der sich von der Vernunft absetzen will, als auch von einem Rationalismus, der den Plan Gottes nur mit der Vernunft extrapolieren will.
Trotz des Schrecklichen in der Natur von „Plan“ oder „Intelligent Design“ (ID) zu sprechen, wurde die bei der Tagung primär von Kardinal Schönborn stark gemacht (21, 82, 97) – auch mittels eines Papstzitats. Die Abgrenzung vom Kreationismus ist dabei für Schönborn (85) und den Papst (149) selbstverständlich. Der Hinweis auf ID bedeutet aber auch nicht automatisch eine katholische Festlegung auf die neo-kreationistische Intelligent-Design-Bewegung US-amerikanischen Zuschnitts. Während der dortige Anspruch, ID spiele auf naturwissenschaftlicher Ebene, als Kategorienfehler zurückgewiesen werden muss (und höchstrichterlich auch zurückgewiesen wurde), ist gegen die Verwendung von ID im rein theologischen Kontext zunächst nichts einzuwenden: Wer wollte verbieten, den Schöpfer als intelligenten Designer zu bezeichnen? Allerdings: Will man den Eindruck eines Schulterschlusses mit der amerikanischen ID-Bewegung und deren Implikate vermeiden, ist die Wortwahl nicht gerade geschickt.
Fazit
Den Papst kennzeichnet eine vorsichtige Dialoghaltung, die weiß „dass voreilige Harmonisierungen meistens nicht sehr tragfähig sind“ (144), und der ein Bündnis – mit Robert Spaemann gesprochen – möglicherweise für zu früh erachtet. Eine Dialoghaltung, die aber ebenso weiß, „dass wir nicht aufhören dürfen, den Versuch zu machen, die beiden Welten zu vereinen“ (144).
 
 
 

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