Traditionalismus als Dialoghindernis

Der Traditionalismus, der in diesen Tagen durch die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft ins Bewusstsein gerückt ist, tut sich nicht nur interreligiös sondern auch interdisziplinär schwer. Seine Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Ablehnung der Öffnung zur Welt, ihrer Autonomie und ihrer Wissenschaften.

Der Gründer der Piusbruderschaft, Marcel Lefebvre, sah im Konzil ein Werk des Satans, das die Kirche dem Modernismus übergibt. (1) Verständlich, dass Pius X., Namensgeber der Bruderschaft, für Lefebvre Programm ist, denn Pius X. ist der Papst des „Antimodernismus“.
Konkreter auf den Dialog mit den modernen Wissenschaften bezogen kritisiert Lefebvre in seinem berühmt gewordenen „Manifest“ die konziliaren und nachkonziliaren Reformen: „Alle diese Reformen haben in der Tat an der Zerstörung der Kirche, … am naturalistischen und teilhardistischen Unterricht an den Universitäten, in den Priesterseminaren und in der Katechese beigetragen und weitergewirkt. Der Unterricht … wurde bereits einige Male vom Lehramt der Kirche feierlich verurteilt“(2). Die Frontstellung gegen Teilhard de Chardin ist für den Kommentator und damaligen Befürworter Lefebvres, Rudolf Krämer-Badoni, selbstverständlich. Krämer-Badoni sieht sich zur Feststellung gemüßigt, dass der – wie er es nennt – „Teilhardismus“ in Frankreich „den größten Einfluss aus[übt], diese dilettantische Lehre des jesuitischen Paläontologien Teilhard de Chardin, wonach ‚wissenschaftlich’ eine unausweichliche organische und moralische Evolution den ganzen Kosmos durchherrscht, während zwecks Versöhnung der Wissenschaft mit dem Glauben Gott als Weltseele, der eschatologische Christus als evolutionärer Zielpunkt, der Mensch schließlich als automatisch Mitwirkender an dieser unausweichlichen Evolution erscheinen“(3). Der Verärgerung darüber, dass dieser Teilhard nun auch im Zweiten Vaticanum Anerkennung findet, lässt Krämer-Badoni freien Lauf:
„Und selbstverständlich notiert Rahner im Kommentar glückselig: ‚Und so ist auch Teilhard zu Ehren gekommen!’ – derselbe Teilhard, über den das heilige Offizium noch 1962 befand, alle Oberen hätten die Aufgabe, ‚die Geister – namentlich die jungen Menschen – vor den in den Werken Pater Teilhard de Chardins und seiner Anhänger enthaltenen Gefahren zu schützen’. Aber da ja laut Rahner Modernismus nur ein ‚gehässiges Schimpfwort’ ist und laut Peter Neuner … eine Anzahl modernistischer Thesen, die Anfang des Jahrhunderts ‚als häretisch verfolgt wurden’, im letzten Konzil ‚ihren Platz gefunden haben’, nimmt es nicht Wunder, dass wir auch den Ausbund des Neomodernismus, diesen Teilhard, im Konzil rezipiert sehen.“(4)
Dass die Ablehnung der Evolutionstheorie nicht nur der Vergangenheit angehört, zeigt eine interessante Beobachtung von Reinhold Leinfelder, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin. Leinfelder fand auf den Internetseiten der deutschen Piusbruderschaft den kreationistischen Film „Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“ von Fritz Poppenberg. Kurz nach dem 27. Januar wurde das Video jedoch plötzlich entfernt. Leinfelder hat die Vorgänge mit Screenshots dokumentiert.

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Screenshot von Reinhold Leinfelder


Exemplarisch zeigt sich an dieser Abwehrhaltung, was Hermann-Josef Pottmeyer allgemein herausgearbeitet hat; dass nämlich „die eigentliche Option des heutigen Traditionalismus nicht die Treue zur unverkürzten Tradition, sondern die Ablehnung der modernen Gesellschaft … ist“(5). Die Traditionalisten mögen manche Probleme zu Recht benennen, aber ihre Lösungsrezepte können nicht überzeugen. „Vielmehr fördern sie die Polarisierung, weil die Extreme sich gegenseitig erzeugen und steigern“(6). Nur zu gut ist eine solche Polarisierung in den letzten Jahren an den Konflikten um Kreationismus und ‚neuem’ Atheismus nachzuzeichnen gewesen. An dieser Stelle zeigen sich sogar Gemeinsamkeiten von Kreationismus, der eher dem protestantischen Fundamentalismus zuzurechnen ist, und katholischem Traditionalismus: „Beide entstanden als Reaktion auf die sich säkularisierende Gesellschaft … Beide stellen eine Synthese von theologischen und ideologisch-politischen Optionen dar, die auf die Aushöhlung traditioneller Autoritäten reagieren … Beide tragen ihre Auffassungen in ungewöhnlich polemischer Weise vor“(7).
Alles in allem: Eine Hinwendung zum Traditionalismus wäre eine Abwendung vom Dialog, auch vom interdisziplinären Dialog.

Anmerkungen

  • 1 Vgl. Alois Schifferle, Marcel Lefebvre – Ärgernis und Besinnung, Kevelaer 1984, 113.
  • 2 Marcel Lefebvre, Grundsatzerklärung, zit. nach www.kreuzforum.net. Vgl. Rudolf Krämer-Badoni, Revolution in der Kirche – Lefebvre und Rom, München 1980, 117.
  • 3 Ebd. 120.
  • 4 Ebd.
  • 5 Hermann-Josef Pottmeyer, Toleranz und Traditionalismus – Beobachtungen zur gegenwärtigen Entwicklung in der Kirche, in: Nicolaus Klimek (Hg.), Universalität und Toleranz, Essen 1989, 153-160, 155.
  • 6 Ebd. 157.
  • 7 Pottmeyer greift hier (ebd. 158) auf J. A. Colemans Analyse zurück.

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