Schöpfung – eine Vision von Gerechtigkeit

Persönliche Vorbemerkung

„Die Publikationen, Arbeitskreise und Akademietagungen zu ‚Schöpfung und Evolution‘, ‚Religion und Naturwissenschaft‘ oder auch ‚Urknall oder Schöpfung?‘ zeitigten keinen Erfolg. Stattdessen macht sich Überdruss breit.“ (Benk 2016, 11)

Spätestens mit der Lektüre dieser Vorworte wurde mir klar: Das Buch ist Pflichtlektüre für mich, betrifft es doch zahlreiche meiner Tagungen, wobei sich aber bei mir (bisher?) so gar kein Überdruss einstellen will. Aus der Pflichtlektüre wurde dabei recht bald eine äußerst gewinnbringende Auseinandersetzung mit den Anliegen Benks, den ich ohnehin als Teilnehmer unseres Arbeitskreises forum-grenzfragen inhaltlich, vor allem aber persönlich sehr schätze. Vieles hat mich bereichert, manches nachdenklich und selbstkritisch gestimmt, einigen – durchaus zentralen – Ansichten kann ich hingegen nicht folgen.

Meine Leseerfahrung zusammengefasst

Nie zuvor habe ich die befreiungstheologischen Dimensionen der Schöpfungstheologie eindrücklicher und (hoffentlich) nachhaltiger verstehen gelernt, vor allem aber ans Herz gelegt bekommen, wie durch dieses Buch von Andreas Benk. Mir ist jetzt deutlicher als zuvor klargeworden, dass die Schöpfungslehre aus ihrer Fixierung auf die Naturwissenschaft befreit werden muss – zugunsten ihrer gesellschaftskritischen, politischen und visionären Dimension. Dass dies in Publikationen, Tagungen und Religionsunterricht berücksichtigt werden sollte, ist nach der Lektüre Benks eine einsichtige und gebotene Konsequenz.
Dennoch gibt es einen Hauptdissens, der sich mit den Schlagworten „Abkehr oder Ergänzung“ kennzeichnen lässt. Während Benk auf „Abkehr statt Ergänzung“ setzt, plädiere ich für „Ergänzung statt Abkehr“. Benk will eine „auf Harmonie (mit der Naturwissenschaft) getrimmte Schöpfungstheologie“ ersetzen, ich würde sie ergänzen. Benk bezieht alles auf Humanität unter Verzicht auf Gott, ich würde alles auf Humanität beziehen unter Bezug auf Gott. Benk blickt auf das Diesseits statt auf das Jenseits, ich blicke auf das Diesseits kraft des Jenseits.
Die mit Benks Abkehrhaltung einhergehende Säkularisierung schöpfungstheologischer Ausführungen mag zwar neue Kommunikationen und Koalitionen ermöglichen, bedeutet aber nicht nur den Verzicht auf überkommene Ausdrucksweisen, sondern auf Substanz.
Meine Hauptfrage: Wie soll sich ein Ansatz, der sich am Kriterium der Humanität ohne christlichen Hoffnungshorizont festmacht, noch von einem säkularen Humanismus unterscheiden? Die altbekannte Frage also nach dem spezifisch Christlichen.

Begründungen im einzelnen

Die oben zusammengefasste Leseerfahrung, die Konsens und Dissens auf den Punkt zu bringen versucht, bedarf natürlich der Begründung. Für Lesefreudige sei dies im folgenden entfaltet. Eingeklammerte Seitenzahlen ohne weitere Angaben verweisen dabei auf das besprochene Buch Benks. Bilder am Rande dienen nicht nur der Illustration, sondern verlinken meist auf weiterführende Information.

Auf der Suche nach einem schöpfungstheologischen Grundbestand

Katechismus der katholischen Kirche

Schöpfung im Katechismus – theologisch konsensfähig?


Zunächst ist es mit Benk sinnvoll zu sichten, was bisher zum schöpfungstheologischen Grundbestand gehört. Einen solchen kanonischen Grundbestand festzumachen, ist allerdings auf den ersten Blick nicht so leicht möglich: „Es gibt nicht die christliche Schöpfungslehre“ (17), und auch der Katechismus der katholischen Kirche von 1992 repräsentiert nicht den theologischen Konsens, wenn er „im Hinblick auf den ‚Bericht vom Sündenfall‘ von einem ‚Urereignis, das zu Beginn der Geschichte des Menschen stattgefunden hat‘“ (119) spricht. Die Historizität der Genesistexte ist in der Tat längst vom Tisch. Schließlich entscheidet sich Benk für den schöpfungstheologischen Grundbestand aus der Dogmatik von Otto Hermann Pesch, da es ebenso wenig eindeutig sei, „in welchen theologischen Lehrbüchern … wir nachschlagen“ (17) sollten.
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Standardwerk vom LThK-Autor Hans Kessler?


Ganz so im Stich gelassen bei der Suche nach der authentischen Schöpfungslehre fühle ich mich nicht, wenn ich als katholisches Standardwerk das Lexikon für Theologie und Kirche (LThK) zu Rate ziehe. Hier finden sich an der entsprechenden Stelle Namen wie Hans Kessler, dessen Buch „Evolution und Schöpfung“ bereits in der dritten Auflage erschienen ist und getrost als Standardwerk angesehen werden kann. Kessler dürfte zusammen mit Christian Kummer, Medard Kehl und Ulrich Lüke zu einem schöpfungstheologischen Mainstream gehören und der Weichenstellung folgen, die in den 1950er Jahren Karl Rahner vorgenommen hat. Hier hätte man fündig werden können; leider fehlen diese Namen bei Benk komplett. Benks Zurückhaltung ließe sich allerdings damit begründen, dass die genannten Autoren ihre „Rahnernachfolge“ je eigens akzentuieren und sich in nicht unwesentlichen Punkten unterscheiden. So drückt sich z. B. das Gott-Welt-Verhältnis mal pantheistisch (Kummer), mal – mehrheitsfähiger – panentheistisch (Kessler, Kehl) aus, mal bleibt die Festlegung offen (Lüke). Dabei scheint sich Kessler „mit seinem panentheistischen Gottesverständnis … ganz auf der Linie der gegenwärtigen Theologie“ zu befinden, wie Julia Hoffmann in ihrer Dissertation (203) einordnet. Hier zeichnet sich möglicherweise eine in den Hauptzügen einheitliche Schöpfungslehre ab, authentisch festgeschrieben ist dies allerdings nicht.

Ideologieanfälligkeit von Schöpfungstheologien

Interessant sind die theologiegeschichtlichen Ausführungen Benks. So zeigt er am Beispiel der klassischen Engellehre, „wie Schöpfungstheologie zur Legitimierung und Sakralisierung gegebener Machtverhältnisse missbraucht wurde“ (20). Aus der Hierarchie der Schöpfungsordnung wurde die kirchliche Hierarchie abgeleitet und legitimiert – mit bleibenden Auswirkungen bis heute, auch wenn die Engellehre in zeitgenössischen Schöpfungstraktaten nahezu verschwunden ist (52).
Auch in den aktuellen Kontroversen um die Geschlechtlichkeit des Menschen finden sich schöpfungstheologische Argumentationen, „bei denen die ‚Natur‘ von Frau und Mann als schöpfungsgegebene Größe betrachtet wird, die beiden Geschlechtern festgelegte Rollen und Ämter zuweist bzw. verweigert“ (53). Statt in der Schöpfungsordnung festgelegt zu sein, werde die Zweigeschlechtlichkeit dagegen „heute als soziales Konstrukt betrachtet“ (53), was „durch die Genderforschung bestätigt“ (53) werde. Hier ist sicher Differenzierungsbedarf anzumelden, aber unter dem Titel „Naturalisierung der Moral?“ wurde ganz Ähnliches in diesem Forum diskutiert.
Für Benk ist es jedenfalls theologisch illegitim und ideologisch, „vorfindliche oder zu schaffende Verhältnisse mit einer angeblich ursprünglichen Schöpfungsordnung begründen oder davon ableiten zu wollen“ (56). Von einer biblischen Schöpfungstheologie werden Verhältnisse nicht zementiert, sondern „hinterfragt, kritisiert und mit möglichen Alternativen konfrontiert“ (56). Es ist ein zentrales Anliegen Benks und die große Stärke des vorliegenden Buches, mit der Schöpfungstheologie eine lebensfreundliche Utopie gegen die Ideologisierung herrschender Unrechtsverhältnisse in Feld zu führen.

Visionäre Schöpfungstheologie und Widerstand gegen herrschendes Unrecht

Um der ursprünglichen Intention der biblischen Schöpfungstexte auf die Spur zu kommen, hinterfragt Benk die Chronologie des Erzählstrangs historisch-kritisch. Die Reihenfolge der biblischen Schriften entspricht bekanntlich nicht ihrer Entstehungsgeschichte.

literarhistorisch

Erzählreihenfolge vs. Entstehungsgeschichte


Während im biblischen Kanon die Schöpfungstexte vor den Exodustexten (Befreiung aus Ägypten) stehen, sind literarhistorisch gesehen die Exodustraditionen älter und zentraler.
Die Bibel beginnt „zwar mit der Erschaffung von Himmel und Erde, aber sachlich ist die zentrale biblische Gottesvorstellung eben nicht diejenige von Gott als Schöpfer. Der Gott Israels und der Gott der Bibel ist zuerst und vor allem ein Gott der Befreiung“ (184f.; Herv. im Original).
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Hoffnung tut Not! (Eduard Bendemann: Die trauernden Juden im Exil, 1832; Abbildung gemeinfrei)


Wenn man die Entstehung der großen Schöpfungserzählungen nun in der (späten) Zeit des babylonischen Exils verorten kann, werden hier mehrere Kontexte prägend.

  1. Die Exodustradition wird auf die neue Situation hin aktualisiert, indem ein neuer Exodus und die Rückkehr der Deportierten erhofft werden (192f.).
  2. Es findet eine Art Globalisierung des Judentums statt, da es seit der Exilszeit in mindestens drei Regionen jüdische Zentren gibt: in Jerusalem, in Babylon und in Ägypten (191).
  3. Der Globalisierung entspricht die Globalisierung der Gottesvorstellung hin zum Monotheismus: Gott ist nicht nur regional zuständig, sondern konkurrenzlos allumfassend (192-194).

Es ist verständlich, dass in diesen Kontexten der Gedanke an Gott als ‚Schöpfer von allem‘ Kontur gewinnen konnte: „Der Gedanke, dass Gott Himmel und Erde geschaffen hat, war geeignet, die Hoffnung auf einen neuerlichen Exodus zu bestärken. … Wer Himmel und Erde erschaffen kann, wird auch sein Volk nicht im Stich lassen, sondern letztlich erretten.“ (194) Schöpfungstheologie also im Dienst der Befreiungstheologie.
Nimmt man den vierten Kontext hinzu, den Kontext der Prophetentradition, weitet sich die monotheistische Globalisierung der Gottesvorstellung in Richtung eines „Heilsuniversalismus“ (213): „JHWH wird sich auch den Erzfeinden Israels offenbaren und deren Heil ermöglichen“ (212). Im Hintergrund steht „die Vorstellung einer befriedeten Welt“, wobei dieser Friede „nicht durch Vertreibung, Unterwerfung oder Ausrottung der Feinde gewonnen [wird], sondern durch Überwindung des Feinde-Seins“ (215). Dass diese Vision einer befriedeten Welt auch die Tiere umfasst (Jesaja 11) und dass der bekannte Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen“ (Jesaja 2) in diesen Kontext gehört, ist bei Benk ausführlich gewürdigt (214f.).
Eine solche Vision ist nicht nur Wunschtraum, sondern handlungsrelevant:

„Entscheidend ist … die Erwartung und Einschätzung, mit der wir den Feinden begegnen: ob wir sie vernichten wollen oder ob wir Wege suchen, die Feindschaft zu überwinden. Die Hoffnung, die auf eine solche Utopie setzt, muss sich nicht erst erfüllen, um schon in der Gegenwart wirksam zu werden. Denn, so die Philosophin Natalie Knapp, ‚die Hoffnung schöpft ihre Kraft aus dem weiten Feld der Möglichkeiten. Sie ist die reale Wirkung einer möglichen Ursache, die in der Zukunft liegt, und damit ein klares zeitliches Paradox: Die Zukunft verursacht die Gegenwart.‘“ (216) Denn: „Anders handelt, wer sich wünscht, die Feinde letztlich zu überwältigen, als wer davon träumt, mit ihnen friedlich zusammenzuleben“ (217).

In Kenntnis der genannten Traditionen und Kontexte (Exodustradition, Prophetie, Monotheismus) geht dann die erste Schöpfungserzählung, die feierliche Ouvertüre der gesamten Bibel, „noch einmal einen Schritt über die damals vorliegenden prophetischen Visionen hinaus“ (226) und stellt „der Geschichte Israels nun eine Geschichte der Welt und der Menschheit voran“ (226). Denn die Vision der ersten Schöpfungserzählung „ist ja nicht nur eine Vision vom Heil Israels, sondern vom Heil aller Völker der Welt“ (226). Dies sei – in den Worten des Alttestamentlers Erich Zenger – „die Utopie, dass die Welt insgesamt befreit und verwandelt werden soll“ (226).
Erst recht, wenn die Entstehung der Schöpfungserzählung gegen Ende des Exils datiert werden kann, in einer Situation „zwischen Hoffen und Bangen“ (220), wird sie zum „‘kritisch-utopischen Beitrag‘ für die Gestaltung einer noch offenen Zukunft“ (220).
Erst vor dem Hintergrund dieser Kontexte lässt sich ermessen, was biblisch Schöpfung meint: „Es geht nicht um naturwissenschaftliche Fragen, sondern um kritische Analyse der gegebenen Verhältnisse und um kreativen Widerstand gegen himmelschreiende gesellschaftliche und (welt-)politische Missstände“ (232).

Einst: Weltwissen illustriert Schöpfungsglauben

Was bleibt von diesen eigentlichen Intentionen der Schöpfungstexte, wenn sich die biblischen Texte der Herausforderung durch platonische Naturphilosophie und Kosmologie stellen? Benks aufschlussreicher Rückblick in die Theologiegeschichte zeigt, dass es der christlichen Theologie bis zur Neuzeit gut gelang, „kosmologisches Sphärenmodell, platonische bzw. aristotelische Naturphilosophie und biblische Schöpfungstexte zu verbinden“ (74). Bei der Übersetzung der Schöpfungstexte ins Griechische lehnte man sich dabei durch gezielte Begriffswahl an Platons Timaios an und strebte „offenkundig nach einer Harmonisierung zwischen biblischer und platonischer Kosmologie“ (80). Mehr noch als bei dieser Harmonisierung veranschaulichen die Abbildungen des Buches eindrücklich, dass man später geradezu von einer „Einverleibung ptolemäischer Kosmologie durch christliche Theologie“ (76) reden kann.
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Durch diese Integrationsleistung „illustrieren die kosmologischen Vorstellungen den biblischen Schöpfungsglauben anschaulich“ (82).
Für Benk beginnt hier eine entscheidende, aber verhängnisvolle Weichenstellung, denn: „So wie sich Origenes und die ihm folgende Theologie am kosmologischen Sphärenmodell abarbeitete, um die biblischen Schöpfungstexte zu verteidigen, so ist auch noch in der Gegenwart Schöpfungstheologie in der Regel der Ort, an dem das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft bestimmt wird. … Der Preis für diese Entwicklung war, dass die ursprüngliche Intention biblischer Schöpfungstexte in den Hintergrund rückte“ (76).

Heute: Weltwissen konterkariert Schöpfungsglauben?

Das Abarbeiten an der jeweiligen Kosmologie hat nicht nur die ursprüngliche Intention biblischer Schöpfungstexte verdunkelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die heutige Naturwissenschaft stark von den vorneuzeitlichen Kosmologien abweicht und weder geo- noch anthropozentrisch ist. So sieht Benk eine „Unverhältnismäßigkeit zwischen theologischer Wertschätzung des Menschen und seiner marginalen Position im Weltall“ (112). Dies ist ein Grund, weshalb heutiges Weltwissen laut Benk zur Illustration eines Schöpfungsglaubens nicht mehr taugt: „Unser Weltwissen kann Schöpfungsglauben nicht mehr stützen und untermalen – es konterkariert ihn“ (111).
Diese These veranschaulicht Benk mit einer „Beschreibung des naturalen Weltalls“ von Franz Josef Wetz, zusammengefasst mit einer „ernüchternden, aber den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit ganz entsprechenden Feststellung“ (109), die hier in den Worten Wetz‘ ausführlich wiedergegeben werden soll:

„Die Natur, in die wir hineingeboren wurden, in der wir leben und sterben, ist das seit dem sogenannten Urknall expandierende, mit Milliarden von Milchstraßen erfüllte, unvorstellbar große Weltall. Darin bewohnen wir einen vergänglichen, winzigen Planeten, auf dem sich im Laufe eines naturgeschichtlichen Prozesses irgendwann menschliches Leben herausgebildet hat, das es ziemlich sicher einmal wieder nicht mehr geben wird“ (zitiert nach Benk 109f.).

Wetz beansprucht für seine „Abschlussdeutung“ zwar nicht, dass sie zwingend ist, aber doch „verständlich und plausibel“ (nach Benk 109), und für Benk legt damit „unser Wissen vom Weltall mitsamt der räumlichen und zeitlichen Marginalität der Menschheit … den Glauben, dass dies alles um unseretwillen eingerichtet sei, nicht mehr nahe“ (111).
Zu dieser Abschlussdeutung existieren allerdings viele ernst zu nehmende und glaubwürdige Gegendeutungen – nicht zuletzt von Astrophysikern, denen die empirischen Daten mindestens so gut bekannt sind wie Wetz, die aber zu entgegengesetzten Schlüssen kommen.

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Der Astrophysiker Arnold Benz ist Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Uni Zürich.


Man denke an den Astrophysiker Arnold Benz: „Im Staunen wird uns die Eigentümlichkeit der Erde und der biologischen Evolution wie zu einer Ikone, in der wir Gottes Wirken erahnen können“ (siehe Vortrag in diesem Forum).
Man denke an das Buch „Wie das Staunen ins Universum kam“ von Christian Kummer und Harald Lesch (ebenfalls Astrophysiker), der seinen Beitrag mit den Worten schließt: „Alle Lebewesen auf der Erde bestehen zu 92 Prozent aus Sternenstaub … Sonne, Mond und Sterne, sie alle waren beteiligt – unglaublich, aber wahr und eine sehr erhebende Feststellung, finden Sie nicht auch?“ (Lesch/Kummer 184). Und der Biologe Kummer beantwortet den Buchtitel: „Mit uns hat das Universum nicht nur eine Geschichte, sondern ist selbst Geschichte geworden, ein Woher und ein Wohin. Durch uns Menschen ist das Universum zum Staunen gekommen.“ (ebd. 189)
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Hans-Dieter Mutschler: „Unser Naturwissen MUSS in die Schöpfungstheologie integrierbar sein, sonst ist sie nicht mehr vertrauenswürdig“.


Auch der Philosoph Hans-Dieter Mutschler entwirft ein Benk und Wetz entgegengesetztes Narrativ, nämlich „eine narrative Theologie der Natur“. Dem stehe zwar auf den ersten Blick „die unendliche Größe des Kosmos, die Blindheit und das machtförmige Verhalten der Lebewesen entgegen. Sie sind aber theologisch nur dann sperrig, wenn man Quantität über Qualität stellt“ (Mutschler 2014, 303). Wenn man dagegen den quantitativen durch einen qualitativen Maßstab ersetzt, erscheint auch Benks „räumliche und zeitliche Marginalität der Menschheit“ in einem anderen Licht: „Der Kosmos kann gar nicht kleiner sein oder weniger alt, wenn er den Menschen hervorbringen sollte. Wir können also seine unermessliche Größe als Symbol dafür deuten, dass Gott unendlich um uns besorgt ist. Welchen Aufwand treiben Eltern nicht um ihre Kinder! Und der Mensch sollte Gott weniger wichtig sein?“ (Mutschler 322).
Hier ist heutiges Weltwissen nicht nur als „Illustration“ von Schöpfung zugelassen, sondern es wird geradezu zur Ikone (Benz) und zum Symbol (Mutschler) für Schöpfung aufgewertet. Die Aussage, dass sich ein Schöpfungsglaube „heute eben nicht mehr ‚verständlich und plausibel‘ (Wetz) auf das beziehen [kann], was wir vom Kosmos wissen“ (Benk 112), trifft nicht zu. Im Gegenteil: Wie gezeigt kann er es und er tut es, und das ‚verständlich und plausibel‘! Daher kann ich Benks Behauptung, dass das heutige Weltwissen den Schöpfungsglauben nicht illustriert, sondern konterkariert, nicht teilen.

Fixierung auf die Naturwissenschaften

Mit dem zuvor Gesagten ist aber nicht bestritten, dass eine einseitige „Fixierung“ auf heutiges Weltwissen die Sicht auf das Eigentliche versperrt: „Durch ihre Fixierung auf die Naturwissenschaften wurden die Schöpfungstheologien überdies verleitet, Akzente zu setzen, die die ursprüngliche Intention biblischer Schöpfungstheologie verdunkelten“ (21, vgl. 140). Und religionspädagogisch gewendet führt nach Benk „die naturwissenschaftliche Einbettung des Themas … die Schülerinnen und Schüler auf die falsche Fährte“ (17). Dass hier eine Gefahr besteht, ist nicht von der Hand zu weisen.
Evolution-als-SchoepfungDieser Gefahr erliegen nicht nur Schüler, sondern auch profilierte Akademiker. So äußerte sich der Nobelpreisträger und Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Werner Arber, in einem Festvortrag 2015: „Das entsprechende Kapitel aus dem alttestamentlichen Buch Genesis ist für mich ein Zeugnis für eine frühe wissenschaftliche Weltanschauung … In diesen Erzählungen finden wir eine gute Übereinstimmung zwischen dem frühen religiösen Glauben und der wissenschaftlicher Erkenntnis über evolutionäre Entwicklungen.“
41L-rWtGM+LIn gleichem Sinne meint der Evolutionsbiologe Josef Reichholf: „Was die Genesis so faszinierend macht, liegt in der so dicht gedrängten Darlegung des Ablaufs vom Anfang […] bis hin zum Menschen … Denn die Abfolge in sechs Hauptschritten trifft im Kern das Geschehen, so wie wir es gegenwärtig aus der naturwissenschaftlichen Forschung heraus verstehen”. (Reichholf 2007, 120) Und: „Ersetzt man die ‚Tage der Schöpfung’ durch Phasen (oder lange Zeiten) der Evolution, kommt in der Grundidee eine recht gute Übereinstimmung zustande“ (ebd. 121). In einer Besprechung des Reichholf-Buches habe ich zu entfalten versucht, dass das Faszinierende der Genesis eben nicht in der naturkundlichen Übereinstimmung liegt, sondern auf einer ganz anderen Erkenntnisebene. Dabei meinte ich beispielsweise die im Blick auf die Nachbarmythen entmythologisierende Kraft der Genesistexte. Sicher kein falscher Hinweis, aber erreicht habe ich damit längst noch nicht das, was Benk später als „visionäre Schöpfungstheologie“ herausarbeitet (s. u.).
Denn die schlichte Vermeidung dieses Kategorienfehlers, der Bibeltexte naturkundlich zu lesen versucht, ist noch keine Garantie dafür, das Eigentliche der Schöpfungstheologie freigelegt zu haben. Die von Benk angeprangerte Fixierung auf die Naturwissenschaften meint „die Lektüre der Schöpfungstexte vor dem Hintergrund unseres naturwissenschaftlichen Wissens über das Universum … Heutiges Wissen überblendet dadurch den ursprünglichen Kontext der Schöpfungstexte und verdunkelt ihr zentrales Anliegen“ (183). Diese Fixierung lässt sich in unterschiedlichen Bereichen belegen, vom Religionsunterricht (16f., 30ff., 37f., 183, 253f.) über Hochschule (33, 183) bis zu Bildungseinrichtungen und Akademien (183f.). Dieser bibelferne, heutige Kontext prägt nämlich „seit Jahrzehnten auch kirchliche Akademietagungen und Symposien zu den Themen ‚Schöpfung und Evolution‘ bzw. ‚Religion und Naturwissenschaft‘. Meistens treffen dort als Referenten systematische Theologen auf Physiker und Biologen … Exegetinnen oder Exegeten seien für dieses Thema nur noch sehr schwer zu gewinnen, erläuterte mir kürzlich ein Akademiereferent. Das wundert nicht, denn die öffentlichen Diskussionen über die Schöpfungstexte gehen völlig an dem vorbei, was die biblische Exegese in den vergangenen Jahrzehnten aufdecken konnte“ (183f.).
„Ertappt!“, könnte man flapsig sagen. Denn mit dem Akademiereferenten bin ich gemeint; und auch darüber hinaus trifft die Analyse Benks auf viele interdisziplinäre Veranstaltungen durchaus zu.

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Georg Steins: „Die naturwissenschaftlichen Anfragen kommen oft zu früh“.


Die visionäre Dimension von Schöpfungstheologie, die Benk am Herzen liegt, kamen bei den meisten Veranstaltungen in der Tat nicht vor – mit Ausnahme des Beitrags von Georg Steins („‚… damit du gerettet wirst!‘ – Der Ansatzpunkt alttestamentlicher Schöpfungstheologie“), der den naturwissenschaftlichen Kontext zugunsten der prophetischen Dimension bewusst ausgeblendet hat. Wenn viele Veranstaltungen das prophetisch Visionäre vermissen ließen, ist dies allerdings keine Geringschätzung dieser Dimension, sondern ist (in meinem Falle) eher einer akademisch-beruflichen Spezialisierung geschuldet (Fachbereich Naturwissenschaft – Theologie). Diese Spezialisierung mag bei Fachtagungen angebracht sein, aber für eine offene Veranstaltung wäre es ein Gewinn (wenn nicht gar ein Muss), beim Thema Schöpfung das prophetisch Visionäre nicht zu kurz kommen zu lassen. Dass allerdings das eigentliche schöpfungstheologische „Anliegen schon im Ansatz verstellt“ ist, wenn „die Schöpfungstexte im Kontext unseres naturwissenschaftlichen Wissens“ (184) gelesen werden, halte ich für überzogen. Ansonsten greife ich hier die Einwendungen Benks gern und selbstkritisch auf.
Ganz ähnlich kritisiert Benk die Zusammensetzung von Publikationen: „Es ist der entsprechende Missgriff, der regelmäßig bei interdisziplinären Publikationen zum Thema Schöpfung begegnet: Der erste Beitrag ist für einen möglichst renommierten Astrophysiker reserviert … Darauf folgt noch ein evolutionsbiologischer Beitrag – und damit ist sichergestellt, dass das revolutionäre Potenzial biblischer Schöpfungstheologie erledigt ist“ (254). Sosehr ich die Kritik an der Fixierung teile, den hier gezogenen Schluss („damit ist sichergestellt, dass“) teile ich ebenso wenig wie den Anschlusssatz: „Die naturwissenschaftliche Einbettung des Schöpfungsthemas gewährleistet zuverlässig, dass Schöpfungstexte nicht mehr als gesellschaftsverändernde Widerstandsliteratur gelesen werden“ (254f.). Warum eigentlich? Kann und sollte man nicht beides: Schöpfungstexte im Bezug zum Weltwissen UND als Widerstandsliteratur lesen? Oder funktioniert nur ein Lesen als Widerstandsliteratur STATT eines Lesens mit Weltwissensbezug?

Ablösung von den Naturwissenschaften?

Wie also kann man der zu Recht kritisierten Fixierung auf die Naturwissenschaften begegnen? Benk zeigt hier eine Tendenz zur Ablösung von den Naturwissenschaften: „Bezugswissenschaften jenseits der Theologie sind nicht in erster Linie die Naturwissenschaften, sondern die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ (23), denn: „Fachleute aus Physik und Biologie sind demgegenüber meist verzichtbar. Bei den … gängigen Themen kann der Austausch mit ihnen allenfalls dazu dienen, Missverständnisse auszuräumen und zu klären, was nicht Thema ist, wenn die Theologie von Schöpfung spricht“ (253; Herv. i. Orig.).
Dabei reicht es Benk auch nicht, der bisherigen Schöpfungstheologie die vermissten Dimensionen einfach nur hinzuzufügen: „Wenn man den prophetischen Kontext biblischer Schöpfungstexte bedenkt, kann es heute nicht genügen, nur eine neue Variante herkömmlicher Schöpfungstheologie aufzulegen. Erforderlich ist die grundsätzliche Abkehr von reaktiv ausgerichteten Schöpfungstheologien, die sich die (meist falschen) Themen durch die modernen Naturwissenschaften diktieren lassen“ (247).
Nicht Variation, sondern Abkehr lautet also Benks Vorschlag. Meiner Meinung nach schüttet Benk aus Sorge vor Fixierung das Kind mit dem Bade aus. Nicht Abkehr, sondern Variation wäre deshalb mein Gegenvorschlag. Die Variation aber müsste dann in der Tat im Sinne Benks die prophetisch-visionären Züge der Schöpfungstheologie so stark machen, dass sie als das Eigentliche zum Durchbruch kommen.

Hans Kessler

Hans Kessler: „Evolution ist die Bühne für das eigentliche Wirken Gottes“.


Als analoges Modell einer solchen Variation spricht mich eine Formulierung von Hans Kessler an: „Die Naturgesetze und die Evolution sind noch nicht das eigentliche Wirken Gottes, sie sind die – freilich dynamisch sich entwickelnde – Bühne: Welches Stück auf ihr gespielt wird, hängt von den in ihre Eigendynamik freigegebenen Wesen ab … Gott [kann] auf einer zweiten Intensitätsstufe noch ganz anders in der Welt … wirken: Dann nämlich, wenn und soweit Menschen sich für andere öffnen und damit Gott mit seiner allen geltenden Güte in ihr Leben ‚einlassen‘ … Überall, wo Menschen sich gegen Unrecht und für Gerechtigkeit für andere einsetzen, auch wenn es ihnen Verzicht und Opfer abverlangt, da wirkt Gott (vermittelt) durch sie“ (Allmacht oder Ohnmacht, 12f)
In unserem Zusammenhang wird das uneigentliche Schöpferwirken (Bühne) im Dialog mit den Naturwissenschaften thematisiert, das eigentliche Schöpferwirken als Befreiung zur Gerechtigkeit (Theaterstück) ist Gegenstand einer visionären Schöpfungstheologie. In diesem Bild wird man doch fragen dürfen, welche Möglichkeiten oder Einschränkungen die Bühne dem Stück bietet. Man darf sich nur nicht auf die Bühne fixieren, weil das Eigentliche freilich das Stück ist; die Bühne ist nur das Mittel. Fügt sich in dieses Bild nicht all das ein, was Benk meint, wenn er sagt: „Schöpfungstheologie dient Deuterojesaja nur als Mittel“ (195) und wenn er den „Zusammenhang vom Schöpfungstheologie und Soteriologie, von Schöpfung und Rettung“ (196) betont? Oder: „Sachlich ist die zentrale biblische Gottesvorstellung eben nicht diejenige von Gott als Schöpfer [uneigentliches Handeln Gottes]. Der Gott Israels und der Gott der Bibel ist zuerst und vor allem ein Gott der Befreiung [eigentliches Handeln Gottes]“ (184f., s. o.).
Dies muss dann allerdings nicht in Abkehr von, es kann in Anschluss an herkömmliche Schöpfungstheologie eingebracht werden. Denn auch der Dogmatiker Theodor Schneider versteht „Schöpfungsglaube als Funktion des Heilsglaubens“ (Schneider 1988, 120), und das selbst in einer Publikation über das Glaubensbekenntnis, bei dem sich zu Benks Bedauern „einmal mehr das Erbe griechisch-römischer Kultur gegen jüdisch-biblische Überzeugung durchgesetzt“ (188) haben mag.
Ehrlich gesagt habe ich – entgegen Benk – gar nichts gegen „reaktiv ausgerichtete Schöpfungstheologien, die sich die (meist falschen) Themen durch die modernen Naturwissenschaften diktieren lassen“ (s. o.). Es geht doch allen so genannten Genetiv-Theologien (Theologie des Sozialen, Theologie der Natur etc.) so, dass sie sich einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit zum Gegenstand erheben, um ihn theologisch zu deuten und sich dabei zunächst hörend auf die Einzelwissenschaften einlassen.
Benk hat natürlich recht, wenn er sagt: „Wer für den Wahrheitsanspruch biblischer Schöpfungstexte eintritt, braucht sich nicht an astrophysikalischen Weltmodellen oder an den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie abzuarbeiten“ (23). Mir war immer wichtig zu betonen, dass es im Dialog mit den Naturwissenschaften nicht um einen Wahrheitsanspruch, sondern um einen Aktualitätsanspruch geht, der in aktuellen Verstehenshorizonten (z. B. evolutives Denken) eine Aneignung ermöglicht (Peitz 1998, 322; 2011, 398). Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass eine solche Genetiv-Theologie nur eine sehr regionale Geltung hat, die andere (möglicherweise auch wichtigere) Dimensionen nicht ausschließt.

Ablösung im Dienst der Verständlichkeit?

Eine Anschlussfähigkeit und ein Sowohl-als-auch kommen für Benk offenbar (s. o.) nicht in Frage. Das ist für Benk die Konsequenz aus der Erfolglosigkeit herkömmlicher Schöpfungstheologie, die angesichts moderner Naturwissenschaften nicht mehr nachvollbar ist, obwohl sie sich doch „im Hinblick auf Pädagogik und Naturwissenschaften im intellektuellen Mainstream bewegt“ (44). Scheinbar paradox ist die Schöpfungstheologie für Benk erfolglos, nicht obwohl, sondern gerade weil sie sich im Mainstream bewegt. Denn „die ursprüngliche Intention biblischer Schöpfungstexte [lag] nie im Mainstream“; sondern „im Widerspruch dazu“ (45)! Für Benk ist darum „die heutige, auf Harmonie getrimmte Rede von Gottes Schöpfung oft nicht nur langweilig, sondern aus Perspektive biblischen Schöpfungsglaubens auch überflüssig und verzichtbar“ (45).
Benk hält dagegen die oben entfaltete Möglichkeit, die Schöpfungstexte als „Utopie zu lesen, die im Grunde in die Zukunft schaut“, als „die einzige Perspektive, in der Schöpfungstexte heute noch verständlich gemacht und aktualisiert werden können“ (221; Herv. im Original). Das betrifft freilich auch zuvörderst den schulischen Kontext, für den Benk konsequenterweise empfiehlt: „Kooperationen bieten sich beim Thema Schöpfung nicht vor allem mit den Schulfächern Biologie oder Physik an, sondern mit den Fächern Deutsch, Politik, Gemeinschaftskunde, Geschichte, Ökonomie usw.“ (255)
Eine auf Harmonie mit den Naturwissenschaften ausgerichtete Schöpfungstheologie mag vielleicht langweilig sein (obwohl ich das nicht glaube), „überflüssig und verzichtbar“ ist sie nach meiner Einschätzung keinesfalls! So scheint das auch Julia Hoffmann in ihrer Dissertation „Das Wirken Gottes innerhalb eines evolutiven Weltbildes: Systematische Theologie, Naturwissenschaften und Religionspädagogik im Dialog, 2014“ zu sehen: „Hier besteht die Notwendigkeit einer systematischen religionspädagogischen Förderung von Koordinationsleistungen verschiedener Weltsichtparadigmen, die mit einem angemessenen Verständnis des Wirkens Gottes in der Welt einhergeht. Findet eine solche Förderung nicht statt, so besteht die Gefahr, dass der Gottesglaube dauerhaft einbricht, wenn die Krise nicht reflektiert und religionspädagogisch aufgefangen wird“ (Hoffmann 122).
Mein Fazit der letzten beiden Kapitel: Weder in systematischer noch in religionspädagogischer Hinsicht ist eine Ablösung von den Naturwissenschaften sinnvoll.

Säkulare statt religiöser Sprache?

Bei der Rehabilitierung der Schöpfungstheologie geht es Benk um eine Reformulierung, die auch denen verständlich ist, „die sich selbst als religionslos oder areligiös verstehen“ (178). Er will dazu „religiöse Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen“ (179). Benk räumt dabei ein, „dass eine solche Übersetzung kaum verlustfrei möglich ist“ (243). Was aber heißt „Verlust“ genauerhin? Es ist laut Benk das Risiko, dass die Übersetzung „einen dürftigen Eindruck hinterlässt und enttäuscht“, wenn die Theologie „auf eine ihr wesentliche Ausdrucksweise verzichtet“ (243; Herv. HHP). Handelt es sich bei einer säkularen Übersetzung tatsächlich nur um ein kosmetisches Problem, oder um echten Substanzverlust? Geht es nur darum dass es „zu simpel klingt“ (182f.; Herv. HHP), oder darum, dass es zu simpel ist? Die folgenden Beispiele belegen für mich, dass es hier sehr wohl um wesentliche Inhalte geht, nicht nur um die Form.

Irrelevanz des Gottesglaubens?

Schon zu Beginn des Buches wird man überrascht von der Aussage, dass „die Anerkennung von Humanität als die einzige im strengen Sinn kategorische, das heißt bedingungslose Voraussetzung jeder christlichen Theologie“ sei und „dass Gottesglaube weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das ist, worum es christlicher Theologie im Kern geht“ (22). Später fragt Benk dann unter der Überschrift „Humanität als Maß der Religionen“ ausführlicher, „was Kriterium dafür sein kann, dass etwas als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ beurteilt wird“ (169) und kommt zu dem Schluss: „Das gesuchte Kriterium, die absolute Grenze der Beliebigkeit ist Humanität. … Dies ist die einzige im strengen Sinn kategorische, das heißt bedingungslose Vorgabe jeder Theologie und jeden Unterrichts“ (170). Von daher kommt Benk zur „Irrelevanz des Gottesglaubens“: „Christliche Theologie muss heute noch einen Schritt weiter gehen. Sie muss als ‚Rede von Gott‘ verdeutlichen, dass – aus theologischen Gründen! – Gottesglaube nicht das Entscheidende ist.“ (174)

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Fundamentaltheologe Max Seckler
© Jsd1777, wikipedia s.v. Max Seckler, CC-BY-SA 4.0


Nach Auskunft des Fundamentaltheologen Max Seckler jedoch ist für die Theologie „ihr Gegenstandsbereich … durch das Wort ‚Gott‘ angezeigt“, und dies ist – neben vier anderen Elementen – „von konstitutiver Bedeutung“ (Seckler 1977, 168).
Es wundert mich schon, wenn Benk sich auf denselben Seckler bezieht, wenn er fragt: „Lässt sich in nichtreligiöser Sprache ausdrücken, was Christsein bedeutet? Nach Max Seckler besteht ‚das spezifisch Christliche bei den Christen […] darin, zur Existenzform Jesu zu finden. Nicht zu Gott und nicht eigentlich zu Jesus, sondern zu seiner Existenzform.‘“ (181) Es wundert mich wiederum nicht, dass das Secklerzitat hier endet. Denn die Fortführung bei Seckler ist vielsagend: „An der Existenzform Jesu [ist] abzulesen, welches die letzte, das Menschenleben bestimmende Wirklichkeit sei … Jesus nennt die letzte, ihn betreffende Wirklichkeit, die ihn unbedingt angeht, ‚Abba, Vater‘. … Aus dieser persönlichen, vertrauenden Bindung gewinnt er ‚sein Leben‘.“  Und dieses Grundgesetz unseres Daseins zeigt sich „in einem Vollzug, der befreiende Möglichkeiten eröffnet“ (Seckler 1969, 190).
Theologie und Christsein ohne Gottesbezug scheint also nicht zu funktionieren, sonst wäre Theologie „verkappte Anthropologie“ (Seckler 1969, 187). Eine Brücke zu Benk wäre möglicherweise dadurch gegeben, „dass bei alledem nicht von einem An-sich-Sein Gottes die Rede ist, sondern von den Bedingungen des Heils des Menschen“ (ebd. 189). Denn „so bin ich … nur dann in der Liebe und in Gott, indem ich den Nächsten liebe“ (ebd. 188). Mit „Heil“ und „Nächstenliebe“ kommt an dieser Stelle „Humanität“ ins Spiel, ohne dass Gott aus christlicher Perspektive ausgeschlossen sein darf.
Wenn Benk sagt, „dass Gottesglaube weder notwendige noch hinreichende Bedingung“ ist, könnte man provokant dagegen formulieren: Der Gottesglaube ist notwendige und hinreichende Bedingung, sofern er Humanität notwendig einschließt.
Zurück zur Existenzform Jesu, deren Entfaltung Benk – wie gesehen – schlecht von Seckler beziehen kann. Er greift vielmehr auf Dietrich Bonhoeffer und Dorothee Sölle zurück und übersetzt die christologische Formel „wahrer Mensch und wahrer Gott“ in „Christus ist der Mensch für andere“, wobei „wahrer Mensch“ in „Mensch“ und „wahrer Gott“ in „Dasein für andere“ überführt wird (Benk 181). Dass Jesus dieses „Dasein für andere“ nur aus seinem intensiven Gottesbezug heraus leben konnte, bleibt notwendig ausgeblendet. Dieses Beispiel macht für mich vollends klar, dass bei einer säkularen Übersetzung nicht nur Form, sondern auch wesentlicher Inhalt verloren geht. Sehr wohl aber könnten solche Formulierungen ein Anknüpfungspunkt für Gespräche mit nichtreligiösen Menschen sein, wenn man beispielsweise der Frage nachgeht: Woher kann man die Kraft für ein „Dasein für andere“ beziehen?

Christliche Sondermoral?

Ähnliche Beobachtungen lassen sich machen, wenn Benk zur Beantwortung der Fragen, was alles wahre Humanität ausmache, feststellt: „Der Theologie stehen zur Beantwortung all dieser Fragen keine exklusiven Quellen zur Verfügung und sie entwickelt diesbezüglich auch keine christliche Sondermoral“ (173). Zur Bestätigung zitiert Benk den Moraltheologen Alfons Auer mit den Worten: „Es gibt für [Christen] kein eigenes ethisches Alphabet. Das Menschliche ist menschlich für Heiden wie für Christen“ (173). Die Berufung auf Auer besteht zu Recht, und das Zitat ist zutreffend wiedergegeben. Damit aber ist das eigentlich Christliche noch nicht erreicht, was erst durch die – bei Benk fehlende – Weiterführung des Zitats deutlich wird: „Das Menschliche ist menschlich für Heiden wie für Christen. Wohl aber stellt die christliche Botschaft den Glaubenden in einen neuen Sinnhorizont“ (Auer 1989, 212). Und dieser neue Sinnhorizont ist nicht etwa überflüssig, denn „dieser christliche Sinnhorizont wirkt sich nun in einer doppelten Richtung aus: Für das konkrete sittliche Handeln ergeben sich … spezifische Grundhaltungen und Motivationen …, für den Prozess der sittlichen Normenfindung erbringt es einen integrierenden, kritisierenden und stimulierenden Effekt, d. h. die christliche Botschaft ordnet alle Bemühungen um besseres Menschsein auf das im Glauben einsichtige letzte Ziel hin“ (ebd. 213).

Diesseits statt Jenseits?

Die Beobachtungen wiederholen sich, wenn es um die Frage nach dem Jenseits geht. Benk stellt zunächst fest, dass viele Menschen es „für die zentrale christliche Glaubensaussage [halten], dass ‚mit dem Tod nicht alles aus‘ sei, sondern dass es die Hoffnung auf ‚ein Weiterleben nach dem Tod‘ in einem ‚Jenseits‘ gebe“ (238). Benk hat dabei ein bestimmtes Verständnis von „Jenseits“ im Blick, nämlich ein Jenseits, das vom Diesseits radikal getrennt ist. Sollte ein derartiges Verständnis von Jenseits gemeint sein, versteht man sogar, wenn ein „katholischer Theologe und Priester“ (gemeint ist hier übrigens Gotthold Hasenhüttl) feststelle, dass „Gehorsam und Jenseitshoffnung […] zutiefst verderblich für Mensch und Gesellschaft“ sei (238). Auch Bonhoeffer bestreite, „dass darin das Wesentliche der Christusverkündigung der Evangelien und des Paulus zu sehen sei“ (238f.). Benk kommt schließlich zu dem Schluss: „Christlicher Glaube in der Nachfolge Jesu kommt nicht nur ohne Jenseitsglaube und vernebelnden Trost auf ein ‚Weiterleben‘ nach dem Tod aus, sondern sollte diesen Glauben provokativ zurückweisen, weil er den Blick auf das Wesentliche christlicher Botschaft verstellt“ (241). Dieses Wesentliche liegt für Benk ganz im Diesseits, denn er unternimmt nicht den Versuch, das Zerrbild von Jenseits als vernebelndem Trost durch eine tragfähige Jenseitsvorstellung zu ersetzen. In einer solchen entzerrten Jenseitsvorstellung wäre dann aber durchaus „das Wesentliche der Christusverkündigung der Evangelien und des Paulus zu sehen“.

Nocke_Liebe

Der Glaube an die Auferstehung befreit zum Wagnis der Liebe


So stellt der Dogmatiker Franz-Josef Nocke klar: „Der Glaube an die Auferstehung Jesu und an die allgemeine Auferstehung der Toten gehört zweifellos zum Zentrum der christlichen Verkündigung“ (Nocke 1993, 12), und das nicht zuletzt durch Paulus belegt: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1 Kor 15,13f.).
Dass ein solcher Jenseitsglaube keine Vertröstung darstellt, sondern eine motivierende Kraft für das Diesseits hat, legt Nocke ausführlich und plausibel dar. Statt der Alternative ‚Leben vor dem Tod oder Leben nach dem Tod‘ biete sich dann eher eine Kurzformel wie ‚Leben vor dem Tod, weil Leben nach dem Tod‘ an. So verstanden aber „eröffnet sich ein Sinnhorizont, in welchem gerade das irdische Verlangen nach radikaler Liebe und nach grenzenlosem Glück weder zugunsten anderer, jenseitiger Werte abgewertet werden noch an den Frustrationen der Endlichkeit scheitern muss“ (Nocke 1993, 187).
Wie oben ist es auch hier wieder der Sinnhorizont, der im Diesseits orientierende und motivierende Kraft hat, und der durch säkulare Übersetzung ausgeblendet wird. Dass ein solcher Sinnhorizont der Hoffnung im Diesseits wirksam werden kann, hat Benk ja selbst mit der Philosophin Natalie Knapp weiter oben eingeführt.
M. E. lässt sich nicht bestreiten, dass die Übersetzung in säkulare Sprache Dimensionen ausblendet, die für christliches Denken wesentlich sind. Bei Benk liest sich das für mich so, als ob man auf diese Dimensionen verzichten könnte (ja müsste), ohne das Eigentliche des Christlichen anzutasten. Da dürfte der Hauptdissens liegen.

Säkulare Sprache als Anknüpfungspunkt

Das Verdienst einer Übersetzung in säkulare Sprache soll damit in keiner Weise geschmälert werden. Benk führt eine Reihe gelungener Beispiele für Übersetzung an, die auch nichtreligiösen Menschen verständlich sind. Nur ist damit dann nicht Christentum verständlich gemacht geworden, sondern ein Humanismus. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass solche Übersetzungen gute Anknüpfungspunkte darstellen, um weiter zu fragen, wie einzelne Punkte vor dem Hintergrund der jeweiligen Weltanschauungen zu verstehen sind. Gut eignet sich dazu z. B. die Kurzfassung visionärer Schöpfungstheologie (273), bei der sich Benk die Mühe gemacht hat, in Klammern durch Schriftverweise zahlreiche Rückübersetzungen vorzuschlagen.
Noch ein anderes Beispiel mag dies verdeutlichen (Tabelle nach Benk 246 zusammengestellt)

Säkular Christlich-theologisch
Wer die Vision einer tatsächlich menschlichen und lebensfreundlichen Welt teilen kann Wem dank der Gnade Gottes dieser Glaube geschenkt ist
und wer sein Leben darauf zu gründen sucht und wer Jesus nachfolgen will
sieht sich im Einklang mit seiner Weltdeutung sieht sich im Einklang mit seinem christlichen Glauben
wo immer er zu einer lebens- und menschenfreundlichen Gestaltung der Welt beizutragen versucht, obgleich er weiß, dass diese Vision seine Kräfte übersteigt. wo immer er zu einer lebens- und menschenfreundlichen Gestaltung der Welt beizutragen versucht, obgleich er weiß, dass diese Vision seine Kräfte übersteigt.
Ins Zentrum rückt damit die gelassene Ins Zentrum rückt damit die von Selbsterlösungsphantasien freie und ganz auf Gott vertrauende
Mitwirkung des Menschen am Projekt einer wahrhaft lebensfreundlichen und menschlichen Welt Mitwirkung des Menschen am Projekt einer wahrhaft lebensfreundlichen und menschlichen Welt

Hier wären z. B. die beiden letzten Zeilen ein guter Anknüpfungspunkt, um zu fragen, was mit „gelassener Mitwirkung“ gemeint sein kann. Von christlicher Seite kämen dann die oben genannten Sinnhorizonte ins Spiel, die eine recht verstandene Gelassenheit ermöglichen können.
In Ausführlichkeit habe ich hier zu begründen versucht, was ich oben unter „Meine Leseerfahrung zusammengefasst“ als abstract formuliert habe. Den positiven Gesamteindruck sollten dabei die kritischen Bemerkungen nicht verdrängen.
Heinz-Hermann Peitz

Literatur

Hoffmann, Julia (2014): Das Wirken Gottes innerhalb eines evolutiven Weltbildes: Systematische Theologie, Naturwissenschaften und Religionspädagogik im Dialog.
Mutschler, Hans-Dieter (2014): Halbierte Wirklichkeit : Warum der Materialismus die Welt nicht erklärt, Kevelaer.
Nocke, Franz-Josef (1993): Liebe, Tod und Auferstehung : Über die Mitte des Glaubens, 3. Aufl., München.
Peitz, Heinz-Hermann (1998): Kriterien des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie, Innsbruck.
Peitz, Heinz-Hermann (2011): Kriterien und Bedingungen für einen gelingenden Dialog, in: Patrick Becker, Ursula Diewald (Hg.): Zukunftsperspektiven im theologisch-naturwissenschaftlichen Dialog, Göttingen, 385-408.
Reichholf, Josef H. (2007): Evolution: Wissen was stimmt, Freiburg.
Schneider, Theodor (1988): Was wir glauben – Eine Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, 3. Aufl., Düsseldorf.
Seckler, Max (1969): Kommt der christliche Glaube ohne Gott aus? In: Hans Jürgen Schultz (Hg.): Wer ist das eigentlich – Gott? München, 181-191.
Seckler, Max (1977): Theologie, Religionsphilosophie, Religionswissenschaft : Versuch einer Abgrenzung, in: Theologische Quartalsschrift Jg. 157, 163-176.

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