Schöner neuer Mensch – Stefan Lorenz Sorgners Transhumanismus und das christliche Menschenbild

Stefan Lorenz Sorgner gilt – laut Klappentext des Buches – als weltweit führender Vertreter des Post- und Transhumanismus (siehe auch Sorgners Vortrag in diesem Forum). In seinem neuesten Buch „Schöner neuer Mensch“ vom Oktober 2018 verortet Sorgner sich selbst „in der Mitte von Post- und Transhumanismus“ (47). Seine Nähe zum Transhumanismus beschreibt Sorgner dabei wie folgt:

„Wie die Transhumanisten gehe ich davon aus, dass die individuelle Lebensqualität entscheidend durch die neuesten Techniken gefördert werden kann, weshalb ich das Bemühen um die Überwindung der gegenwärtigen menschlichen Grenzen für erstrebenswert erachte.“ (47)

Erfreulicherweise geht Sorgners Überwindung der menschlichen Grenzen nicht so weit, wie die Dystopien der Ultra-Transhumanisten, die die Evolution des Menschen in dessen vollständiger Digitalisierung sehen: Unsterblichkeit durch „Mind Uploading“. Tesla-Gründer Elon Musk erlangt mit der Verbreitung solcher Zukunftsszenarien, gar mit der Behauptung, dass solches Mind Uploading bereits stattgefunden habe und „wir längst als digitale Wesen in einer Computersimulation existieren“ (28), nicht unerhebliche Medienpräsenz. Dazu passt, dass Musk einen Gastauftritt im Film Transcendence hat (26), der genau dieses Mind Uploading zum Thema hat.
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Realistische Herausforderungen

Sorgner will Mind Uploading auf siliziumbasierte Computer zwar „als Möglichkeit nicht ausschließen“ (26), aber allein wegen der Angewiesenheit von Leben auf Kohlenstoffverbindungen hält Sorgner es für „naheliegender, der Möglichkeit des Mind Uploading skeptisch gegenüberzustehen“ (31). Außerdem setze ein solches Mind Uploading eine umfassende „allgemeine Künstliche Intelligenz“ voraus; was wir derzeit beobachten, ist der gewaltige Fortschritt bei „speziellen Künstlichen Intelligenzen“, die in ganz eingeschränkten Zuständigkeiten schon jetzt den Menschen zu übertrumpfen in der Lage sind (34): Googles AlphaGo KI ist das beste Beispiel.
Die echten gesellschaftlichen Herausforderungen warten laut Sorgner also nicht in den „allgemeinen hochgeladenen Superintelligenzen“, sondern „vielmehr in der totalitären Struktur, die mit der umfassenden Vernetzung des Internets der Dinge einhergeht“ (34) und in der Verschaltung von KI und Gentechnik. Auf diese Weise „biologische Posthumane“ (34) zu kreieren, außerdem die Cyborgisierung voranzutreiben (32), hält Sorgner durchaus für möglich. Insofern ist Sorgner auch abseits medienwirksamer Zukunftsspekulationen von den „umwälzenden Implikationen der vierten Industriellen Revolution“ überzeugt, die „zweifelsohne zu radikalen Veränderungen“ (32) führen werden. Wie diese Veränderungen konkret aussehen können, schätzt Sorgner in den ersten drei Kapiteln ab.

Angepasste Ethik und der Abschied von der Sonderstellung des Menschen

Eine solche die bisherigen Grenzen des Menschen überwindende Veränderung erfordere allerdings auch eine veränderte Ethik, die Sorgner im vierten Kapitel skizziert. Kurz gesagt, müsse homo sapiens (nicht erst, aber auch) im Blick auf den künftigen Posthumanen eine „neue Bescheidenheit“ (6) an den Tag legen:

„Der schöne neue Mensch erlaubt es uns, uns von den totalitären und paternalistischen Implikationen des alten Denkens zu befreien, die menschliche Hybris der allgemeinen kategorialen menschlichen Überlegenheit abzulegen und eine neue moralische Bescheidenheit zu praktizieren.“ (59)

Es geht um nicht weniger als um den Abschied von der Sonderstellung des Menschen und eine Neujustierung des „moralische(n) Status von Menschen, Menschenaffen und Künstlichen Intelligenzen“ (7). Unter anderem sei dies der Grund dafür, dass der Transhumanismus als „gefährlichste Idee der Welt“ (Francis Fukuyama; 8) bezeichnet wurde. Und Sorgner weiß: „Für die Bewahrer des alten Menschen mag der Transhumanismus eine gefährliche Idee sein“ (8).

Kritische Anfragen aus christlicher Perspektive

Mein Gesamteindruck ist der, dass aus dem Buch ein zu einseitiger Technikoptimismus spricht. Wer erwartet, dass die „totalitäre() Struktur, die mit der umfassenden Vernetzung des Internets der Dinge einhergeht“ (34) für Sorgner Anlass von kritischen Bedenken ist, wird enttäuscht. „Totalitär“ ist hier offenbar nicht negativ gemeint , sondern eher im Sinne von „allumfassend“. Als „totalitär“ im negativen Sinn wird das „alte Denken“ bezeichnet, von dem es sich ja zu befreien gilt. Der technische Ausblick ähnelt durchaus Yuval Noah Hararis „Homo Deus – eine Geschichte von Morgen“, Hararis Technikfolgenabschätzung ist aber deutlich ausgewogener. So schließt Hararis Buch mit drei kritischen Nachfragen:

1. Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?

2. Was ist wertvoller – Intelligenz oder Bewusstsein?

3. Was wird aus unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserem Alltagsleben, wenn nichtbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst? (Harari 419)

Neben Sorgners einseitig optimistischer Prognosen sind es die normativen Implikationen und vor allem die Ethik des schönen, neuen Menschen, die aus der Perspektive eines christlichen Menschenbildes zur Kritik auffordern.

Gentechnik ≙ Erziehung?

Methodisch greift Sorgner bei ethischen Einschätzungen auf Strukturanalogien zurück. So seien gentechnische Veränderungen des Nachwuchses mit elterlicher Erziehung zu vergleichen. Dieser Vergleich überzeugt den Rezensenten Marcus Knaup nicht, „insofern erzieherisches Fehlverhalten zwar ein Leben lang nachwirken kann, wir uns jedoch zu unseren Erziehern und unserer Erziehung noch einmal verhalten können, während wir uns von einem genetischen Eingriff eben nicht einfach lösen können“; Kinder solcher „Designereltern“ würden zum „Machwerk“ (Knaup 33). Diesen Irreversibilitätseinwand lässt Sorgner indes nicht gelten, insofern auch Erziehung zuweilen irreversibel sei, wie das Erlernen der Muttersprache, Radfahren und Schnürsenkelbinden (12). Spätestens der Eingriff in die Keimbahn markiert jedoch einen qualitativen Unterschied: Mit ihm sind die Veränderungen über Generationen hinweg festgeschrieben. Und der Gedanke, dass Kinder zum Machwerk werden, ist weiter zu führen. Genetisch grundgelegte Defizite (wer sagt übrigens, was krank, defizitär etc. ist?) sind dann nicht länger Schicksal, sondern von Eltern, die eine genetische Veränderung ablehnen, ‚verschuldet‘.
Dass gentechnische Maßnahmen nach Sorgner „auf eigenen Wunsch“ (12) erfolgen sollen, ist selber Wunschdenken und verkennt, dass Freiwilligkeit schnell in sozialen Zwang übergehen und sich ein Nichttherapierter der Diskriminierungsgefahr aussetzen kann – ganz nach dem Motto: Das hätte doch heutzutage vermieden werden können. Einen solchen Zwang zur Anwendung stellt die Ethikerin Hille Haker heute bereits bei der Pränataldiagnostik fest. Die Frage von Paaren, ob sie ihr Kind testen lassen sollen, sei faktisch längst beantwortet: „Die Verfügbarkeit des Tests hat eine Sogwirkung ausgelöst, die die Pränataldiagnostik de facto als Bestandteil der Schwangerenvorsorge betrachtet“ (Haker, 48). Die Frage nach Freiwilligkeit stellt sich freilich nicht mehr, wenn in Sorgners Szenarium gentechnische Veränderungen „eine moralische oder sogar eine gesetzliche Verpflichtung“ (12) werden. Sorgner will dies nicht ausschließen, legt sich aber nicht fest. Aus der Perspektive der Ethikerin haben Eltern dagegen „ein explizites Recht darauf, Tests abzulehnen“ (Haker 49).
Faktisch jedenfalls sei die Reproduktionsmedizin bereits jetzt „zu einer schleichenden Qualitätskontrolle der zukünftigen Kinder geworden“ (Haker 50) und man könne beobachten, wie durch Kommerzialisierung „der Embryonenschutz, das Kindeswohl sowie der Schutz der Gesundheitsrechte von Frauen … systematisch in den Hintergrund gedrängt worden“ (Haker 50) seien: „Die anfänglich propagierte ‚Unterstützung‘ der Natur durch Technik in Fällen ungewollter Kinderlosigkeit ist inzwischen so umdefiniert worden, dass die Reproduktionsmedizin zu einem lukrativen globalen Markt geworden ist, der Spermien und Eizellen kommerzialisiert“ (Haker 50).
Wenn man all dies mitbedenkt, erscheinen die gentechnischen Veränderungen in der Tat in einem qualitativ anderen Licht als Erziehungsmaßnahmen.

Therapie + Optimierung

Die in den Blick genommenen Eingriffe sollen dabei nicht auf Therapie beschränkt bleiben. Das Beispiel Impfen zeige, „dass Eltern bereits gegenwärtig dazu berechtigt sind, ihre Kinder nicht nur zu heilen oder sie therapieren zu lassen, sondern auch, sie technisch zu verbessern“. Ausdrücklich findet Sorgner, „dass die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Therapie und Verbesserung eine problematische ist, die nicht stringent aufrechtzuhalten ist“. Auf jeden Fall „handelt es sich bei der Förderung von Fähigkeiten des eigenen Nachwuchses um eine elterliche Tugend“ (12). Die Frage „Würde es sich nicht um eine gute elterliche Erziehung handeln, wenn der Nachwuchs mittels eines sicheren genetischen Eingriffs in ein Mathe-Genie verwandelt werden könnte?“ (13), ist für Sorgner rein rhetorisch. Verstärkt gilt an dieser Stelle das oben gegen Designereltern und Kindern als Machwerk in Feld Geführte.
Wer sich eine solche Welt des designeten Nachwuchses anschaulich vor Augen führen will, lese Marc Elsbergs „Helix“. Untertitel und Trailer dieser hervorragenden literarischen Annäherung an den Transhumanismus bringen es auf den Punkt: „Sie werden uns ersetzen!“
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Fast hätte ich vergessen zu erwähnen, dass die Erlaubtheit kindlicher Erbveränderung selbstverständlich ebenso bedeutet, „dass es für Erwachsene legitim sein kann, sich auf eigenen Wunsch hin genetisch verbessern zu lassen“. (14)

Verletzen minimieren – erfülltes Leben realisieren?

Wie weit gehen die Optimierungshoffnungen Sorgners? Er will freilich realistisch bleiben: „Ich gehe hier nicht von einem notwendig sich entfaltenden zielgerichteten Prozess aus, bei dem sich die Lebensqualität auf Erden kontinuierlich verbessern wird. Dies wäre eine naive Vorstellung.“ (57) Aber: „Wenn wir uns … beständig dafür einsetzen, das Verletzen anderer zu minimieren und die freien Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen zu verbessern, lässt sich die Wahrscheinlichkeit der Realisierung von erfülltem Leben durchaus erhöhen.“ (57)
Auf den ersten Blick hört sich dies gut und human an. Aus theologischer Perspektive erweist sich diese Sicht jedoch als ungenügend und einseitig. „Verletztlichkeit“ wird nur negativ und als etwas zu überwindendes gedacht. Das aber ist nur eine Seite der Medaille. Hildegund Keul macht auf beide Seiten und eine doppelte Fragerichtung aufmerksam:

  • „Wo ist es notwendig, sich selbst und die eigene Gemeinschaft (Familie, Religion, Staat) vor Verwundungen zu schützen? Wer sich nicht vor Verwundungen schützt, wird das schnell mit dem Leben bezahlen.
  • Wo ist es notwendig, um der Humanität willen die eigene Verletzlichkeit zu riskieren?“ (Keul)

Gerade die zweite Fragerichtung macht etwas spezifisch Christliches aus. Verwundung im Sinne von Opfer und Hingabe – um eines humanen Zieles willen – sind Kernthemen des Christentums, seit seiner Entstehung: Gott selbst macht sich in dem, was christliche Theologie als Menschwerdung bezeichnet, verletztlich. Welche treffenderen Bilder als die eines Kindes in der Krippe oder eines am Kreuz zu Tode Gefolterten könnte man sich ausdenken. Noch einmal, um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nie um Leid um des Leidens willen, sondern darum, dass „Menschen ihre eigene Verwundbarkeit riskieren, um das Leben Anderer zu schützen“ (Keul). Denn: Um ein humanes Leben zu führen, genügen Selbstschutz und ein Minimieren von Verletztlichkeit allein nicht. Gerade die aktuelle Erfahrung mit Migration und Flucht zeigt für Keul: Wer keine Verletzlichkeit riskieren will, „braucht immer höhere Mauern, mächtigere Grenzanlagen und schärfere Waffen“ (ebd.).
Die Beobachtungen gelten nicht nur für den gesellschaftlichen Makrokosmos, sondern auch für den familiären oder individuellen Mikrokosmos. Überall, wo ich mich engagiere für eine mir wichtige Sache, für Freunde oder Menschen, die ich liebe, mache ich mich verletzlich, und oft genug werde ich verletzt. Das nicht zu wagen, wäre eine Verarmung des eigenen Lebens und das der anderen, ja, es wäre die Hölle auf Erden.

C. S. Lewis; public domain


„Der einzige Ort außerhalb des Himmels, wo du vor all den Gefahren … der Liebe vollkommen sicher sein kannst, ist die Hölle“ (C. S. Lewis)

Gelingendes, gar erfülltes Leben, wie es Sorgner vorschwebt, ist ohne Verletzlichkeit und Verletztwerden nicht zu haben. Darum geraten wir in eine Schieflage, wenn in einem neuen Techno-Humanismus (Harari 371) Verletzlichkeit ausschließlich als zu überwindendes Übel dargestellt wird.

Zygote ≙ Hirntod?

Um die bestmögliche Auswahl zur Züchtung zu haben, empfiehlt Sorgner PID und genetische Selektion (14f.). Das geht freilich nur, wenn der befruchteten Eizelle Personstatus und Menschenwürde abgesprochen werden. Auch dafür bemüht Sorgner eine Analogie. Beim Hirntod könne davon ausgegangen werden, dass kein Bewusstsein vorliegt und der Mensch als tot gilt. Wenn es also ohne Gehirn kein Bewusstsein gibt, dann kann analog „in den ersten Tagen nach der Befruchtung sicherlich nicht von einem Bewusstsein ausgegangen werden“ (15). Daraus folgt für Sorgner, „dass eine befruchtete Eizelle noch keinen spezifischen moralischen Status besitzt“ und damit „die Möglichkeit der Selektion“ infrage kommt (15).
Auch dieser Vergleich hinkt m. E. beträchtlich. Der entscheidende Unterschied besteht doch darin, dass eine befruchtete Eizelle auf ein bewusstes und personales Leben angelegt ist, was man vom hirntoten Menschen gerade nicht sagen kann.

Der entscheidende Unterschied: Bei der Zygote beginnt menschliches Leben, beim Hirntod endet es


Diese Argumentation scheint mir einsichtig, hinreichend und voraussetzungsärmer als der Rückgriff auf das Konzept einer aktive Potenz der Zygote, mit der die theologische Ethik häufig arbeitet. Wer dies vertiefen will, lese die Ausführungen des Embryologen Günter Rager. Rager kommt zu dem Schluss:

Günter Rager bei der RSNG-Tagung 2008


„Bei genauer Betrachtung der Eigenschaften und der Entwicklung des menschlichen Embryos ergibt sich, dass der Embryo von der Befruchtung an ein menschliches Individuum ist. Dieses Individuum verfügt über die Möglichkeit, ein Nervensystem zu entwickeln, womit seine rationale Natur grundgelegt ist. Der Embryo ist deshalb als Person im philosophischen Sinn zu bezeichnen. Aus der Zuschreibung des Personseins ergeben sich wichtige ethische Konsequenzen. Eine Person hat Würde und darf nicht als Mittel zum Zweck gebraucht werden.“ (Rager 15)

Auch ohne Potenzargumentation steht für Hille Haker „die Transformation eines zukünftigen Kindes in einen ethisch neutralen Embryo“ einer verantwortlichen Elternschaft „zutiefst entgegen“ (Haker 50). Ver-antwortung meint hier „‚Antwort‘ auf die Anwesenheit eines Menschen, der gerade in der Reproduktionsmedizin von Beginn an sichtbar und daher auch existenziell präsent ist“, und „sobald ein Mensch existiert, ist er unabhängig von seinem Entwicklungsstadium ein Gegenüber“. Der Beginn einer solchen Elternschaft enthält eine „objektive Unbedingtheit der auf die Gegenwart eines anderen re-agierenden Verantwortung“. Eine solche Unbedingtheit ist aufgekündigt, wenn in der Pränataldiagnostik, die „Anerkennung unter Vorbehalt“ steht, da „das zukünftige Kind sich ausweisen muss bis in die einzelnen Zellen seiner genetischen Existenz“ (Haker 50). Dies aber „verfehlt … den ethischen Kern der Elternschaft, die gerade in der Unbedingtheit der Sorgebeziehung besteht“ (Haker 50f.). Ein Embryo würde verzweckt, wenn er in der Nutzensumme der Gesamtgesellschaft utilitaristisch verrechnet würde: Ein Optimierungskalkül kollidiert mit Unverrechenbarkeit!

Schockenhoff: „Verbrauchende Embryonenforschung muss ausgeschlossen sein.“


Unmittelbar einsichtig ist die rückblickende Argumentation, wie der Ethiker Eberhard Schockenhoff (siehe Literatur) sie anbietet: „Mit welchem Zeitpunkt beginnt meine biologische Lebensgeschichte? Dann stoßen wir auf den Prozess der Befruchtung. Spätestens mit diesem biologischen Vorgang begann unsere personale Lebensgeschichte.“ Und wenn eine Person grundsätzlich schützenswert ist, kann man die Anfangsphasen seiner Existenz vom Schutz nicht ausnehmen.
Da wir beim Schutzstatus des Embryos an einem entscheidenden Konfliktpunkt mit einer christlichen Anthropologie und Ethik angelangt sind, werden wir weiter unten darauf noch zurückkommen müssen.

Selektion ≙ Partnerwahl?

Ist Zygoten mit der Personwürde die Schutzwürdigkeit erst einmal entzogen, kann man sie beseitigen wie Sachen. Ist damit schon das Designen des Nachwuchses legitim? Sorgner fragt angesichts der Auswahlmöglichkeiten, die schon jetzt in Großbritannien bestünden, wenn potenziellen Müttern bis zu 60 Eizellen entnommen und befruchtet werden: „Ist es erlaubt, die befruchteten Eizellen mit den besten kognitiven Fähigkeiten zu implantieren – oder ist dies vielleicht sogar moralisch geboten?“ (15)

Partnerwahl als Nachwuchs-Selektion?
(Abbildung CC0-Lizenz)


Zur Legitimierung einer solchen Selektion via PID sucht Sorgner wieder nach einer Analogie – und findet sie: Es ist die „Partnerwahl zu Fortpflanzungszwecken“ (16). Auch hier gilt: „Jeder von uns selektiert bei der Partnerwahl“, und damit ist „der allgemeine Genpool des eigenen Kindes … hiermit vorgegeben“ (15). Das gleiche gelte für die PID: „Auch hier werden Gene ausgewählt. Wie im vorangegangenen Beispiel wird auf diese Weise der Genpool vorherbestimmt.“ (16) Fazit: „Dieser Umstand stellt einen plausiblen Grund dafür dar, dass die Partnerwahl zu Fortpflanzungszwecken und die genetische Selektion auch moralisch analog zu behandeln sind“ (16), sprich: legitim sind.
Aber auch diese Analogie trägt nicht. Zur Begründung muss ich etwas ausholen. Zugegeben: Je naturalistischer die Perspektive ist, desto eher gerät in den Blick, dass unsere Partnerwahl „stärker von unserem evolutionären Erbe beeinflusst [ist], als wir dies bewusst anerkennen mögen“ und es Studien gibt, „die zeigen, dass wir den Fortpflanzungspartner unbewusst anhand seines Geruchs auswählen“ (16). Mehr noch: Sorgner hätte seine Argumentation stärken können, sagen diese Studien doch, „dass mit dem Geruch ein direktes sensorisches Fenster zum Erkennen ‚genetischer Qualität‘ zur Verfügung steht“ (Voland 151). Und genau um diese genetische Qualität(sverbesserung) geht es Sorgner doch in beiden vermeintlich analogen Fällen: im Falle der Partnerwahl wie im Falle gezielter Selektion qua PID. Und bei der Partnerwahl scheint ihm die Empirie Recht zu geben.
Nun aber zu den Gründen, warum diese Analogie eben nicht tragfähig ist. Ich meine damit nicht, dass eine naturalistische Perspektive meine Partnerwahl sicher nicht erschöpfend erklärt – für Sorgner selbst wäre „ein genetischer Determinismus … eine naive Denkweise“ (15). Ich meine damit auch nicht die quantitative Einschränkung der genannten Studie: „Partnerwahlentscheidungen basieren gelegentlich auch auf Geruch“ (Voland 151; Herv. von mir).
Entscheidend ist der qualitative Unterschied. Selbst wenn die natürliche Evolution (in mir) bei der Partnerwahl in Richtung genetischer Qualität (was auch immer ‚Qualität‘ hier bedeutet) selektiert, bin ich noch lange nicht legitimiert, meinerseits und nach meinen Maßstäben Selektion zu betreiben. Dies wäre ein typischer naturalistischer Fehlschluss, brillant von einem vielbenutzen Beispiel illustriert: Aus der Tatsache, dass der Wind einen Dachziegel herunterweht und damit jemanden erschlägt, kann ich nicht folgern, dass es legitim ist, jemanden mit einem Dachziegel zu erschlagen.
Fazit: Aus der Annahme, dass die Partnerwahl unbewusst auf naturaler Basis selektiert, lässt sich Selektion als bewusste Entscheidung genauso wenig legitimieren wie der Schluss von der Tatsache, dass bei der natürlichen Fortpflanzung Embryonen verloren gehen, auf die Legitimität verbrauchender Embryonenforschung und -nutzung.

KI trifft Gentechnik

Der nächste Abschnitt hat mit der „Verschmelzung der beiden wichtigsten Zufunftstechniken zu tun, der Gentechnik und der Künstlichen Intelligenz“ (16). Genetische Big Data Analysen stellt Sorgner primär in ihren Chancen für gesundheitlich Maßnahmen dar. So könne man auf bestimmte Dispositionen vorbeugend reagieren (17). Und die zunehmende Cyborgisierung des Menschen beschere nicht nur Hirn-Computer-Schnittstellen als Tastaturersatz (23), auch die Überwachung des Körpers über Nano-Chips und Nanobots werde eine „predictive maintenance des Menschen“ (24) und eine rechtzeitige Therapie möglich machen. Unterstützt würden solche therapeutischen Entwicklungen nicht zuletzt aufgrund der Interaktion des „Internet der körperlichen Dinge“ mit dem „Internet der Dinge“ (24). Dass dies eine realistische Vision ist, sieht Sorgner darin begründet, dass sich „bereits heutzutage … mehr Geräte im Internet der Dinge als Menschen auf der Erde“ (25) befänden.
Bei solchen Möglichkeiten erscheint auch Altern als Krankheit: „Was gegenwärtig als normale und daher zu akzeptierende Alterserscheinung angesehen wird, wird künftig aufgrund der weiter voranschreitenden Cyborgisierung eine zu therapierende Krankheit sein“ (24). Ausdrücklich sagt Sorgner an anderer Stelle, dass „der Prozess des Alterns als eine Art von Krankheit aufzufassen ist“ (Sorgner 2013).
Für Ralf Lutz liegt hier eine „inflationäre Ausdehnung des Begriffs der Krankheit“ (Lutz 139) vor mit der Konsequenz, dass Altern dann „im Rahmen medizinischen Selbstverständnisses ‚behandelt‘ werden“ (ebd.) muss. Für eine „Verlängerung der Gesundheitsspanne“ (Sorgner 2013) sprechen sicherlich gute Gründe. Wenn Altern jedoch das Etikett einer zu heilenden Krankheit trägt, wird die Einsicht erschwert, dass eine „Akzeptanz von Gebrechlichkeit angezeigt ist, da wo es unvermeidlich erscheint“. Gerade eine theologische Anthropologie wird neben dem Verfügbaren immer auch den Blick für das Unverfügbare wach halten, und der Umgang mit Endlichkeit darf genauso wenig verdrängt werden wie der Umgang mit dem Tod (Lutz 143). Stattdessen weiß Sorgner zu berichten, dass bei transhumanistischen Extremformen eher von der Überwindung des Todes phantasiert wird: „Digitale Unsterblichkeit“ durch „Mind Uploading“ (26).

Ernst Bloch © Bundesarchiv, Bild 183-35545-0009 / CC-BY-SA 3.0


„Es ist also dieser Kampf gegen das Schicksal, der medizinische und soziale Utopien trotz allem verbindet. Das Vermögen, verloren gegangene Teile zu ersetzen, ist im menschlichen Körper geringer als bei niederen Tieren, dafür wird erst im Menschen das utopische Vermögen zu bisher nie Besessenem wirksam. Es ist unwahrscheinlich, dass diese dem Menschen so wesentliche Kraft, die Kraft des Überschreitens und Neubildens, an seinem Leib stillsteht.“ (Ernst Bloch 1959, Prinzip Hoffnung, Frankfurt, 541; zit. nach Lutz 140)

Abschied von der Menschenwürde: die neue Bescheidenheit des Menschen?

Durch Cyborgisierung, Gehirn-Computer-Schnittstellen, KI und die Vernetzung über das Internet der körperlichen Dinge könnten als das „zentrale Anliegen aller Transhumanisten“ die „bisherigen Grenzen unseres Menschseins gesprengt werden“ (44). Dabei „weicht nun die kategoriale ontologische Dualität von Mensch und Maschine … auf“ (41). Ebenso ist die „Person-Sache-Unterscheidung an sich … eine problematische, die aufgelöst werden sollte“ (41). Damit fällt auch die Bindung des Würdebegriffs an den Menschen; es sei „menschliche Hybris, dass nur Menschen als Träger von Würde angesehen werden“ (39). Zwar war laut Sorgner „der traditionelle Humanismus … wichtig, insofern er die Inklusivierung von immer mehr Menschen in die Gruppe der Würde-Träger förderte“ (43). Nun habe aber eine neue Stufe zu folgen: „Die jenseits des Humanismus liegenden Bewegungen rücken vom Anthropozentrismus, vom Essenzialismus und vom ontologischen Dualismus ab und fördern die Inklusivierung von immer mehr Entitäten mit moralisch relevanten Eigenschaften in die Gruppe der Personen“ (43). Sorgner nennt dies „eine neue Bescheidenheit des Menschen“ (43). Diese neuen Bewegungen stünden in der „Tradition des evolutionären Denkens“ und gingen „von einem grundlegend neuen Paradigma aus, gemäß dem der Mensch sich nur noch graduell von der übrigen Welt unterscheidet“ (44).

Menschenwürde ≙ Würde der Kreatur?

Die „Inklusivierung von immer mehr Entitäten“ kennt übrigens eine interessante und bereits realisierte Analogie – wenn man schon auf der Suche nach Analogien ist. Sorgners Forderung ähnlich war es ein Anliegen der schweizerischen Gesetzgebung, den außermenschlichen Bereich zu inkludieren und dazu den Begriff ‚Würde der Kreatur‘ als Integrationsbegriff anzubieten. Die theologische Ethikerin Heike Baranzke ist in ihrer Dissertation (und in einem Beitrag dieses Forums) der Frage nachgegangen, ob der Bestandteil ‚Würde‘ im menschlichen wie außermenschlichen Fall noch als semantisch identisch verstanden werden kann. Um das ungeklärte Nebeneinander der beiden Begriffe von „Würde“ zu überwinden, führt Baranzke die Unterscheidung von Bonitas- und Dignitas-Würde als entscheidenden Schlüssel ein.
Während der Güte der Schöpfung eine Würde der „Gutheit“ zuerkannt werden könne, komme dem Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit eine Würde der „Verantwortlichkeit“ (Freiheit) zu. In diesem Sinne sei die Verschiedenheit der Begriffe auch deshalb aufrechtzuerhalten, damit überhaupt Tierethik betrieben werden könne und nicht das Verantwortungsobjekt mit dem Verantwortungssubjekt verwechselt werde.
In der ethischen Mensch-Tier-Beziehung seien – so Baranzke – immer zwei Hinsichten zu berücksichtigen. Zum einen seien die Ähnlichkeiten von Mensch und Tier daraufhin zu befragen, wie seitens des Menschen würdig mit Tieren umgegangen werden solle, zum anderen aber sei die ethische Differenz zwischen Mensch und Tier aufrechtzuerhalten (nur der Mensch kann als Freiheitswesen Verantwortung übernehmen).

Schmerzempfindung als Kriterium

Zurück zu Sorgner: Nicht Artzugehörigkeit („Speziesismus“), sondern „die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden“ sei im Rückgriff auf Peter Singer moralisch relevant. Sorgner weiß sehr wohl, dass eine „solche Revision des Personkonzepts … brisante Konsequenzen“ (49) hätte: „Weder dem Schwein noch dem neugeborenen Menschen käme der Personstatus zu“ (49).
Sorgner greift nun weiter aus und will „die grundsätzliche Abkehr vom traditionellen Personenbegriff weiterdenken und auf Computer, Androiden und Künstliche Intelligenzen anwenden“ (51). Ungeachtet dessen, dass er Mind Uploading für unwahrscheinlich hält (s. o.), fragt er: „Würde ein auf eine Festplatte geladener Mensch also durch den Prozess des Mind Uploading seinen Personenstatus verlieren“ (51), wenn er keinen körperlichen Schmerz empfinden kann? Sorgner spricht daher fürderhin lieber von „kognitivem Schmerz“ (52): „Wenn die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, das entscheidende Kriterium für den moralischen Status einer Entität sein sollte, läge es auf der Basis dieser Überlegungen nahe, dass auch Künstlichen Intelligenzen ein moralischer Status zukommen sollte. Dieser sollte davon abhängen, inwiefern sie in der Lage sind, kognitive Schmerzen zu realisieren.“ (52)
Um dies plausibel zu machen, bemüht Sorgner die fiktive Figur des Androiden Data aus der Serie Star-Trek, die dieses Thema in der Folge „Wem gehört Data“ schon 1989 vorausschauend diskutiert hat, und mit dieser Folge (als einziger der Serie) für die Kategorie ‚Bestes Drehbuch‘ nominiert wurde.

Android Lt. Commander Data – Sache oder Person?

Ist der Android Data nur eine Maschine, über die die Sternenflotte frei verfügen, die sie beliebig vermehren und verzwecken kann?
[fvplayer src=“https://youtu.be/gxS3aXXDn4k“ splash=“https://i.ytimg.com/vi/gxS3aXXDn4k/maxresdefault.jpg“ caption=“Wem gehört Data? 35. Episode von Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert.“]
Die Richterin urteilt:

„Dieser Fall hat sich mit Metaphysik beschäftigt, mit Fragen, die am besten Heiligen und Philosophen überlassen werden. Ich bin weder kompetent noch qualifiziert, diese zu beantworten. Ich muss eine Entscheidung treffen, die auch unsere Zukunft beeinflusst. Ist Data eine Maschine? Ja. Ist er Eigentum der Sternenflotte? Nein. Wir alle haben um das grundlegende Thema herumgetanzt. Hat Data eine Seele? Ich weiß nicht, ob er das hat. Ich weiß nicht, ob ich das habe. Aber ich muss ihm die Freiheit geben, diese Frage selbst zu stellen. Es ist das Urteil dieses Gerichts, dass Lieutenant Commander Data die Freiheit hat, zu wählen.“ (Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator)

Von der neuen Bescheidenheit zum neuen Menschen

Am Ende des Buches kommt Sorgner zu dem Schluss: „Wenn wir den Speziesismus-Einwand Singers ernst nehmen, lässt er sich nicht nur zu den Menschenaffen hin anwenden, sondern ebenso in Bezug auf weiterentwickelte Menschen, Außerirdische oder Mitglieder einer anderen Art“ (55). Diese ethische Skizze stellt für Sorgner „einen ersten Schritt dar, um mit der Herausforderung der Bestimmung des moralischen Status von Künstlichen Intelligenzen umzugehen“ (58), und die „Abwendung von der Identifikation von Menschen mit Personen [ist] ein entscheidender Schritt hin zum neuen Menschen“ (58).
Was oben bereits zum Status der Zygote gesagt wurde, kann hier nur bestätigt und vertieft werden. Die Trennung von Mensch- und Personsein ist für eine christliche Anthropologie nicht tragbar. „Die personale, konfessionsübergreifend … vertretene Position betrachtet den Embryo ab der Verschmelzung der Vorkerne als Lebewesen mit personalem Wert“ (Körtner 21), fasst die „evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin“ prägnant zusammen und grenzt sich ausdrücklich ab von einer – auch von Singer und Sorgner vertretenen – „antipersonale(n) Theorie, welche den Embryo in moralischer Hinsicht als Nicht-Person einstuft. Insbesondere utilitaristische Konzeptionen vertreten diese Ansicht.“ (Körtner 21) Auf die Denkschrift sei deshalb stellvertretend für die christliche Position Bezug genommen, da dort in ausführlicher Weise die unterschiedlichen Begründungen für den Personen- und Schutzstatus des Embryos aufgeführt sind. An der Geltung hat sich bis heute nichts geändert: In einer Pressemeldung der Deutschen Bischofskonferenz vom 13.04.18 weist Kardinal Marx den Embryonenschutz als kontinuierliche Aufgabe der „seit 1989 gemeinsam bestehende Grundbotschaft der katholischen und evangelischen Kirche“ aus. Und diese Grundbotschaft sieht „keinen Grund, die Aussagen über Gottebenbildlichkeit bzw. Würde des Menschen nicht auch auf das vorgeburtliche menschliche Leben zu beziehen oder ihm den Anspruch gleichen Schutzes wie für das geborene Leben zu verweigern“ (Gott ist ein Freund des Lebens 44).

Fazit

Mit Sorgner mag zunächst auch ein christliches Menschenbild darin übereinstimmen, dass es nicht auf Zukunfts- und Technikverweigerung, sondern auf Gestaltung ankommt. Dass der Mensch sich selbst zu gestalten habe, gehört dabei zu einer theologischen Wesensaussage, die Karl Rahner schon 1966 hellsichtig auf den Punkt gebracht hat.

Karl Rahner © Jesromtel, CC BY 3.0


„Und in dieser Welt wird der Mensch in einem früher ungeahnten und unpraktikablen Ausmaß der Mensch sein, der als Einzelner und als Gesellschaft sich selbst plant, steuert, manipuliert. … Er muss der operable Mensch sein wollen, wenn auch Ausmaß und gerechte Weise dieser Selbstmanipulation noch weithin dunkel sind“ (Rahner 268)

Es gibt also kein kategorisches Verbot, in eine wie auch immer zu verstehende gottgegebene, und damit festgelegte, Natur des Menschen einzugreifen. Im Gegenteil: Selbstmanipulation ist geboten! Es kommt allerdings sehr auf die Ziele und Mittel an.
So gibt es durchaus Theologen, für die ein moderater „Transhumanismus eine vernünftige moralische Forderung“ darstellt (Göcke 149; siehe Göckes Beitrag in diesem Forum). Die Zustimmung ruht aber auf bestimmten Voraussetzungen. So müsse man davon ausgehen können, „dass das Ziel moralischen Handelns in der maximalen Steigerung des Wohlbefindens besteht“ und „dass die Autonomie und Freiheit des Menschen durch den Einsatz moderner Technologien nicht beeinträchtigt wird“ (Göcke 149). Die Besprechung hat jedoch gezeigt, dass beide Voraussetzungen bei Sorgner nur unzureichend erfüllt sind. Sorgners Welt- und Menschenbild zu sind mir zu technikoptimistisch (und naturalistisch), als dass diejenigen Dimensionen zur Geltung kommen könnten, die nach christlichem Verständnis gelingendes Menschsein in individueller als auch sozialer Hinsicht ausmachen. Insofern sind an verschiedenen Stellen Ergänzungen und Widersprüche angemeldet worden:

  • Die Analogie von Gentechnik und Erziehung überzeugt nicht und legitimiert damit nicht die Anwendung der Gentechnik
  • Der Zwang zur Anwendung unterminiert Autonomie und Freiheit des Menschen
  • Kommerzialisierung kann Schutzrechte in den Hintergrund drängen
  • Optimierung macht Kinder zu Machwerken
  • Ein Optimierungskalkül kollidiert mit dem Prinzip der Un-Verrechenbarkeit
  • Verletzlichkeit wird nur negativ als zu überwindende verstanden und nicht in ihrer notwendigen, humanisierenden Dimension
  • Die Analogie von Hirntod und Zygote greift nicht und taugt damit nicht zur Bestreitung der Schutzwürdigkeit von Zygote und Embryo
  • Mangels Schutzstatus erfahren Embryonen keine unbedingte Annahme, sondern allenfalls – wenn überhaupt – eine Anerkennung unter Vorbehalt
  • Die Analogie von Partnerwahl und Selektion funktioniert nur in naturalistischer Sicht und taugt nicht zur Rechtfertigung von Selektion
  • Die Identifizierung von Altern mit Krankheit erschwert die Akzeptanz von Gebrechlichkeit, Tod und Unverfügbarkeit
  • Die Trennung von Mensch- und Personsein als entscheidender Schritt zum neuen Menschen ist mit einem christlich fundierten Begriff der Menschenwürde unvereinbar

Insofern bekenne ich mich eher zu einem „Bewahrer des alten Menschen“ als zum Protagonisten des schönen neuen Menschen, da ich mit Gründen daran zweifle, dass „der schöne neue Mensch … keine Gefahr [ist], sondern ein proaktiver, dynamischer und pluralistischer Ansatz, um Menschen zu ermöglichen, auf idiosynkratische Weise die Fülle des Lebens erfahren zu können“ (8).

Literatur

Benedikt Paul Göcke: Designobjekt Mensch?! Ein Diskursbeitrag über die Probleme und Chancen transhumanistischer Menschenoptimierung. In: Ders. / Frank Meier-Hamidi (Hgg.): Designobjekt Mensch : Die Agenda des Transhumanismus auf dem Prüfstand. Herder : Freiburg u.a. 2018, 117-149. Siehe den Beitrag Göckes in diesem Forum.
Gott ist ein Freund des Lebens, hg. v.  Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Trier : Paulinus 2000
Hille Haker: Eine neue Ethik der Elternschaft. In: Herder Korrespondenz 71, 2017, Heft Spezial 1, 48-51
Yuval Noah Harari: Homo Deus : Eine Geschichte von Morgen. München : Beck 2017
Hildegund Keul: Der interdisziplinäre Vulnerabilitätsdiskurs. Online 2016
Marcus Knaup: Rez. zu Stefan Lorenz Sorgner: Transhumanismus. Freiburg : Herder 2016. In Philosophischer Literaturanzeiger 70, 2017, H. 1, 30-35
Ulrich H. J. Körtner u. a.: Verantwortung für das Leben : Eine evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin. Wien : Evangelischer Presseverband in Österreich 2001
Ralf Lutz: Charakter und Funktion von Altersutopien. In: Hans-Jörg Ehni (Hg.): Altersutopien. Frankfurt a. M. : Campus 2018
Dietmar Mieth: Genetische Frühselektion – In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In: Stimmen der Zeit 135, 2010, 663-672 (U. a. zur Diskussion um Peter Singer)
Günter Rager: Gibt es Grenzen in der frühen Entwicklung des Menschen? Online 2016
Karl Rahner: Experiment Mensch : Theologisches über die Selbstmanipulation des Menschen. In: Ders.: Schriften zur Theologie, Bd. VIII, Einsiedeln : Benziger 1967, 260-285 (Erstveröffentlichung des Beitrags 1966)
Eberhard Schockenhoff: Designer-Babys ‚totalitäre‘ Vorstellung. Interview in Ausgabe 2/2016 des Christlichen Medienmagazins pro
Sorgner 2013 in: Pro und Contra: Sollen wir das Altern bekämpfen? Online 2013
Eckart Voland: Grundriss der Soziobiologie. 2. Aufl. Heidelberg : Spektrum 2000

Einstiegsvorträge zu KI und Transhumanismus

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Fachtagung zum Transhumanismus

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