Entwicklungspsychologische Kenntnisse sind gute Voraussetzungen, die Entstehung von Gottesbildern bei Kindern zu verstehen. Gleichermaßen können sie späteren Glaubenskrisen, wie sie v. a. durch die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften fast vorprogrammiert sind, wirkungsvoll zu begegnen helfen.
Ludger Verst, Katholischer Religionslehrer und Religionspädagoge der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt, machte diese These bei der diesjährigen LehrerInnen-Tagung zum Thema „Gottesbilder“ am 12.-13. Oktober stark. Zwar seien Jugendliche der jüngsten Tübinger Repräsentativumfrage zufolge dem Glauben gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt, der derzeitige schulische Religionsunterricht greife dies jedoch nicht konstruktiv genug auf. Damit drifte das Reden von Gott in eine Wirklichkeitsferne, die mit der Lebens- und Glaubenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern kaum mehr in Berührung komme.
An Beispielen aus der eigenen Praxis machte Verst plausibel, dass Religionsunterricht nicht nur der Sachebene, sondern vor allem der Beziehungsebene dienlich sein müsse. Dann aber könne der Religionsunterricht ein Ort religionssensibler Begleitung, ein Experimentierraum für die religiösen Suchbewegungen der Schülerinnen und Schüler sein – Suchbewegungen, in denen ein kindliches Gottvertrauen aufgehoben werden kann, in denen aber auch Glaubenszweifel zugelassen und aufklärerische Anfragen produktiv aufgearbeitet werden. Wenn also z. B. die Naturwissenschaften zu Einbruchstellen des Glaubens werden, sei dies nicht nur zu bedauern, sondern gewollt aufzugreifen. So werden aus zufälligen Einbruchstellen absehbare und begleitbare „Sollbruchstellen“, entwicklungspsychologisch notwendige Krisen, die zu einem lebendigen Glaubensweg dazugehören. Auf diese Weise kann der Bruch mit einem soziomorphen Gottesbild, bei dem Gott als beziehungsdominante, menschenähnliche Handlungsmacht gesehen wurde, konstruktiv zu einem kosmomorphen Gottesbild führen, bei dem die Ort- und Zeitlosigkeit Gottes gedacht werden kann. Die Schülerin Laetizia hat dies eindrucksvoll visualisiert:

Aus dem transzendenten Gott mit Bart … wird ein Gott, der dem Kosmos immanent ist
Inzwischen hat Ludger Verst auf seinem Blog „Wege zum Menschsein“ den Vortrag als Download aufbereitet.
Was die Tübinger Umfrage ergab („Glaube ja – Religion nein“) spiegelte sich in den Medien, die Rainer Steib, Leiter der Fachstelle Medien und Geschäftsführer des Ökumenischen Medienladens, am Abend vorstellte. Exemplarisch der Kurzfilm „Rubai“: Das achtjährige irische Mädchen Rubai kann sich nicht länger mit der unhinterfragten religiösen Tradition ihres Landes identifizieren, die vergeblichen Gebete um Genesung ihres Vaters haben die klassischen Attribute eines gütigen und allmächtigen Gottes unglaubwürdig gemacht. Darwins Evolutionstheorie hingegen gibt für Rubai einen Sinn. Und dennoch: Am Grab pflegt sie eine anrührende Beziehung zu Ihrem Vater. Dass eine solche „religiöse Suchbewegung“ vom Lehrer nicht wertschätzend aufgegriffen wird (vom Pfarrer schon gar nicht), entspricht in filmischer Verdichtung der Problemanzeige, die Verst im ersten Teil aufgespannt hat.
[fvplayer src=“https://youtu.be/__RCraeIDqU“ splash=“https://forum-grenzfragen-test.de/wp-content/uploads/2018/10/rubai1.jpg“ caption=“Rúbaí verweigert die Kommunion (Video beim Medienladen mit deutschen Untertiteln erhältlich)“]
In Absprache mit Verst und Steib hat die Gymnasiallehrerin Katrin Handschuh (Vorstandsmitglied des Religionslehrerverbandes) zur anspruchsvollen Lehrplaneinheit „Die Frage nach Gott“ Unterrichtskonzepte mit Stundenentwürfen und Filmmodulen entwickelt. Neben „Rubai“ empfiehlt sie weitere Filme: „Die Hütte. Ein Wochenende mit Gott“, „Truman Show“, „Gott ist (nicht) tot“ und „Jugend ohne Gott“ können an unterschiedlichen Stellen der von Handschuh auf 16 Stunden ausgelegten Unterrichtseinheit gezeigt werden.

Aus der Präsentation von Katrin Handschuh
Handschuh hat eine Fülle von Materialien zu einem 130-seitigen Reader zusammengestellt, der die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer darin unterstützt, die „Frage nach Gott“ künftig noch vielfältiger und qualifizierter im Schulalltag umsetzen zu können.
Übrigens: Die Naturwissenschaften kommen bei den neuen Bildungsplänen zur Gottesfrage vor allem über die Religionskritik ins Gespräch:
Die Schülerinnen und Schüler können …
zu einer religionskritischen Konzeption aus Philosophie, Psychologie oder Naturwissenschaft (zum Beispiel D. Diderot, J. O. de La Mettrie, L. Feuerbach, K. Marx, F. Nietzsche, S. Freud, R. Dawkins, K. Hendrikse, M. Onfray) theologisch begründet Stellung nehmen (Evangelischer Bildungsplan 2016, S. 31)
Die Schülerinnen und Schüler können …
eine religionskritische Position (zum Beispiel Gott als Projektion, Gottesglaube als Zwangsneurose, materialistische, neodarwinistische oder neurobiologische Konzepte) und einen sogenannten Gottesaufweis prüfen (zum Beispiel Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Immanuel Kant, Bernhard Welte, Robert Spaemann) (Katholischer Bildungsplan 2016, S. 45)
Veranstalter
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Verband der Religionslehrerinnen und Religionslehrer in der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.
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