Rezension von Gottfried Kleinschmidt
Seit einigen Jahren gibt es eine spannungsreiche Auseinandersetzung zwischen Neurowissenschaften und Philosophie, an der das vorliegende Buch teilhaben lässt. Der Disput wird zwischen renommierten Personen ausgetragen, die ihre Position pointiert zu äußern verstehen, was die Lektüre äußerst anregend macht. Das seit längerem zusammenarbeitende Duo, der australische Neurophysiologe Maxwell Bennett und der in Oxford wirkende Philosoph und Wittgenstein-Kenner Peter Hacker, stellen ihre Sicht der philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften vor.
Sie wenden sich gegen den Kognitionswissenschaftler D. Dennett und den Sprachwissenschaftler J. Searle, die über ihre Forschungen zu einer naturalistischen „Neurophilosophie“ gelangt sind. Herausgefordert durch die Kritik äußern sie sich ihrerseits sehr dezidiert: In seiner Erwiderung bezeichnet D. Dennett eine Philosophie, die nicht die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zugrunde lege, als „naive Ethnologie“, und J. Searle fordert nachdrücklich: „Packt das Bewusstsein wieder ins Gehirn“.
Interessant und informativ sind die nachfolgende Replik auf die Erwiderungen sowie der Epilog (M. Bennett). Am Anfang und am Ende der kontroversen Auseinandersetzung steht jeweils eine Betrachtung des Philosophen D. Robinson.
Die zusammenfassende Würdigung der geistreichen Ausführungen über das menschliche Gehirn erlaubt nur punktuelle und exemplarische Hinweise auf einige zentrale Argumente. Nachdrücklich wird an drei Stellen auf den „cartesianischen Zweisubstanzen-Dualismus“ hingewiesen, der in Verbindung mit der Interpretation der psychologischen Eigenschaften des Gehirns „sinnlos“ ist. Das Problem ist für Bennett und Hacker „begrifflicher Art“ wie sie überhaupt auch in einer anderen, jüngst erschienenen Publikation (Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften; Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 2010) auf „Begriffsarbeit“ insistieren, um überhaupt keine unnötigen Theorien und Thesen aufkommen zu lassen. Es hat aus ihrer Sicht keinen Sinn, dem Gehirn psychologische Prädikate zuzuschreiben, außer man gebraucht die Worte „metaphorisch oder metonymisch“. Es ist somit nicht das Auge, das sieht, sondern wir sehen mit unseren Augen, und es ist nicht das Ohr, das hört, sondern es ist das Lebewesen, dessen Ohr es ist. „Die Organe eines Lebewesens sind Teile des Lebewesens, und psychologische Prädikate lassen sich nicht von den Bestandteilen des Lebewesens aussagen, sondern nur vom ganzen Lebewesen“.
Bennett und Hacker werfen den Neurowissenschaftlern vor, bei der Interpretation ihrer Forschungsergebnisse oft fahrlässig mit den Begriffen umzugehen, womit sie nur zur Verwirrung beitragen. Daher sind Begriffsklärungen aus philosophischer Sicht dringend erforderlich. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz: „Begriffliche Untersuchungen leisten, allgemein gesprochen, in erster Linie Beiträge zum Verständnis des bereits Bekannten und zur Klarheit der Formulierung von Fragen bezüglich dessen, was man noch nicht weiß“.
Aus neurowissenschaftlicher Sicht beklagen nicht nur Bennett und Hacker die begriffliche „Haarspalterei“ der Philosophen. Begriffsanalysen offerieren weder „positive Theorien oder Modelle noch Hinweise darauf, wie solche Theorien oder Modelle zu konstruieren wären“. Hier stößt die Philosophie an ihre Grenzen. Daniel Dennett stellt diesbezüglich fest: „Man kann verstehen, warum die Neurowissenschaftler eine so geringe Meinung von der Philosophie haben“.
In der Diskussion zwischen Neurowissenschaft und Philosophie wird von Bennett und Hacker wiederholt vor dem „mereologischen Fehlschluss“ gewarnt, der in der Philosophie bereits bei Aristoteles, aber auch bei Wittgenstein eine Rolle spielt. Damit ist gemeint, dass man einem Teil (griech. meros) des Körpers die Fähigkeit zur Wahrnehmung oder zum Bewusstsein zuschreibt. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ machte Wittgenstein folgende profunde Bemerkung: „ … nur vom lebenden Menschen, und was ihm ähnlich ist, kann man sagen, es habe Empfindungen, es sähe, sei blind, sei taub, sei bei Bewusstsein, oder bewusstlos“. Dies kann man aber nicht vom menschlichen Gehirn sagen!
Interessant ist, dass die Philosophen unterschiedliche Positionen im Hinblick auf grundlegende neurophysiologische Phänomene (z. B. das Schmerzempfinden) vertreten und sich gegenseitig „absurde Schlussfolgerungen“ vorwerfen. Maxwell Bennett und Peter Hacker empfehlen daher „dass die Neurowissenschaftler und auch die Philosophen das cartesianische Schattenreich verlassen und den aristotelischen Sonnenschein aufsuchen sollten, in dem man soviel besser sehen kann“.
Die philosophischen Auseinandersetzungen sind heftig und widersprüchlich. Daniel Dennett, mit dem John Searle seine eigenen Auseinandersetzungen gehabt hat, kritisiert Bennett und Hacker nicht weniger, wenn auch aus anderen Gründen, die sich allerdings zum Teil mit denen von Searle überschneiden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass bislang eine „großangelegte Neurophilosophie“ fehlt. Benötigt wird eine erhellende Kritik auf der Basis der analytischen Philosophie. Hier ergibt sich eine wichtige Aufgabe für die jüngere Philosophengeneration.
Aus der Sicht der Neurowissenschaft ist nämlich festzustellen, dass bislang keine Anregungen von der Philosophie gekommen sind, welche innovative und kreative Impulse für die Methoden und Experimente der Hirnforschung enthalten. Neurowissenschaftler begründen ihre Forschungsmethoden naturwissenschaftlich und interpretieren ihre Untersuchungsergebnisse auf der Basis von Daten und Fakten! Deutlich wird die noch zu leistende Arbeit in der Überschrift, die der emeritierte Neuropsychologe und Philosoph (Georgetown University und University of Oxford) Daniel Robinson seiner Zusammenfassung gibt: „Nach wie vor auf der Suche – Wissenschaft und Philosophie unterwegs zur fürstlichen Vernunft“.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung aus: Naturwissenschaftliche Rundschau 63, 2010, H. 9
Recent Comments