So langsam kommt die Sache ins Rollen! Die umstrittene Kreationisten-Ausgabe von Darwins Origin wird nun in einer Auflage von 170000 kostenlos an Studierende verteilt. In seiner 50-seitigen „Speziellen Einführung“ argumentiert Ray Comfort mit seiner kreationistischen Alternative gegen Darwin.
Schon Anfang November gab es eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen Ray Comfort und der Direktorin des National Center for Science Ecudation, Eugenie Scott, über die geplante Veröffentlichung und deren Auslassungen bzw. Defizite. (Ich habe in der Presseschau berichtet; s.u.). Vielleicht ist es dieser Auseinandersetzung zu verdanken, dass zumindest der Text von Darwins „On the Origin of Species“ vollständig abgedruckt ist.
Trotzdem fehlten in der Vorschau vom 4. November noch ein entscheidendes Diagramm und die Epigraphe von Bacon und Whewell. Dass Whewell unterdrückt wird, verwundert kaum, denn dieser nimmt in dem verschwiegenen Zitat an, „dass Ereignisse nicht durch isolierte Eingriffe einer göttlichen Macht verursacht werden, in jedem Einzelfall angewandt, sondern durch die Einrichtung allgemeiner Gesetze“ – was so gar nicht in die kreationistische Denke passt, aber sehr bewusst von Darwin als Motto seinem Werk vorangestellt wurde. Ausführlich hat die Darwin-Expertin Eve-Marie Engels darauf hingewiesen, dass Whewells Zitat von Darwin bewusst als Motto seinem Werk vorangestellt wurde, einem Werk, das sich von der ersten bis zur letzten Seite gegen den Spezialkreationismus abgrenzt. Umso paradoxer, dass jetzt Kreationisten Darwins „Origin“ verschenken. Die Paradoxie löst sich indes zwanglos auf: Es kommt eben nicht auf Darwin, sondern auf die Einführung an!
Biologe Ken Miller zur Kreationisten-Einführung

Kenneth R. Miller: „Sie haben Darwins Buch und die Evidenz für Evolution entstellt“.
Foto von Gavin Sullivan, CC-BY 2.0
Der weltweit angesehene Evolutionsbiologe Kenneth Miller, der sich für die Vereinbarkeit von Glaube und Evolutionstheorie ausspricht, ist bekannt und populär wegen seines Einsatzes gegen Kreationismus und Intelligent Design. Miller hat gegen die Einführung von Ray Comfort einen prägnanten Flyer verfasst, der als englische pdf-Datei frei verfügbar ist. Miller betrachtet es als „eine der niederträchtigsten Dinge dieser Einführung zu implizieren, Darwin wäre ein Rassist und Sexist und für die Nazi Ideologie verantwortlich gewesen, die zum Holocaust geführt habe – das ist absoluter Unsinn“ (im Interview von CNN, siehe im Original unten; zit. nach NCSE). Im Flyer geht Miller auch gegen die naturwissenschaftlichen Verzerrungen an; die Argumente u.a.:
- Evolution und Zufall: Die Autoren der „Einführung“ behaupten, nach der Evolutionstheorie entstehe die DNA „durch reinen Zufall“ (S. 9). Miller: Evolution ist kein reiner Zufall, sondern „gelenkt durch nicht-zufällige natürliche Selektion“. Unglaublicherweise stützen sich die Autoren auf Francis Collins, um nahezulegen, dass die DNA „designed“ sei (S. 11). Collins ist ein strenger Kritiker von „Intelligent Design“. Statt sich über die Gemeinsamkeiten unseres Erbgutes mit Schimpansen und Bananen lustig zu machen, sollten die Autoren dies als Hinweis auf gemeinsame Abstammung anerkennen.
- Übergangsformen: Für die Autoren gibt es keine Übergangsformen im Fossilbericht (S. 13-20). Im Gegenteil, so Miller: „Tatsächlich ist der Fossilbericht voll davon, und jedes Jahr werden neue entdeckt“. Bestes Beispiel sei die Übergangsform zwischen Fischen und Vierbeinern, der 2006 entdeckte Tiktaalik. Miller liefert weitere Beispiele.
- Mutationen: Nach den Autoren müssten Wissenschaftler immer noch „auch nur eine einzige Mutation finden, welche genetische Information verbessere“ (S. 22). Längst sei dagegen klar, dass durch Genduplikation, Diversifikation etc. spektakuläre Gewinne der genetischen Information erreicht werden, inkl. der Produktion neuer biochemischer Möglichkeiten.
- Das Auge: Kreationisten geben gern vor, die Evolutionstheorie behaupte die Entstehung komplexer Organe wie der des Auges aus Zufall (S. 28-30). Miller: „Unsinn: Das Auge entstand in Schritten wie alles andere auch, und die Welt des Lebendigen zeigt uns, dass diese Zwischenschritte gut funktioniert haben.“ Miller zeigt Bilder von sechs einfacheren, aber voll funktionsfähigen Augen anderer Tiere, die zeigen, dass das Wirbeltierauge nicht auf einmal „voll ausgebildet“ erscheinen musste, wie die Autoren behaupten.
Der letzte Teil der Einleitung enthülle, was durchgängig offensichtlich ist: Dass die wahren Gründe gegen die Evolution nicht wissenschaftlicher Art sind, sondern religiöser. Aber auch hier verzerrten die Autoren – laut Miller – die Realität. Ihr zentrales Argument sei, dass Evolution einen atheistischen Materialismus erforderlich mache und Religion zurückweise, ja dämonisiere. Sicherlich – so Miller – seien viele Wissenschaftler einschließlich vieler Evolutionsbiologen nicht religiös. Viele andere aber seien religiös wie Francis Collins, Francisco Ayala, Theodosius Dobzhansk – und befürworten eine Vereinbarkeit wie Miller selbst und der zusätzlich erwähnte Theologe John Haught (siehe mein Interview mit Haught).
Mehr Information enthält die englische pdf-Datei und die Information des NCSE unter dontdissdarwin.com.
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