Detlef B. Linke
Die Freiheit und das Gehirn – Eine neurophilosophische Ethik
Rororo-Science Band 62122
Rowohlt Verlag Reinbek 2006
bereits im C.H. Beck Verlag München 2005 erschienen
ISBN 3-499-62122-3
EUR 9.90
Rezension v. Gottfried Kleinschmidt
Kreativität und Zeit sind die zentralen Begriffe, die für das menschliche Denken und Handeln entscheidend sind. Die oft zitierten Untersuchungen Benjamin Libets haben nach D.B. Linkes Auffassung keine „Freiheit aus Gründen“ zum Thema. Freiheit im klassischen Sinne ist Entscheidungsfähigkeit aus Gründen und zwar aus „Vernunftgründen“ (I.Kant). In Zukunft wird die Freiheitstheorie der Hirnforschung neben der philosophischen Freiheitstheorie bestehen können. Die beiden Kulturen (Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft) sind gleichwertig. Freiheit und Kreativität sind konstitutiv für menschliches Leben. Kreativität kann jede Handlung, Idee oder Sache sein, die eine bestehende „Domäne“ verändert oder eine bestehende „Domäne“ in eine neue verwandelt. Ein kreativer Mensch ist somit eine Person, deren Denken und Handeln eine „Domäne“ verändert oder eine neue „Domäne“ begründet. Kreative „Domänen“ bestehen in der Musik, in der Wissenschaft, in der Technik, der Kunst, der Wirtschaft, der Mathematik usw. Kreativitätsprozesse sind mit mühsamer Arbeit, mit Zweifeln, mit Rückschlägen und sogar mit Ängsten vor Misserfolgen verbunden. Entscheidend ist die brennende Neugier, die Freude auf eine unerwartete Lösung, das Staunen angesichts vieler Geheimnisse, die Selbstvergessenheit im Problemlösungsprozess.
Drei interaktive Elemente sind für die Kreativität entscheidend: die Kultur (die symbolische Regeln umfasst), die Einzelperson (die etwas Neues in das bestehende symbolische System bringen will), die Experten und Insider (die das Neue, das Innovative, die neue Idee würdigen und bestätigen). Die wichtigste Eigenschaft, die bei fast allen kreativen Personen hervorsticht, ist die Fähigkeit, den Schaffensprozess um seiner selbst willen zu genießen. Kreative Menschen genießen im schöpferischen Prozess einen geistigen Schwebezustand, die Einheit der Bewusstheit, die Aufhebung des Zeitgefühls, die selbstgenügsame Aktivität. Im kreativen Prozess geht es darum, „Freiheit nicht nur von den Widerständen der Welt und im Einsatz gegen diese zu verstehen, sondern Freiheit auch als eine Möglichkeit der Gestaltung und Öffnung, ja der Umgestaltung des eigenen Ich zu erfahren“. D.B. Linke ist überzeugt, dass die Neurowissenschaften und die Hirnforschung noch weit davon entfernt sind, Kreativität in Verbindung mit menschlicher Freiheit zu erfassen und empirisch zu belegen. In der neurophilosophischen Ethik spielt auch die Demut als eine Form der „einfachen Sittlichkeit“ eine entscheidende Rolle. Allerdings müssen wir aufpassen, dass der Verlust des Freiheitskonzeptes nicht zu einer Demontage des Konzepts der Menschenwürde führt und damit die Demut vollends verloren geht.
An mehreren Stellen zitiert D.B. Linke seinen amerikanischen Kollegen J.R. Searle. Er hat in seiner „Philosophie des Geistes“ jeweils ein Kapitel dem Problem der Willensfreiheit, der mentalen Verursachung, der Natur des Unbewussten, der Analyse der Wahrnehmung und dem Begriff des Selbst gewidmet. Die Diskussion über den „freien Willen des Menschen“ führt an eine Wissensgrenze. Leider kann D.B. Linke (er ist 2005 gestorben) nicht zu der These seines amerikanischen Kollegen Stellung nehmen: „Hier scheint es sich um einen gewaltigen Fall menschlichen Unwissens zu handeln. Wir wissen wirklich nicht, wie genau freier Wille im Gehirn existiert, falls er überhaupt existiert… Wir wissen kurz gesagt, nicht, wie freier Wille möglicherweise funktionieren könnte. Wir wissen aber auch, dass wir der Überzeugung von unserer eigenen Freiheit nicht entkommen können. WIR KÖNNEN NUR HANDELN, WENN WIR FREIHEIT VORAUSSETZEN“. Das Wissen des Nichtwissens und das Eingeständnis einer Wissensgrenze gehören zur Demut der Wissenschaftler und der Wissenschaft. Die bisherigen Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Forschungen reichen nicht an die Dimensionen der Freiheit heran, „welche ein Handeln aus Gründen betrifft“. D.B. Linke fordert nicht nur eine „Ethik des Denkens“, sondern plädiert auch für „Freiheit und Rationalität“.
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