3.-4. Juli 2015
Tagungshaus Weingarten
Drei Jahrhunderte nachdem Descartes die Tiere zu „seelenlosen Automaten“ degradiert hatte, bewies die Evolutionslehre die Verwandtschaft aller Lebewesen. Weit davon entfernt, dies auch als Seelenverwandtschaft zu verstehen, verstand der Mensch die tierische Abstammung weitgehend als ‚darwinsche Kränkung‘. Die wechselvolle Geschichte der Tier-Mensch-Beziehung – erst recht der Blick auf unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen – ist daher immer auch eine Geschichte menschlicher Selbstvergewisserung, bei der man nach Ähnlichkeiten und Unterschieden sucht. Die Frage ist, ob angesichts der Ähnlichkeiten nicht auch eine entsprechende Schutzwürdigkeit angenommen werden muss.
Inhalte der Tagung
Regine Kather: Evolution – Bewusstsein – Freiheit und das Netz des Lebens
[spoiler title=’Kontinuität zwischen Mensch und Tier‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Die Freiburger Philosophin Regine Kather setzte mit der Erkenntnis der genetischen Abstammung aller Lebewesen von den einfachsten Organismen ein. Das lege den Schluss nahe, dass auch die menschliche Form des Bewusstseins nicht in einem unvermittelten Sprung aus toter Materie entstanden sei, sondern sich aus Vorformen entwickelt habe. Die Kontinuität zwischen Tieren und Menschen beruhe nicht nur auf den Genen und bestimmten vitalen Grundbedürfnissen, sondern auch auf Ausdrucks- und Kommunikationsformen, dem emotionalen, moralischen und kognitiven Verhalten. Schon einfache Lebewesen hätten zumindest einen gewissen Anteil an den Empfindungen und Verhaltensmöglichkeiten, über die Menschen verfügten.[/spoiler]
[spoiler title=’Perspektive des Verstehens‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Um Lebewesen daher methodisch in ihrer psycho-physischen Ganzheit mitsamt ihren Beziehungen zur Umwelt gerecht zu werden, benötige man nicht nur die Perspektive des außenstehenden Beobachters, sondern auch die des empfindenden Individuums, das mit anderen Lebewesen kommuniziert. Die Methode der empirisch-objektivierenden Wissenschaften müsse durch eine Naturphilosophie überschritten werden, die qualifizierte Perzeptionen und Ziele, unterschiedliche Formen der Kommunikation und physiologische Funktionen zugleich thematisieren könne, so Kather. Dabei müsse man bei der Selbsterfahrung einsetzen, um fremde Innenwelten zu erschließen. In dieser Perspektive des Verstehens erscheine die belebte Natur nicht als naturgesetzlich zu beschreibender Funktionszusammenhang, sondern als ein Feld von Ausdrucksgestalten, in denen sich mehr oder weniger deutlich die Qualitäten und Bedeutungen manifestierten, die Ereignisse für andere Lebewesen haben. Auch die uns vertrauten Formen der Freiheit hätten in dieser Sicht eine Vorgeschichte, die bis in die Anfänge des Lebens zurückreiche. Die bei einfachen Organismen noch völlig bewusstlose Unterscheidung zwischen Lebensdienlichem und Schädlichem trage bereits den Keim zu einem sich ständig erweiternden Verständnis von Freiheit in sich. Aus der Instinktgebundenheit gelöst entstünden bedingte Reflexe, Probierversuche von Verhaltensmustern bis hin zu intelligentem Verhalten, das ohne Probierversuche auskomme. Mit der spezifisch menschlichen Form des Bewusstseins ändere sich die Bedeutung von Freiheit ein weiteres Mal. Menschen hätten nicht nur ein Bewusstsein von etwas, sondern auch Selbstbewusstsein. Der Geist, der in der ganzen Natur gegenwärtig sei, wende sich beim Menschen auf sich selbst zurück.[/spoiler]
[spoiler title=’Mitschwingende Betroffenheit‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Eine ähnliche Kontinuität erblickte Kather in der Evolution von Empathie und Ethik. Während im einfachsten Fall empathische Reaktionen als eine Art Resonanzphänomen verstanden werden könnten (zum Beispiel Schwarmverhalten), ermögliche bereits eine mitschwingende Betroffenheit ein moral-analoges Verhalten, bis sich schließlich bei Lebewesen, die die Schwelle zum Selbstbewusstsein überschritten hätten, die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme herausgebildet habe. In physiologischer Hinsicht sei die Fähigkeit zu empathischen Reaktionen in Gehirnbereichen verwurzelt, die bis zu den Reptilien zurückreichten. So könnten Menschen im Spiegel anderer Kreaturen Aspekte ihres eigenen Gefühlslebens erfahren, das wiederum die Grundlage für differenzierte zwischenmenschliche Beziehungen sei. Umgekehrt spiegelten sich in der Unfähigkeit zum einfühlenden Verstehen artfremder Lebewesen Defizite der menschlichen Person. Für Menschen sei es jedenfalls möglich, sich auf die Bedürfnisse und Artikulationsformen einfacherer Lebewesen einzustellen, während diese ihrerseits immer nur bestimmte Aspekte der menschlichen Psyche ansprechen könnten.[/spoiler]
Hans Werner Ingensiep: Menschenaffen zwischen Bestialisierung und Humanisierung
[spoiler title=’Zwischen Monster und Person‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Die Mensch-Tier-Beziehung wurde von Hans-Werner Ingensiep (Duisburg-Essen) am Beispiel der Geschichte von Aneignungs-, Abgrenzungs- und Begegnungsmustern gegenüber Primaten konkretisiert. Kurz nach ihrer Entdeckung als „Monster“ eingestuft, seien die Menschenaffen mittlerweile auf dem besten Weg, zu „Personen“ zu werden. Schon vor Darwin hätten bedeutende Philosophen des 18. Jahrhunderts gefragt, ob die „aufrecht gehenden Wilden“ tatsächlich Affen oder doch Menschen seien, ob man sie zu Bürgern erziehen und ihnen das Sprechen beibringen könne. Als „Primaten“ seien sie seit Carl von Linné eng mit dem Menschen in Verbindung gebracht worden. Nach Erscheinen von Darwins Hauptwerk Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Gorilla entdeckt. Zusammen mit Schimpansen und Orangs sei eine neue Epoche der Menschenaffen angebrochen, in der sie dem Menschen besonders als evolutionäre Abstammungshelfer gedient hätten. Die Vorstellung des Gorillas als aggressiven Monsters sei durch Reiseschilderungen von Afrika-Abenteurern verstärkt worden und habe sich unter anderem über das Medium Film („King Kong“) weit ins 20. Jahrhundert verbreitet. Der bestialisierte Gorillamythos habe jedoch schon früh ambivalente Züge gezeigt und Spuren der „Humanisierung“ freigelegt. Importierte Jungtiere hätten in besonderer Weise zur öffentlichen Entmythologisierung des Gorillabildes beigetragen. Vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie habe das 20. Jahrhundert – auch dank der Pionierarbeiten von Wolfgang Köhler – einen umfassenden experimentellen Zugang zu den Primaten gesucht und vordringlich die Frage nach Intelligenz und Kreativität der Affen gestellt. [/spoiler]
[spoiler title=’Begegnung auf „Subjektebene“‚ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts habe dann mit neuen experimentellen Settings nach Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Affe und Mensch gesucht. Nicht distanzierte, objektivierende Beobachtung wie noch bei Köhler, sondern teilnehmende Beobachtung, die den Affen auf der „Subjektebene“ begegnet, habe einen neuen Zugang in Freilandforschung oder Wohngemeinschaft („Multi-Spezies-Familie“) erschließen wollen. Berühmt seien Schimpansen geworden, die der Taubstummensprache mächtig waren und denen man Moral und selbst Todesbewusstsein zu unterstellen geneigt war. Durch diese Befunde seien Menschenaffen nach und nach zu „Personen“ geworden, was Ingensiep den Schluss ziehen ließ: „Der ‚gute Wilde‘ des 18. Jahrhunderts scheint auf seinem langen Marsch durch die Jahrhunderte nun doch ein gleichberechtigter ‚Bruder‘ des Menschen zu werden, was grundsätzliche ethische Fragen aufwirft.“ Zu denken sei hier unter anderem an den australischen Philosophen Peter Singer, der mit seinem „Great Ape Project“ Lebensrecht, Freiheit und Folterverbot für Menschenaffen fordere und diesen einen moralischen Personen-Status zuerkennen möchte.[/spoiler]
Heike Baranzke: Menschenwürde und Würde der Kreatur
[spoiler title=’Würde der Kreatur‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Die Lehrbeauftragte für Theologische Ethik, Heike Baranzke (Wuppertal), griff die vieldiskutierte Formulierung der „Würde der Kreatur“ auf, wie sie beispielsweise in die Schweizerische Bundesverfassung Eingang gefunden hat. Wie verhält sich dann aber die „Würde der Kreatur“ zur „Würde des Menschen“ als Person? Stehen beide Würdebegriffe bei semantisch kohärenter Lesart nicht in Konkurrenz? Schließlich habe in unserer Kultur der Begriff der Menschenwürde stets die Sonderstellung des Menschen und seine Differenz zum Tier betont. Demgegenüber sei es ein Anliegen der schweizerischen Gesetzgeber gewesen, den außermenschlichen Bereich einzubeziehen und dazu den Begriff „Würde der Kreatur“ als Integrationsbegriff anzubieten. Die Konsequenz sei dann aber, dass dann möglicherweise der Bestandteil „Würde“ in beiden Würdebegriffen nicht mehr als semantisch identisch verstanden werden könne. Um das ungeklärte Nebeneinander der beiden Begriffe von „Würde“ zu überwinden, führt Baranzke die Unterscheidung von Bonitas- und Dignitas-Würde als entscheidenden Schlüssel ein. Während der Güte der Schöpfung eine Würde der „Gutheit“ zuerkannt werden könne, komme dem Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit eine Würde der „Verantwortlichkeit“ (Freiheit) zu. In diesem Sinne sei die Verschiedenheit der Begriffe auch deshalb aufrechtzuerhalten, damit überhaupt Tierethik betrieben werden könne und nicht das Verantwortungsobjekt mit dem Verantwortungssubjekt verwechselt werde. In der ethischen Mensch-Tier-Beziehung seien immer zwei Hinsichten zu berücksichtigen, betonte Baranzke. Zum einen sei die ethische Differenz zwischen Mensch und Tier aufrechtzuerhalten (nur der Mensch kann als Freiheitswesen Verantwortung übernehmen), zum anderen seien die Ähnlichkeiten von Mensch und Tier daraufhin zu befragen, wie seitens des Menschen würdig mit Tieren umgegangen werden solle.[/spoiler]
[spoiler title=’Exkurs: Kommen Tiere in den Himmel‘ style=’default‘ collapse_link=’false‘]Aus ihrem Schwerpunkt „Ethik der Mensch-Tier-Beziehung“ heraus denkt Baranzke über die Geschichte und derzeitige Praxis von Tierbestattungen nach. Bemerkenswert ist dabei die konfessionell unterschiedliche Reaktion von Theologie und Kirchen auf Tierbestattungen und die Frage des Vortrags „Kommen Tiere in den Himmel?“.[/spoiler]
Zu den Dokumentationen der Vorträge
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