Schöpfung und Evolution – ‚Aktuelles Fenster‘ zu einer Tagung mit Papst Benedikt XVI.

Anlass des „Aktuellen Fensters“ (26.06.2007, Stuttgart-Hohenheim) war die jüngst erschienene Dokumentation einer aufsehenerregenden Tagung, auf der Papst Benedikt XVI. 2006 das Thema „Schöpfung und Evolution“ diskutiert hat. (Siehe unsere Rezension)
Zwei Teilnehmer der Papst-Tagung, der Naturwissenschaftler Peter Schuster und der Philosoph Robert Spaemann, zwei katholische Theologen, der Ratzingerschüler Wolfgang Beinert und Ulrich Lüke, sowie ein protestantischer Theologe, Dirk Evers, diskutierten über die Stellung der katholischen Kirche zur Evolutionstheorie.

Podium

V.l.n.r.: Robert Spaemann, Wolfgang Beinert, Heinz-Hermann Peitz, Ulrich Lüke, Dirk Evers, Peter Schuster
Foto: Frank Eppler


Seit Kardinal Christoph Schönborn 2005 in der New York Times den umstrittenen Artikel „Finding Design in Nature“ (siehe unsere Dokumentation) platziert und damit – gewollt oder ungewollt – einen Schulterschluss mit der US-amerikanischen Intelligent- Design-Bewegung signalisiert hat, aber auch seit Papst Benedikt XVI. in einer Audienz am 9. November 2005 von „intelligent design“ sprach, vermeinten viele einen kirchenamtlichen Rückschritt hinter die versöhnliche Haltung Johannes Pauls II. wahrzunehmen (siehe „Päpstliches„).
Nun erschien im Frühjahr 2006 unter dem Titel „Schöpfung und Evolution“ (unsere Rezension) die Dokumentation einer aufsehenerregenden Tagung, auf welcher der Papst dieses Konfliktfeld mit seinem Schülerkreis diskutiert hat. Das Buch war Anlass zu einem „aktuellen Fenster“ der Akademie. Als Referenten konnten zunächst zwei Teilnehmer der Papst-Tagung gewonnen werden: der Naturwissenschaftler Peter Schuster (Wien) und der Philosoph Robert Spaemann (Stuttgart). Zusammen mit zwei katholischen Theologen, Wolfgang Beinert (Pentling) und Ulrich Lüke (Aachen), sowie dem protestantischen Theologen Dirk Evers (Tübingen) diskutierten sie die Stellung der katholischen Kirche zur Evolutionstheorie. Drei Grundfragen standen dabei im Vordergrund:

  • Stellt der Papst die Evolutionstheorie in Frage?
  • Legt sich die Kirche auf die umstrittene Theorie vom „intelligenten Design“ fest?
  • Ist es für ein Bündnis zwischen Theologie und Evolutionstheorie noch zu früh?

Den Ausgangspunkt markiert der naturwissenschaftliche Beitrag. Peter Schuster ist Universitätsprofessor für Theoretische Chemie an der Universität Wien und Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dass Schuster zusammen mit Nobelpreisträger Manfred Eigen Beiträge über die Entstehung des Lebens publiziert hat, sei deshalb an dieser Stelle erwähnt, weil der Übergang vom Nichtlebenden zum Leben nicht ungern theologisch vereinnahmt wird. Wo nun sieht Peter Schuster theologische Anknüpfungspunkte?

Molekulargenetischer und morphologischer Stammbaum

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Peter Schuster: Der schmale Korridor bis zum Menschen sollte Anknüpfungspunkt für die Theologie sein!
Foto: Frank Eppler


Peter Schuster eröffnet die Tagung mit einer Bestandsaufnahme der Evolutionstheorie. Dass Evolution stattgefunden hat, weiß Schuster plausibel zu belegen. Das überzeugendste Argument für Evolution liegt in der Tatsache, dass der Stammbaum, der sich aus der Morphologie der Lebewesen rekonstruieren lässt, mit dem Stammbaum übereinstimmt, der sich molekulargenetisch – also völlig unabhängig vom morphologischen Stammbaum – rekonstruieren lässt. Nur hartgesottene Gegner werden das ‚Dass‘ der Evolution bezweifeln. Aber wie steht es mit den Mechanismen der Evolution? Ist die Entwicklung hin zu immer komplexeren Lebewesen auf natürlichem Wege erklärbar (Selbstorganisation)? Schuster trat dem grundlegenden Argument entgegen, Komplexität könne nicht aus Einfachem entstehen, indem er auf so genannte zelluläre Automaten hinwies. Bei diesen entstehen aus einfachen Anfangsbedingungen komplexe, dynamische Muster, die sogar „zweckorientiertes Verhalten vortäuschen können“.

Jeder Schlag ein Treffer

Die evolutionäre Landschaft liegt bildlich gesprochen zwischen einem ebenen Golfplatz, auf dem ungezielte Schläge (sprich: Mutationen) nie das Loch erreichen werden, und einem Trichter, bei dem jeder Schlag ins Ziel führt. Auf diese Weise bringt die Selektion eine Richtung in den zufälligen Mutationsprozess. Um philosophischen Begehrlichkeiten vorzubeugen, ist darauf hinzuweisen, dass in der Perspektive des Neodarwinismus diese Zielgerichtetheit nicht als Triebkraft, sondern lediglich als Ergebnis des Evolutionsvorganges verstanden wird (Teleonomie statt Teleologie). Bei der Beschreibung der Evolutionsmechanismen spielt in kontroversen Diskussionen immer wieder eine Rolle, dass in der Evolution große Schritte und Stufen zu höheren Komplexitätsebenen lokalisierbar sind. Stufen stehen allerdings nicht für kausale Diskontinuität, so als bräuchte man hier eine zusätzliche, externe Erklärung. Die zur Erklärung der Stufen benötigten Zusatzmechanismen gehören sämtlich dem Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft an. Es ist dies zum Beispiel die Kooperation früherer Konkurrenten, die sich auf höherer Ebene zu einer organisierten Einheit zusammenschließen, die dann wieder den darwinschen Mechanismen ausgesetzt ist.

Schmaler Korridor – viele Nadelöhre

In den Schlussbemerkungen macht Schuster unmissverständlich klar, dass die Evolution als ein Prozess beschrieben werden kann, „der nach den Naturgesetzen abläuft und der keiner Intervention von außen bedarf“. Nicht die Suche nach möglichen Interventionen von außen sollte – Schuster zufolge – den Brückenschlag zur Theologie bilden, sondern vielmehr der Gesamtverlauf der Evolution, die es auf faszinierende Weise geschafft hat, durch viele Nadelöhre den „schmalen Korridor“ vom Urknall zum Menschen zu durchschreiten.


Kann der Philosoph Robert Spaemann, der sich seit Jahrzehnten mit dem Erklärungsanspruch der Evolutionstheorie auseinandergesetzt hat, den Brückenschlag annehmen? Auf der einen Seite kommt Spaemann dem Naturwissenschaftler entgegen, insofern er nicht oberflächlich an Lücken anknüpft. Entscheidendes Beziehungsmodell ist für den Philosophen die Doppelcodierung: Es gibt materielle Träger, die Informationen in doppelter Weise enthalten können. So kann ein funktionaler Code die Entstehung von Dingen verstehen lassen und ein zweiter Code kann eine ganz andere Botschaft enthalten.

Zwei verschieden codierte Botschaften

Robert SpaemannFoto: Frank Eppler

Robert Spaemann: Für das Bündnis ist es zu früh!
Foto: Frank Eppler


Spaemann veranschaulicht die Doppelcodierung mit einer Violinsonate von Bach, die nach kabbalistischer Entschlüsselung der Noten einen lateinischen Text hergibt. Die Musik der Sonate ist ein in sich stimmiges und sinnvolles Ganzes. „Wer aber einem Gerücht folgend vermutet, dass hier noch etwas verborgen sein könnte, und den Versuch macht, nach einer weiteren Botschaft zu suchen, … dem tritt auf einmal eine weitere, ungeahnte Dimension dieser Musik vor Augen.“ Übertragen bedeutet dies: „Wem das alte Gerücht von einem Schöpfergott keine Ruhe lässt, den wird es nicht einschüchtern, wenn die Naturwissenschaft in der Überlebensfunktionalität die hinreichende Ursache für die Entstehung der natürlichen Arten einschließlich des Menschen zu finden hofft und teilweise schon gefunden hat. Er wird … hier eine ganz anders codierte Botschaft entdecken, die sich auf die erstere in keiner Weise zurückführen lässt, obgleich schon die erste ihre eigene Schönheit hat.“ Man kann also offenbar den Naturwissenschaftlern hinreichende Ursachen zugestehen, ohne die Tiefendimension zu gefährden, auf die es Philosophen und Theologen ankommt. Aber wie passen beide Zugänge zusammen?

Komplementäre Zugänge zur Wirklichkeit

Bereits zu Beginn seines Beitrags lässt Spaemann keinen Zweifel daran, dass er skeptisch ist, wenn es um Harmonisierungen geht: „Alle Versuche der Integration beider Sehweisen auf eine einzige haben bisher ihr Ziel nicht erreicht. Sie blieben reduktionistisch. Entweder fühlte sich die Naturwissenschaft in ihrem Anspruch nicht ernst genommen, oder Menschen fanden, dass ihre elementaren Erfahrungen nicht erklärt, sondern wegerklärt wurden.“ So bekennt sich Robert Spaemann zu einem komplementären Modell der Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie, zu zwei fundamental verschiedenen Zugängen: „Mir scheint, es ist für das Bündnis immer noch zu früh. Und zwar bleibt es, so vermute ich, für alle Zeiten zu früh.“

Reaktionen

Bereits bei der Papst-Tagung hatte Peter Schuster die Dialogprognose Spaemanns bedauert: „Etwas enttäuscht war ich schon, dass Sie die Unmöglichkeit des zielstrebigen Dialogs so stark herausgestrichen haben.“ Auch das Publikum des ‚aktuellen Fensters‘ hakte in der Diskussion an dieser Stelle mehrfach nach. Spaemann präzisierte: „Wenn der Dualismus so radikal wäre, dass er zu zwei Wahrheiten führte: das kann nicht funktionieren.“ Aber beide Zugänge zur Wirklichkeit entsprächen zwei Interessen des Menschen, die nicht aufeinander rückführbar seien.
Was sich Spaemann allerdings durchaus vorstellen kann, ist eine Theorie, die diese Dualität verständlich macht: „Die Physiker haben ja eine Theorie, warum man den Ort eines Elementarteilchens und den Impuls nicht gleichzeitig feststellen kann. Das heißt, das ist ja auch kein radikaler Dualismus, sondern es ist eine Theorie darüber, warum beides nicht zusammenkommen kann.“ Konsens bestand zumindest darin, dass keiner eine vorschnelle Harmonisierung wünscht. Auch keine Harmonisierung, die vorschnell von der Natur auf einen Designer schließt.

Intelligenter Designer: ein gefährliches Wort

Unwidersprochen blieb der Hinweis des Dogmatikers Wolfgang Beinert auf ein unzureichendes Gottesbild bei der Debatte um Intelligent Design. „Das Wort vom intelligenten Designer ist ein gefährliches Wort, und mir scheint, dass diese ganze Auseinandersetzung von einem Gottesbild ausgeht, das letzten Endes Gott zu einem Teil der Welt macht. Denn wenn Gott notwendig ist, damit ich die Evolution erklären kann, und wenn die Evolution ein innerweltlicher Vorgang ist, dann mache ich eben Gott zu einem Teil der Welt. Er verliert seine Transzendenz und ist eben nicht mehr Gott.“
Auch Spaemann hielt den Gedanken, hier sollte irgendwie zurückgegangen werden von der Evolutionstheorie überhaupt, für abwegig. Zwischen Papst Benedikt und seinem Vorgänger gebe es da „überhaupt keinen Unterschied“. Man müsse ja auch bedenken, „dass die Reden, die der verstorbene Papst gehalten hat, im Wesentlichen von Kardinal Ratzinger gemacht worden sind.“

Hauptvorträge

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Fotos: Frank Eppler

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