Thesen auf der Tagung „Gottesteilchen oder: Was die Welt im Innersten zusammenhält„, 18. Dezember 2012, Tagungszentrum Hohenheim
Teil I: Gottesteilchen und Weltformel
- Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik „funktioniert“ wissenschaftlich hervorragend – ist aber keine Universaltheorie und kann auch im eigenen Gegenstandsbereich viele Fragen nicht beantworten.
- Die mutmaßliche Entdeckung des Higgs-Bosons komplettiert das Standardmodell, ergibt jedoch keine „Weltformel“ und hat auch keine theologischen Implikationen – der Begriff „Gottesteilchen“ ist irreführend und irrelevant.
- Wir wissen kaum, was Materie eigentlich ist.
- Eine Weltformel ist ein Desiderat – und weder eine Weltdeutung noch eine Letzterklärung.
Teil II: Modelle und Realität
- Wissenschaftliche Modelle sind kein exaktes Abbild der Realität, aber nützlich und nicht beliebig.
- Wissenschaft (Methoden, Resultate) muss (philosophisch) reflektiert (Voraussetzungen, Implikationen) und interpretiert werden!
- Ein Instrumentalismus ist nicht zwingend (und wohl auch zu schwach)!
- Ein wissenschaftlicher (hypothethischer) Realismus ist eine metaphysische Position – mit vielen Vorzügen.
- Schichtenstruktur und Aufbau-Prinzip legen einen ontologischen Reduktionismus und Naturalismus nahe.
- Täuschungen und radikal skeptische Hypothesen sind möglich; es gibt keine völlige Sicherheit.
Qualitätskriterien für ein wissenschaftliches Modell:
Es sei …
- elegant: so einfach wie möglich, aber nicht einfacher
- sparsam: mit nur wenigen willkürlichen Elementen, die sich gezielt an die Beobachtungen anpassen lassen
- explanatorisch: mit den Daten und Beobachtungen übereinstimmend und sie verständlich machend
- prädiktiv: künftige Beobachtungen detailliert voraussagend.
Diese vier Kriterien sind nicht unabhängig voneinander, sondern hängen zusammen. Beispielsweise erlauben besonders elegante und sparsame Modelle oft auch die klarsten – und am leichtesten überprüfbaren – Vorhersagen. Nur so kann ein Modell getestet und widerlegt werden.
Teil III: Die Welt und Gott
Theologische Herausforderung:
Welcher Gottesbegriff (und welche Ontologie?) ist vereinbar
- sowohl mit theistischen Schöpfer-Vorstellungen
- als auch mit den Erkenntnissen der Kosmologie und Elementarteilchenphysik,
ohne sich als prinzipiell unüberprüfbare Behauptung erkenntnistheoretisch zu immunisieren und damit rationale Minimalanforderungen nicht zu erfüllen?
Zum Dialog Naturwissenschaft und Religion/Theologie:
- Autonomie: Naturwissenschaft und Religion/Theologie sind unabhängig voneinander, insofern sie eigenständig und isoliert praktiziert werden können und verschiedene Interessen, Ziele und Ausrichtungen besitzen.
- Asymmetrie: Religion/Theologie sollte aber wissenschaftliche Erkenntnisse wenigstens grob zur Kenntnis nehmen (insofern besteht eine Asymmetrie), will sie nicht weltfremd erscheinen oder sich als Gegen- bzw. Ersatz-Wissenschaft verstehen. Dies bedeutet jedoch keine Berechtigung, die Wissenschaft als Ausgangs- oder Begründungsbasis für religiöse Wahrheitsansprüche nutzbar zu machen oder dies vorzutäuschen.
- Antagonismus: Kontroversen zwischen Religionen/Theologien und Naturwissenschaften sind in der Regel Grenzüberschreitungen oder betreffen philosophische Probleme.
- Arena: Philosophie ist als Metadisziplin am ehesten geeignet, den ontologischen Gehalt sowie den epistemischen Anspruch und die argumentative Stringenz naturwissenschaftlicher und theologischer Aussagen zu fachübergreifenden Themen zu vergleichen, zu prüfen und, falls möglich, aufeinander zu beziehen.
Zur Naturphilosophie:
- Modelle sind keine Metaphysik – sie können aber metaphysische Voraussetzungen oder Konsequenzen haben.
- Eine Pluralität von Modellen, Erklärungen und Interpretationen ist heuristisch begrüßenswert und sollte nicht szientistisch verengt werden, impliziert aber keinen ontologischen Relativismus – d.h. ist vereinbar mit einem ontologischen Realismus (der einen epistemischen Skeptizismus einschließt).
- Das Dass-Sein ist ultimativ unerklärbar, auch nicht durch Transzendenz; letztlich ist es Zufall, dass etwas existiert. Begründung: Münchhausen-Trilemma für Erklärungen, Rechtfertigungen, auch Kosmologie und Ontologie, d.h. dogmatischer Abbruch oder vitiöser Zirkel oder infiniter Regress.
- Gott ist nicht notwendig für eine Erklärung des Urknalls und des Universums.
- Eine naturalistische Erklärung ist möglich/wahrscheinlich, aber bislang nur partiell gelungen.
- Naturalismus (eine naturphilosophische, nicht -wissenschaftliche Position!) kann als Schluss auf die beste Erklärung gelten („inference to the best explanation“), ist aber kein Fundamentalismus, keine Letzterklärung.
- Es herrscht keine Pattsituation zwischen Naturalismus und Theismus, da keine argumentative Symmetrie besteht.
- Theisten haben „Beweispflicht“ für Schöpfung (insofern diese ontologisch verstanden wird).
- Erklärungslücke-Argument ist weder notwendig noch hinreichend für Theismus.
Die Beiträge der Tagung in Thesen
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