Der Kleine Darwin

 
Der bekannte Wissenschaftshistoriker (Universität Konstanz) E.P. Fischer teilt hier seinen Leserinnen und Lesern alles mit, was sie seiner Meinung nach im „Darwin-Jahr 2009“ über „Evolution“ wissen sollten! Er stellt „Darwins Welt“ (1809-1882) vor, beschäftigt sich ausführlich mit Schlüsselbegriffen der Evolutionstheorie (z.B. Selektion, Anpassung, Fitness, Art und Artbildung, Gene und ihre Dynamik, „Evo-Devo“ usw.), trifft grundlegende Unterscheidungen (z.B. Darwinismus und Lamarckismus, Homologie und Analogie, Divergenz und Konvergenz, Phylogenese und Ontogenes) und stellt im abschließenden Kapitel die „Conditio Humana“ vor. Im Mittelpunkt steht hier „der bipolare Affe“ (Schimpanse und Bonobo), die Physiologische Frühgeburt (A. Portmann), das Familienleben, die Beziehungen zwischen Mann und Frau sowie das „poetische Tier und die Evolution im Kopf“. Besonders hervorzuheben ist, dass es dem Autor immer wieder gelingt, komplexe und komplizierte Phänomene und Zusammenhänge übersichtlich und klar darzustellen. Zu dieser Klarheit und Präzision tragen auch die Begriffsableitungen, Begriffserklärungen und Definitionen bei, die jeweils am Anfang eines Abschnittes stehen. Dadurch erhält der Text eine gewisse didaktische Komponente.
Der bekannte Genetiker Th. Dobzhansky hat einmal gesagt: „In der Biologie ergibt nichts einen Sinn, wenn man es nicht im Licht der Evolution betrachtet“ und die Evolution als erkenntnisführendes Konzept hat nicht nur über die Natur und ihre Dynamik aufgeklärt, sondern auch uns Menschen viele Einsichten über unsere Biologie vermittelt. Dennoch gibt es immer noch das Geheimnisvolle und Rätselhafte. Dazu gehört etwa das Leben selbst als ein Erkenntnis gewinnender Prozess (vgl. Konrad Lorenz), ebenso die Grundqualitäten unseres Gehirns. Und Albert Einstein stellte fest: „Denn das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Wissenschaft und Kunst steht“. Es ist etwas den Menschen Kennzeichnendes, das Schöne hervorzubringen, nämlich „die Schönheit des Geheimnisvollen“, das wir auch in der Natur selbst immer wieder bestaunen können und welches auch Charles Darwin stark beeindruckte. E.P. Fischer stellt an der betreffenden Stelle fest: „Wir werden nie sagen können, was er (der Mensch) ist, und ebenso wenig werden wir festlegen können, wie er geworden ist und was er jetzt ist. Dennoch werden wir weiter versuchen, es zu erkunden, da dies unsere Natur mit sich bringt. Wir wollen wissen, und wir werden daran nichts ändern wollen“.
„Der kleine Darwin“ klammert viel ein und lässt vieles unerörtert, was den Menschen auszeichnet, so etwa die Sprache, das Lachen und Weinen, seine Frömmigkeit und das Göttliche, sein maßloses Verlangen nach Anerkennung, seine grenzenlose Gier nach Besitz, sein ungebrochenes Streben nach Wissen. Man kann auch sagen: Jeder Mensch will etwas sein, etwas haben und möglichst viel gelten!
Vielen erscheint die Kultur des Menschen als eigentliche Natur. Mit diesem Thema hat sich der Konstanzer Verhaltensbiologe und spätere Wissenschaftsmanager (Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft – DFG) Hubert Markl (1) intensiv beschäftigt.
Wir wissen heute, dass die Erkundung der Erbmoleküle und ihrer Dynamik zu neuen Erkenntnissen in die Mechanismen des Lebendigen geführt hat. Diese stimmen nicht nur mit Darwins Grundgedanken überein, sondern stärken und präzisieren diese. Hierauf macht S.B. Carroll in seinem neuen Werk „Die Darwin-DNA“ (2) nachdrücklich aufmerksam
Aus der Perspektive und Problemsicht der Verhaltensforschung hat Frans de Waal in Verbindung mit den Gedanken der Evolution den Menschen als „bipolaren Affen“ beschrieben. In seiner neuen Publikation „Primaten und Philosophen“ (3) geht es um die „Evolution der Moral“. De Waals Ansatz wird hier von drei Universitäts-Philosophen sowie einem Vertreter der Evolutionspsychologie kommentiert und kritisiert. Abschließend nimmt Fr. de Waal nochmals zu den Kommentaren und kritischen Anmerkungen der Philosophen und des Psychologen Stellung. Er räumt ein, dass es eine Ebene der Abstraktion und der Selbstreflexion gibt, die erst entstanden ist, als unsere Spezies die evolutionäre Bühne betrat.
Auch für Ch. Darwin war und blieb die Natur voller Geheimnisse. So konnte er sich nur schlecht vorstellen, wie das menschliche Auge, unser faszinierendes Sehorgan, von der Evolution blindlings zusammengewürfelt worden ist. Er stellte besorgt fest: „Wenn ich an das menschliche Auge denke, bekomme ich Fieber“. J.W. von Goethe war bereits vor Ch. Darwin ebenso überwältigt. Er schrieb: „Wär“ nicht das Auge sonnenhaft, / die Sonne könnt‘ es nie erblicken, / läg‘ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / wie könnt uns Göttliches entzücken?
Bei einer Neuauflage des „Kleinen Darwin“ sollten eventuell die folgenden Werke berücksichtigt werden:
(1) Hubert Markl:
„Natur als Kulturaufgabe – Über die Beziehung des Menschen zur lebendigen Natur“ DVA-Stuttgart (1986)
Hubert Markl: „Evolution, Genetik und menschliches Verhalten – Zur Frage wissenschaftlicher Verantwortung“ Serie Piper München (1986)
Hubert Markl: „Wissenschaft zur Rede gestellt – Über die Verantwortung der Forschung“ Serie Piper Aktuell München (1989)
(2) Sean B. Carroll: :
„Die Darwin-DNA – Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt“ Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel S. Fischer Verlag Frankfurt (2008) – Rezension G. Kleinschmidt in: „Naturwissenschaftliche Rundschau“ 61.Jhg.Heft 11/2008
(3) Frans de Waal:
„Primaten und Philosophen – Wie die Evolution die Moral hervorbrachte“
Carl Hanser Verlag München (2008) – Rezension G. Kleinschmidt in: ABB-Information Nr. 64/0kt. 2008, 17. Jhg. ISSN 1619-1420

Zum Autor

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Ernst P. Fischer, geb. 1947 in Wuppertal, studierte Mathematik und Physik in Köln, Biologie am California Institute of Technology in Pasadena (USA) (Promotion 1977), war Habilitationsstipendiat der DFG im Bereich Wissenschaftsgeschichte (Habilitation 1987) und lehrt heute als apl. Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität in Konstanz Für seine Arbeit erhielt er mehrere Preise, u. a. den Sartorius-Preis der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Fischer ist Autor zahlreicher erfolgreicher Bücher.
Siehe auch Fischers Beitrag „ScienceVision – Über die Zukunft der Wissenschaften

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