Verschärft die Evolution, die untrennbar mit natürlichen Übeln verbunden ist, nicht die Theodizeefrage (wo ist Gott bei Übel und Leid?), wie z. B. Thomas Junker meint? Demgegenüber gibt es eine „natural law defense“, eine Verteidigung durch Naturgesetze.
Funktioniert eine „natural law defense“?
„Das natürliche Übel in der Welt entsteht durch dieselben Naturgesetze, die auch die Evolution zum Menschen hin ermöglichen.“ (Klaus von Stosch)
Eine Gruppe von ReligionslehrerInnen hatte bei der Schülertagung 2013 die Aufgabe, diese These von Klaus von Stosch vorzustellen und zu kommentieren. Hält die These auch dem kritischen Blick von Hans-Dieter Mutschler und Herbert Rommel Stand? Lesen Sie auch die Zusammenfassung auf der Tagungsseite.
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Die „natural law defense“ im Überblick
„Das natürliche Übel in der Welt entsteht durch dieselben Naturgesetze, die auch die Evolution zum Menschen hin ermöglichen. Es lässt sich dafür argumentieren, dass diese Naturgesetze nicht verändert werden konnten, wenn der auf den Menschen hin zulaufende Evolutionsprozess möglich bleiben sollte. Von daher kann man das natürliche Übel als Nebenfolge der Gesetzmäßigkeiten verstehen, die menschliches Leben ermöglichen. Unabhängig von der nicht beantwortbaren Frage, ob sich eine bessere Welt als unsere Welt denken lässt, wird so die Unlösbarkeit von Leben und Leid in dieser Welt deutlich, die eine Bejahung des Lebens ohne Akzeptanz des Leidens unmöglich macht.“ (56)
Die eigentliche theologische Herausforderung
„In der gegenwärtigen Theologie wird immer wieder die These vertreten, dass die schwierigste Herausforderung in der Theodizeefrage eigentlich nicht das moralische Übel sei, weil hier relativ leicht verständlich zu machen sei, dass es nicht auf Gott, sondern auf den Menschen zurückgehe. Dagegen liege die eigentliche Herausforderung des Gottesglaubens angesichts des Leidens in der Welt nicht in Auschwitz, sondern in Ereignissen wie dem Erdbeben von Lissabon begründet. Denn da das natürliche Übel direkt auf Gottes Schöpfungsordnung zurückfalle, sei dadurch seine Güte ungleich radikaler in Frage gestellt als durch die von ihm ja nur zugelassenen Verbrechen der Menschen. […]“ (56)
Warum sind die Naturgesetze so wie sie sind?
„Die entscheidende Frage lautet an dieser Stelle, warum die Naturgesetze so sind wie sie sind. Auch wenn man einsieht, dass es Naturgesetze um der menschlichen Willensfreiheit willen geben muss, kann man doch fragen, ob diese Gesetzmäßigkeiten nicht so strukturiert sein könnten, dass sie weniger Leid erzeugen. Zur Abwehr dieses Einwandes möchte ich dafür argumentieren, dass eine physikalische Verbesserung der Naturgesetze ohne gravierende Veränderungen, ja vielleicht sogar ohne Aufhebung menschlicher Freiheit nicht denkbar ist. Die Grundidee bei dieser Überlegung ist, dass die Entstehung des Menschen bzw. die Entwicklung von Freiheit nur in einem Universum möglich war, das exakt jene Naturgesetze und -konstanten enthält, die auch das malum physicum bewirken.“ (61)
Naturgesetze können nicht verbessert werden
„Zumindest auf den ersten Blick erscheint diese These äußert kontraintuitiv zu sein […]. Entsprechend kommt nicht nur der Atheist Streminger zu dem Schluss: ‚Jeder könnte sich eine Welt vorstellen, in der die konkreten Gesetzmäßigkeiten besser und deren unvermeidlichen Folgen gerin- (61) / ger wären‘. ‚Aber wenn schon so beschränkte Wesen wie Menschen sich Besseres vorstellen können, um wie vieles einfacher muss das für einen allwissenden Gott sein?‘
So überzeugend dieser Einwand auf den ersten Blick klingt, so schwierig gestaltet sich der Versuch, ihn einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Geht man nämlich daran, konkrete Verbesserungen bestehender Gesetzmäßigkeiten vorzuschlagen, ist es einerseits höchst umstritten, ob die jeweils vorgeschlagene Verbesserung tatsächlich eine Verbesserung darstellt. […]
Doch selbst wenn man zugibt, dass es gewisse Verbesserungen gibt, denen jeder Mensch zustimmen könnte, fragt sich andererseits, ob diese zunächst einmal problemlos vorstellbaren Verbesserungen physikalisch möglich sind, ohne an anderer Stelle gravierende Nachteile zu verursachen. Denn die Naturwissenschaften lernen immer mehr die Gesetzmäßigkeiten unserer Welt als komplizierte, wechselseitig miteinander verbundene Zusammenhänge zu begreifen, bei denen nicht eine Änderung vorgenommen werden kann, ohne das Gesamtsystem zu stören. Man kann sich ‚vielleicht mühelos eine Welt ohne das Übel maligner Tumorerkrankungen vorstellen […], [aber] die Realisierung dieser Vorstellung […würde] konsequenterweise gravierende Veränderungen in der physikalischen, chemischen und biologischen Struktur des Universums voraussetzen.‘ Insofern ist unklar, ob diese problemlos denkbare Welt ohne maligne Tumorerkrankungen überhaupt physikalisch möglich ist. (62) […]
Von daher will ich im Folgenden überlegen, inwiefern der gegenwärtige naturwissenschaftliche Forschungsstand die Möglichkeit nahe legt, dass Menschen oder menschenähnliche Wesen auch in einer Evolution hätten hervorgebracht werden können, die deutlich weniger leiderzeugende Gesetzmäßigkeiten enthält. Gegen eben diese Möglichkeit wenden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher, die nachzuweisen versuchen, dass der gesamte evolutive Prozess exakt auf das Entstehen des Menschen ausgerichtet ist, so dass man hier von einem auf den Menschen ausgerichteten bzw. anthropischen Prinzip in der Weltentstehung ausgehen muss. Den Vertretern des anthropischen Prinzips zu Folge durfte die Feinabstimmung des Universums im evolutiven Prozess an keiner Stelle gestört werden, wenn die Entstehung menschlichen Lebens nicht unmöglich gemacht werden sollte.
Im Hintergrund dieser Überlegung steht ‚die Entdeckung, dass Biogenese und Anthropogenese nur in einem Universum möglich waren, das exakt bestimmte physikalische Werte aufweist, wie spezifische Ausgangsbedingungen sowie bestimmte Naturgesetze und -kon-stanten.‘ Konsens in der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Diskussion ist dabei die Feststellung, dass die Naturkonstanten wie z.B. die Gravitations-Konstante, die elektrische Elementar-Ladung, die Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum bzw. deren Verhältnisse ziemlich genau den Werten entsprechen müssen, die wir beobachten können, um die Entstehung eines Universums mit der Struktur des unsrigen zu ermöglichen. Die Bildung von Galaxien, (63) / von Sternen, Planeten und vor allem die Evolution des Lebens, die den Menschen hervorgebracht hat, wäre nicht möglich gewesen, wenn die Naturkonstanten, die auch für das malum physicum verantwortlich zu machen sind, andere wären. (64) […]
Theologisch gewendet könnte man in dieser Stoßrichtung formulieren: Gott, der sich von seinem Wesen her nichts anderes wünscht, als das größtmögliche Glück für seine gesamte Schöpfung, muss das Leiden hinnehmen, weil die Bedingungen der Möglichkeit des Leidens zugleich die Bedingungen der Möglichkeit des größeren Guten sind, das er seinen Geschöpfen schenken will.
Es scheint also einiges für die Annahme zu sprechen, dass Gott nicht einfach jede Welt erschaffen kann, die wir uns in unserer Phantasie ausmalen können. (67) […]
Es scheint mir also durchaus vernünftig zu sein, das malum physicum im Allgemeinen ebenso wie alle Grund- und Nebenbedingungen der Freiheit als unumgängliche ungewollte Nebenfolgen der Evolution zu verstehen. Ihre Existenz wäre demzufolge nur zu vermeiden gewesen, wenn die Realisierung von mit Willensfreiheit ausgestatteten Wesen aufgegeben würde.“ (68)
Die Beiträge der Tagung
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