Die „edition unseld“ ist eine neue Buchreihe, die den Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften anregen und unterstützen will. Sie startete im April 2008 mit acht Titeln. Zu den Autoren gehören Dichter, Geistes- und Naturwissenschaftler, Wissenschaftshistoriker und Medienexperten: Die Autoren sollen die Sachfragen mit wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Argumenten diskutieren. Es geht um Manifeste, Essays, Streitschriften und Dialoge in einer aktuellen Debatte zwischen Sein und Sollen, Wissen und Wollen, Dürfen und Können.
Der bekannte Nobelpreisträger R. B. Laughlin eröffnet die Reihe mit seinem Essay zu der Frage: Gibt es in der heutigen Wissenschaftsgesellschaft ein „Verbrechen der Vernunft“, welches insbesondere mit der Zunahme der Technologien und der Geheimhaltung von Wissen zusammenhängt? Weitere Detailfragen schließen sich an: Wann werden heute Erkenntnisse aus wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Gründen als illegal erklärt? Welche Konsequenzen haben die Absurditäten des Patentrechts der USA für innovatives Denken und kreatives Forschen? Die Mechanismen der Geheimhaltung von Wissen spielen heute in der Atomphysik, in der Gentechnik und in der Informatik eine immer größer werdende Rolle. R. B. Laughlin macht deutlich, dass diese Mechanismen der Geheimhaltung von Wissen für Kultur und Gesellschaft nicht folgenlos bleiben können. Sie führen mittelfristig zu Desinformation und Ignoranz. Der Autor will nicht nur informieren, sondern auch provozieren. Dazu tragen sowohl die ausgewählten Beispiele als auch die kurzen und prägnanten Formulierungen bei. In Verbindung mit der zusammenfassenden Würdigung des Essays können nur punktuell und exemplarisch wenige markante Aussagen akzentuiert werden.
Die elektronischen Technologien wie das Internet dienen keineswegs nur der Verbreitung von Wissen, sondern letztlich sogar der Vernichtung von Wissen. Unsere Gesellschaft schottet „gefährliches Wissen“ in solchem Umfang, so schnell und so sorgfältig ab, wie noch keine andere Gesellschaft in der Geschichte! In der reinen Wissenschaft ist man der Meinung, dass das Feuer des Geistes etwas „Heiliges“ ist, das nicht gekauft und auch nicht verkauft werden kann. Dies trifft jedoch längst nicht mehr zu. Der enge Zusammenhang zwischen geistigen Schöpfungen und dem Recht verleiht dem geistigen Eigentum eine gewisse Anrüchigkeit, die für andere Formen des Eigentums nicht zutrifft. Ein Beispiel sind die Absurditäten des Patentrechts der USA. Dieses ist nicht wegen seiner theoretischen Grundlagen oder wegen der sprachlichen Formulierungen so verwirrend, sondern wegen der „sonderbaren Parallelwelt“, die sich darin dokumentiert. Die Absurdität und Komplexität des Patents kann dazu führen, dass mittelfristig die erfinderische Kreativität blockiert wird. Darüber hinaus geht es um viel Geld. So erstritt das City of Hope Medical Center ein Urteil über mehr als 500 Millionen Dollar gegen die Firma Genentech wegen der Missachtung von Lizenzverpflichtungen aus der Nutzung eines für die DNA-Rekombinierung wesentlichen Patents. R. B. Laughlin stellt entsprechend fest: „Seit Gerichte entschieden haben, dass Computerprogramme keine Algorithmen und Gensequenzen keine Naturgesetze sind, scheint es kaum mehr einen Schutz dagegen zu geben, dass bald auch Wind, Schmutz oder gar das Denken schlechthin patentiert werden“.
Heute wird zu Unrecht insbesondere kerntechnisches Wissen als besonders gefährliches Wissen eingestuft. Dagegen bergen chemische und biologische Waffen, die Robotertechnologie, neuartige Raketen, Computerangriffe auf weltweit funktionierende Finanzsysteme ähnliche Gefahren für Menschenleben. Die unausgesprochene Sorge und Angst vieler Menschen, dass „Denken und Vernunft unmoralisch sein könnten“, steckt auch hinter den extremen Reaktionen auf die Stammzellenforschung und die Klonversuche, die im Unterschied zur Sequenzierung der Genome von Mikroben größte wissenschaftliche Bedeutung besitzen. R. B. Laughlin erwähnt in diesem Zusammenhang sogar „Klonskriege“, die in Zukunft möglich sein können.
In unserer heutigen „Spaßgesellschaft“ kommt der Zerstreuung eine herausragende Bedeutung zu. Die Elektronik hat längst den lukrativen Markt der leichten Unterhaltung entdeckt. Hier geht es um den sonderbaren Begriff des „Wegwerfwissens“. Wissen wird eigentlich primär als etwas Positives bewertet, und weggeworfen wird insbesondere etwas Wertloses! Das „Wegwerfwissen“, hat etwas mit der Kurzlebigkeit der Konsumgesellschaft zu tun. Das Wegwerfen von Wissen ist nicht nur praktisch, sondern auch für den Markt von großer Bedeutung.
Solch eine ambivalente Einstellung zur Kriminalisierung des Wissenserwerbs verstellt uns den Blick auf einen tief greifenden, ungelösten Konflikt in der Gesellschaft und in unseren Köpfen, nämlich zwischen ökonomischer Stabilität und Sicherheit auf der einen und den Menschenrechten auf der anderen Seite. Die Kriminalisierung von Wissen stellt darüber hinaus eine potentielle Bedrohung für unsere schöpferische kulturelle Tradition dar.
Über den Autor
Robert B. Laughlin, geboren 1950, ist Physik-Professor an der Stanford University, wo er nach Stationen am Massachusetts Institute of Technology und in Berkeley seit 1985 lehrt. 1998 bekam er für seine Arbeiten über den fraktionellen Quanten-Hall-Effekt den Nobelpreis für Physik. Er ist u.a. Fellow der American Academy of Arts and Sciences und lebt in Palo Alto, Kalifornien.
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