Klassische und neue Atheisten

Johanna Rahner Vom Vulgäratheismus zu den echten Herausforderungen

Johanna Rahner Vom Vulgäratheismus zu den echten Herausforderungen


Inhaltlich bringe der neue Atheismus nichts Neues, sondern bediene lediglich „Uraltklischees einer Vulgäraufklärung“, so die systematische Theologin Johanna Rahner in den Worten Klaus Müllers. Von diesem „marktschreierischen Feuilleton-Atheismus“ seien ernster zu nehmende Ansätze zu unterscheiden, die eine neue Runde atheistischer Religionskritik einzuläuten scheinen. Das seien zum einen die auf Jan Assmann zurückgehende Kritik am immanenten Gewaltpotential jedes Monotheismus und zum anderen die durch Peter Sloterdijk versuchte Aufhebung der Religion durch deren naturalisierende Erklärung. Beide nährten sich auch und gerade von den Ansätzen der klassischen Religionskritiker und forderten eine tiefer reichende theologische Selbstreflexion als Reaktion heraus.
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Zusammenfassungen von J. Rahner (Links anklicken)

[spoiler title=’1. Aktuelle Situationsanalyse: Von der ‚Wiederkehr der Religion‘ zur ‚Wiederkehr des Atheismus“ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Ein offener Blick in die Welt zeigt: Religion ist im Kommen und diese ‚Wiederkehr der Religion‘ ist auch nicht nur ein Feuilleton-Ereignis. Die säkularisierte Moderne erweist sich als eine Chimäre. Religion hat auch in unseren Breiten nicht abgenommen, sondern sie hat nur die Form gewechselt, hat sich individualisiert und hat sich entkirchlicht. Die gleichen Feuilletons, die zuvor die Wiederkehr der Religion priesen, sprechen nun von einem (notwendigen?) Kreuzzug der Atheisten und warnen vor der Wiederkehr eines religiösen Fanatismus, d.h. jenes Zerrbildes von Religion, vor der uns nur eine religionskritische Aufklärung über das Macht- und Gewaltpotential von Religion retten kann, die am Ende doch nur zur Verabschiedung von der Religion führen muss.[/spoiler]
[spoiler title=’2. Religionskritik als Aufklärung des Menschen über sich selbst – Feuerbach und Nietzsche‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]2.1 Religion als Projektion (Ludwig Feuerbach)
Feuerbachs Ausgangspunkt ist im Grundsatz seines ‚Wesens des Christentum‘ zu finden: ‚Religion‘ ist ‚Bewusstsein des Unendlichen‘. In der Religion vergegenständlicht der Mensch also sein eigenes Wesen, in dem er es ‚in den Himmel projiziert‘. Gott ist sozusagen die ins Vollkommene gezogene Extrapolation des Menschen; das vom Menschen sich selbst gesetzte transzendente Über-ich. Doch damit entfremdet sich der Mensch von sich selbst und er entzieht sich eigentlich seiner Verantwortung für das eigene Menschsein. Bei der Frage von Theismus und Atheismus geht es nicht um Fakten in der Welt sondern um Sichtweisen auf die Welt als Ganze und die daraus resultierenden Einstellungen zur Welt. Es sind keine Aussagesätze darüber, was in der Welt Sache ist, sondern wie das, was Sache ist von Bedeutung ist; wie das, was Sache ist, praktisch wirksam wird.
2.2 Der Tod Gottes und seine Folgen (Friedrich Nietzsche)
Im christlichen Gottesgedanken findet nach Nietzsche die Illusion einer absoluten Wahrheit ihre höchste Aufgipfelung und ihre letzte Zusammenfassung. ‚Gott ist unsere längste Lüge, Gleichnis und Dichtererschleichnis‘; er ist der Gegensatzbegriff zum Leben, Ausdruck des Ressentiments gegen das Leben. Der Atheismus hat als letzte, unaufhaltsame, ja epochale Konsequenz den Nihilismus. Nietzsches Grundidee zielt daher nicht nur auf eine Kritik von Religion und Glaube. Sie ist zugleich die Kritik jeglicher Anthropologie, die noch irgendein Element der Gesichertheit und des menschlichen Daseins annimmt. Sie ist Anti-Anthropologie als eine radikalisierende Infragestellung aller Anthropologie. Nietzsche konfrontiert uns also nicht nur mit der Frage Theismus oder Atheismus. Schon gar nicht kritisiert er nur sentimentale und moralisierende Zerrformen des Christentums; man kann seiner Kritik deshalb nicht durch ein paar Retuschen am Gottesbild gerecht werden. Nietzsche erkennt die Folgen der Entgötterung und das heißt auch der Entleerung der Welt, die dann keine 50 Jahre später angesichts der modernen Möglichkeiten von Naturwissenschaft und Technik zu ihrer praktischen Auswirkung gekommen ist und bis heute kommt.[/spoiler]
[spoiler title=’3. ‚Ich bin dann mal weg…?‘ Von der Wiederkehr der Religion und ihren spätmodernen Spielarten‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]3.1 Die Religionenfrage im ‚alten Europa‘
Jenseits des alten Europa ist Welt nicht nur religiös wie immer, sondern sie wird mancherorts religiöser denn je, und dieses Gefühl schwappt nun – wie gesehen – auch nach Europa über. Doch gerade hier erscheint wiederum das ‚Alte Europa‘ als Ausnahme; und dies auf eine zweifache Weise. I. Fundamentalismen haben hier immer noch weniger Chancen, als in anderen Teilen der Welt. II. Das ‚Alte Europa‘ ist zwar insofern keine Ausnahme als dass Religion eben wieder zum Thema geworden ist, aber insofern schon, als dass zugleich eine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Phänomen stattgefunden hat und noch weiterhin stattfindet.
3.2 Der Vormarsch der Fundamentalisten
Nicht nur in Lateinamerika verliert die katholische Kirche immer mehr Mitglieder an evangelikale und pfingstlerische Gruppierungen. Deren Gemeinden ködern die Menschen mit modernen Marketingmethoden. Vulgärer Hardcore-Glaube feiert weltweit die größten Erfolge. Dass dabei der Fundamentalismus zum Verkaufsschlager im postmodernen Supermarkt der Spiritualitäten wird, ist wohl die entscheidende Herausforderung der späten Moderne in Sachen Religion.[/spoiler]
[spoiler title=’4. Im Westen nichts Neues? – Zum medialen Revival eines militanten Vulgäratheismus‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Aus dem angelsächsischen Bereich schwappen nun aber in den letzten Jahren die Wellen eines Neuen Atheismus in das alte Europa über, der gegen ein solche unaufgeklärte Präsenz des Religiösen nun auch publizistische Großkaliber auffährt. Dawkins und Hitchens treten mit einem sendungsbewusst-militanten hardcore-Atheismus auf, der nicht nur kein Klischee auslässt, sondern – auch um bewusst zu provozieren – vor Denunziationen der Religion nicht zurückgeschreckt. Von Selbstaufklärung der Religion wie der Diskussion der religionskritischen Argumente des letzten Jahrhunderts hat kaum einer je etwas gehört. Klaus Müller, der Münsteraner Religionsphilosoph, spricht anschaulich von den ‚Uraltklischees einer Vulgäraufklärung‘.[/spoiler]
[spoiler title=’5. Vom ‚Lob des Polytheismus Ägyptens‘ zum ‚Imperativ der Ego-Veredlung‘ – zwei aktuelle atheistische Herausforderung an die Adresse der Theologie‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]5.1 Die Mosaische Unterscheidung und ihre Konsequenzen
Die Mosaische Unterscheidung, wie sie exemplarisch im biblischen Bilder- und Fremdgötterverbots Gestalt gewinnt, verhindert so die eigentliche kulturelle Leistung der antiken Religionen, nämlich ihre Fähigkeit, den eigenen Götterpantheon in den der anderen Religionen zu übersetzen und damit Brücken zwischen den Völkern und Religionen zu bauen. Die Mosaische Unterscheidung verhindert dies, indem sie dieser Übersetzbarkeit durch die Einklagung eines grundlegenden und unüberbrückbaren Unterschieds einen Riegel vorschiebt. So wird sie zur Quelle von Intoleranz, Ausgrenzung und Gewalt. Was Assmann übersieht, ist die Tatsache, dass biblisch stets eingeforderte Unterscheidung von Gott und Welt selbst ein eminent kritisches Potenzial entwickelt. Denn von nun an muss man genau bestimmen, welche weltlichen Evidenzen „für Gott […] sprechen bzw. welche Machterfahrungen aus Gott sind […] und welche Machterfahrungen vom Ungeist der Menschen durchdrungen sind.“ Der biblische Monotheismus etabliert sich damit aber ausdrücklich als ‚Gegenbesetzung‘ des religiösen Funktionalismus und damit auch jeglicher politischer Instrumentalisierung. Das ist das unaufgebbare aufklärerische Potenzial der Mosaischen Unterscheidung.
5.2 ‚Du musst dein Leben ändern‘
Das ‚Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen‘ (J.W. v. Goethe) in Gestalt des ‚Du musst dein Leben ändern‘ (Peter Sloterdijk) wird zum permanenten Imperativ der ‚Ego-Veredlung‘ (Patrick Schwarz) und damit zur Mausefalle menschlichen Lebens, der keiner entrinnen kann. „Ich werde zeigen, dass eine Rückwendung zur Religion ebenso wenig möglich ist wie eine Rückkehr der Religion – aus dem einfachen Grund, weil es keine ‚Religion‘ und keine ‚Religionen gibt, sondern nur missverstandene spirituelle Übungssysteme, ob diese nun im Kollektiven – herkömmlich: Kirche, Ordo, Umma, sangha – praktiziert werden oder in personalisierten Ausführungen – im Wechselspiel mit dem ‚eigenen Gott‘, bei dem sich die Bürger der Moderne privat versichern.“ (Sloterdijk, Du muss dein Leben ändern, 12) Dass der Mensch aus Religion und Glaube und der damit verbundenen Praxis auch Nutzen zieht, beide also auch über einen anthropotechnischen Gehalt und damit einen gewissen ‚Wellness-Charakter‘ verfügen, belegt nicht zwangsläufig bereits deren Projektionscharakter. Es ist wohl kaum erstaunlich, dass gerade in einer Zeit, in der Selbstverwirklichung mitsamt einer bewusst überfordernden Ethik als Religionsersatz zum Fetisch geworden ist, Martin Luthers Grunderkenntnis des ‚allein aus Gnade in Jesus Christus gerechtfertigten Sünders‘ immer noch oder erst recht wieder grundlegend befreiend wirkt. So lautet der gegenüber jeglichem Selbstoptimierungszwang entscheidende christliche Grundsatz eben nicht ‚Du sollst‘ oder ‚Du musst‘, sondern ‚Du bist‘! Du musst dir dein Dasein, dein Leben, dein ‚du-selbst-sein-dürfen‘ nicht machen, verdienen, rechtfertigen, weder durch moralisches Spitzenverhalten, noch durch das, was du selbst leistest und dir daher ‚leisten‘ kannst. Es genügt, dass es dich gibt, weil Gott gesagt hat: ‚Sei!‘ und: ‚Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen!‘ Christliche Hoffnung gründet und begründet sich in diesem ‚Funken von außen‘, diesem Gegenüber‘, das Glaubende ‚Gott‘ nennen. Sie provoziert mit dem Zusage, dass sich die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was als Erhofftes sein könnte, nicht durch unser Zutun, sondern durch das eines ganz Anderen schließen wird und gerade in diesem Modus der Hoffnung (Immanuel Kant würde sagen: als Postulat) das entscheidende ‚Humanum‘ wahrt. Diese Option ins ‚Spiel des Lebens‘ einzubringen und sie offenzuhalten, ist die bleibende Aufgabe von Theologie![/spoiler]
 
Dieser Beitrag ist Teil der Tagung „Gottlos glücklich„.

Die Beiträge der Tagung in voller Länge:

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