Nein, diesmal sind es nicht die Kreationisten, die gegen Darwin ins Feld ziehen. Der Angriff gegen die glühend verfochtene Vormachtstellung der „Selektion“ als Hauptfaktor der Evolution wird von zwei atheistischen Autoren geführt. Ein Strohfeuer oder eine Wende in dem Disput um die Evolutionstheorie?
Die Kognitionswissenschaftler Jerry Fodor und Massimo Piattelli-Palmarini haben ihr darwinismuskritisches Buch „What Darwin Got Wrong“ auf Internetseiten des New Scientist zusammen gefasst und bereits eine anfanghafte Diskussion ausgelöst. Inzwischen dürfte das Buch bei Gegnern wie Befürwortern angekommen sein und eine spannende inhaltliche Debatte auslösen. Auf dieser Seite möchte ich die Entwicklung der Diskussion sukzessive in Schlaglichtern einfangen.
Haupteinwand gegen den Neodarwinismus
Nach Fodors und Piattelli-Palmarinis Meinung ist die meiste neodarwinistische Literatur „erschreckend unkritisch“, und ein wissenschaftlich üblicher methodologischer Skeptizismus fehle erstaunlicherweise. Der Haupteinwand der Autoren gegen den derzeitigen Neodarwinismus bezieht sich auf die Dominanz der „natürlichen Selektion“ und damit der äußeren Faktoren. Für Darwin bestehe der einzige Beitrag der Organismen zur Änderung der Phänotypen der Folgegeneration in der zufälligen Variation des Erbguts. Alle nichtzufälligen Variablen kommen aus der Umwelt.
Die Autoren setzen Darwin in Analogie zu Skinner, dessen Behaviourismus ebenfalls auf innere (hier: innerpsychische) Faktoren zur Erklärung verzichtete. So wie Skinners Theorie heute als unzureichend erkannt wurde, so bedürfe auch die natürliche Auslese notwendig der Ergänzung durch interne Faktoren.
Als Beispiel führen die Autoren phänotypische Merkmale an, die endogen gekoppelt sind: Hat ein Organismus Merkmal 1, dann hat er auch Merkmal 2. Wenn nun 1 einen positiven Selektionswert besitzt, 2 dagegen nicht, so wird 1 durch die natürliche Selektion begünstigt, 2 als Trittbrettfahrer mitgenommen. Ein solches Trittbrettfahren ist allerdings nicht die Ausnahme, sondern allgegenwärtig. „Trittbrettfahren zeigt, dass die generelle Behauptung, phänotypische Merkmale würden aufgrund ihres Einflusses auf die Fitness selektiert, nicht wahr ist“.
Einwand nichts Neues?
Hebelt das Trittbrettfahrer-Argument tatsächlich die Selektionstheorie aus? In einem Interview vom 22.02.10 führt Fodor ein Züchtungsexperiment an, das Füchse durch Auswahl domestizieren konnte. Dabei veränderten sich unerwarteter Weise eine Reihe anderer Merkmale, die offenbar intern korreliert waren. Dumm für Fodors Argumentation ist nur, dass sich dasselbe Beispiel bei Richard Dawkins in dessen „Greatest Show on Earth“ zwanglos in die Selektionstheorie integrieren lässt. Vergleichen Sie die (frei von mir übersetzte) Argumentation selbst:
|
![]() |
||||||
Gegen den Imperialismus der Selektionstheorie
In letzter Konsequenz wollen die Autoren auch den „schleichenden imperialistischen Tendenzen“ der Selektionstheorie entgegensteuern. Denn längst habe sich der selektionstheoretische Erklärungsansatz von der Evolutionstheorie „auf eine Menge anderer traditioneller Disziplinen ausgeweitet: Philosophie, Psychologie, Anthropologie, Soziologie, ja sogar auf Ästhetik und Theologie“. Wenn also „die natürliche Selektion aus der Biologie verschwindet, wird sie es wahrscheinlich auch bei den Ausläufern tun“.
Wasser auf die Mühlen der Kreationisten
Fodors und Piatelli-Palmarinis Darwinismuskritik gießt freilich Wasser auf die Mühlen des Intelligent Desing. Spät seien die Autoren zur „Darwin-Zweifler-Party“ dazugestoßen, dennoch aber willkommene Teilnehmer, heißt es beim Discovery Institute (DI). Noch willkommener sind die Partygäste, weil sie „durch und durch materialistische Wissenschaftler“ sind. Das kommt den frommen Intelligent Designern insofern wie gerufen, als die „typischen Materialisten“ eigentlich zu den „glühendsten Verfechtern“ der natürlichen Selektion gehören. Das könne sich nun mit diesem Buch Fodors ändern, hofft das DI.
David Berlinski, Fellow am Discovery Institute, findet es ermutigend, dass Fodor und co den Schneid zur Darwinismuskritik haben, auch wenn diese etwas spät komme. Kein Argument indes sei neu, andere hätten sie bereits vorgebracht – nicht zuletzt er selbst, der auch die Analogie Darwin – Skinner seit mehr als 15 Jahren angemahnt habe.
Bestürzend findet Berlinski die Reaktion auf Fodor und Piatelli-Palmarini. Die Kommentare unter deren Artikel demonstrierten „mit unfehlbarem Eifer die charakteristische Gesinnung der darwinischen Community gegenüber Kritik“, sprich: deren Immunisierungsstrategien.
Erste Reaktion der Darwinisten
Wenn Kritik am Neodarwinismus laut wird, findet man ganz sicher bei P. Z. Myers, Biologieprofessor und vehementer Kritiker von ID, Kreationismus und co, die gepfefferte Gegenkritik. Klar, dass ihm Buch und Artikel von Fodor u.a. nicht entgangen sind. Deren Versuch, die natürliche Selektion als totgeweiht hinzustellen, sei eine „haarsträubende Behauptung“. Dies noch mit evolutionärer Entwicklungsbiologie (Evo-Devo, Myers eigenes Arbeitsgebiet) untermauern zu wollen, bringt Myers Geduldsfass zum überlaufen. Er hat „die Schnauze voll“ (noch milde übersetzt) von Leuten, die „Evo-Devo als Ersatz statt Ergänzung zur modernen Evolutionstheorie missbrauchen“. Dem Ärger ist erst einmal Luft gemacht, aber auch die inhaltliche Richtung angedeutet, die Myers demnächst breiter entfalten will.
Die Fodor-kritischen Kommentare unterhalb des New-Scientist-Artikels beurteilt Jerry Coyne etwas anders als Berlinski: „Dies ist erst der Beginn der Tracht Prügel, die Fodor und Piatelli-Palmarini erwarten sollten, wenn ihr Buch von Wissenschaftlern und Philosophen beurteilt wird“
Die wahren Ursachen der Darwinismuskritik?
Nachdem sich die ersten emotionalen Rauchwolken verzogen haben, beginnt eine sachliche(re) Diskussion. Etwas ausführlicher als am 14. Februar („ein äußerst ärgerliches Buch“; siehe Presselinks) bespricht der bekannte Wissenschaftsphilosoph Michael Ruse am 07. März die Darwinismuskritik von Fodor und Piattelli-Palmarini. Diese seien leider kein Einzelfall, es gebe ein „zunehmend lautstarkes Kader bedeutender Philosophen, die Zweifel an Darwin hegen“.
Exemplarisch greift Ruse drei dieser Vertreter heraus. Bei Alvin Plantinga (Christ und Intelligent Design Enthusiast) versteht Ruse dessen Opposition. Schließlich sie die evolutionsbiologische Szene äußerst säkular und neoatheistisch geprägt. Aber auch der bekannte Thomas Nagel schließt sich der Opposition an, ohne an eine Gottheit zu glauben. Ausführlich geht Ruse schließlich auf Jerry Fodor ein, der als Atheist die Erklärungskraft der natürlichen Selektion kritisiert. Laut Fodor führe die Metapher der natürlichen Selektion – im Vergleich zur künstlichen – in die Irre: Während bei der künstlichen Selektion geistbegabte Züchter ein Zuchtziel vorgeben, operiere die natürliche Selektion geistlos. Dieser Unterschied strapaziere die Analogie bis zum Bersten.
Bei allen drei Kritikern bedauert Ruse die wissenschaftliche Ignoranz: „Fodor, Nagel und Plantiga müssen sich nicht in Biochemiker verwandeln, aber eine gewisse Kenntnisnahme der Sachverhalte und ihrer Fortschritte wäre nicht gänzlich unangebracht“.
Diese „totale wissenschaftliche Interesselosigkeit“ hält Ruse für viel sagend. Die Kritiker würden offenbar von anderen, tiefer liegenden Sorgen umgetrieben. Der Blick in die Vergangenheit zeige die Initialzündung ihrer Opposition: Die Bedeutung unserer Art, die Bedeutung von Homo sapiens. Was macht uns unverwechselbar und unüberbietbar zu Menschen? Diese Sorge der Relativierung des Menschen ist seit 150 Jahren in der philosophischen community lebendig. Bei allen drei Kritikern kann Ruse diese Wurzel der Kritik ausmachen, und für Fodor hält er fest: „Wenn es um Homo sapiens geht, will er von einer naturalistischen Erklärung, die design auf das Wirken blinder Gesetze reduziert, nichts wissen.“ Für Foder werde es „wohl keinen Gott geben, aber sicher sind wir als sein Abbild gemacht“.
Presselinks
Recent Comments