Vorboten der Menschenzüchtung – Die chinesischen CRISPR-Zwillinge

Der Freiburger Genexperte Toni Cathomen und Bischof Fürst sind sich einig: Eingriffe in die Keimbahn, wie sie bei den chinesischen CRISPR-Zwillingen vorgenommen worden sein sollen, und auf Perfektionierung angelegte Menschenzüchtung sind unethisch. Die von Cathomen vorgeschlagene Alternative, Eltern über die Präimplantationsdiagnostik zu gesunden Kindern zu verhelfen, ist für Fürst allerdings ebensowenig tragbar, sofern hierbei Embryonen vernichtet werden. Die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens markierte denn auch einen zentralen Dissens zwischen Forscher und Bischof.

Anders als die Keimbahnveränderung will Bischof Fürst somatische CRISPR/Cas Anwendungen nicht kategorisch ausschließen. Hier sei eine Risikoabwägung anzustellen, wie sie heute aber auch – so Cathomen – obligatorisch ist.

In ihrem Streben nach Gesundheit, Glück und Macht werden die Menschen ganz allmählich zuerst eines ihrer Merkmale, dann noch eines und noch eines verändern, bis sie schließlich keine Menschen mehr sind. (Yuval Noah Harari)

Der Geschichtswissenschaftler Yuval Noah Harari beschreibt den Weg vom herkömmlich gezeugten zum gentechnisch perfektionierten Menschen als schleichenden Prozess, an dessen Ende die Überwindung des Menschen in seiner jetzigen Form stehe. Bisher galt das als Science-fiction. Doch seit dem 26. November 2018 könnte dieser schleichende Prozess in der Realität angekommen sein. An diesem Tag erklärte der chinesische Genetiker He Jiankui über YouTube, erstmals seien gentechnisch veränderte Zwillinge geboren worden. Seit diesem Tag ist ein wissenschaftlich und ethisch hochbrisantes Thema in der Welt, das den einen Angst einjagt und andere vom „schönen neuen Menschen“ (so ein Buchtitel des Philosophen Stefan Lorenz Sorgner) träumen lässt.  Von beidem solle man sich nicht leiten lassen, sagte  Heinz-Hermann Peitz, Leiter des Fachbereichs Naturwissenschaft – Theologie an der Akademie der Diözese. Es gehe vielmehr um einen nüchternen Blick auf Chancen und Bedrohungen der so genannten CRISPR/Cas9-Methode.

Die Genschere hat riesige Potenziale

In Professor Dr. Toni Cathomen lernten die zahlreichen Zuhörenden – darunter ungewöhnlich viele junge Leute – einen hoch kompetenten und ausgesprochen differenziert argumentierenden Wissenschaftler kennen. Der Professor für Zell- und Gentherapie an der Medizinischen Fakultät der Freiburger Universität ist ein Pionier der therapeutischen Anwendung von Gen-Scheren beim Menschen. Mit den Worten „das ist ein tolles Werkzeug“,  zeigte er sich begeistert von dem neuen Instrument und verdeutlichte die damit verbundene Dynamik in Wissenschaft und Wirtschaft: „2012 gab es eine wissenschaftliche Publikation zu dem Thema, 2018 waren es bereits 5000“, sagte er. Der Marktwert habe rasant eine zweistellige Milliarden-Dollar-Zone erreicht.  „Das zeigt, wie stark dieses Werkzeug ist und wie einfach und schnell es einzusetzen ist“, sagte Cathomen; vor allem für die Grundlagenforschung sei es fruchtbar. Die gentechnischen Einsatzmöglichkeiten zeitigten sehr schnelle und große Erfolge. „Viele Labore und Mediziner haben es in Therapien umgesetzt; Unternehmen nehmen sehr viel Geld in die Hand für die Entwicklung neuer Therapien.
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Gleichwohl lehnt Cathomen entschieden ab, CRISPR-Babys damit zu produzieren. „Das ist in höchsten Maße unethisch“ bewertete er den Fall aus China. Es gebe 3,27 Milliarden Basenpaare im Erbgut eines jeden Menschen; 99,9 Prozent davon seien identisch. Gleichwohl bestünden drei Millionen natürliche Variationen, die die Menschen unterschiedlich machen. Gendefekte herauszufinden sei deshalb sehr schwierig.  Es gebe bereits die Möglichkeit, mit Hilfe eines Gentransfers ins Auge Blindheit, mit Gentransfer in die Leber die Bluterkrankheit und mit Stammzellen bestimmte Hautkrankheiten oder Tumore zu therapieren.
Bei diesen Therapien entfernt die Genschere fehlerhafte Partien und ersetzt sie durch gesunde Sequenzen. Schlechte Genscheren seien allerdings ungenau und produzierten so neue Krankheiten.
Unethisch sei der Fall der chinesischen Zwillinge auch deshalb, weil die behauptete Absicht, die Kinder eines HIV-positiven Vaters und einer HIV-negativen Mutter HIV-resistent zu machen, auch ohne einen Eingriff ins Erbgut mit konventioneller Medizin erreicht worden wäre.  Angesichts dessen sei nicht zu verantworten, dass die Babys einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt werden. Es sei nicht überprüfbar, ob es Fehlschnitte gegeben habe und ob alle Zellen erfasst worden seien. Die Genmanipulation würde zudem irreversibel alle Nachkommen der Zwillinge betreffen.

Bischof Fürst: Dammbruch im Selbstverständnis des Menschen

Bischof Dr. Gebhard Fürst verstärkte die Kritik an dem Vorgehen des chinesischen Forschers mit philosophisch-theologischen Argumenten. Es sei „ein Dammbruch im Selbstverständnis des Menschen“, wenn man „irreversibel in den Bauplan des Menschen“ eingreife. Er verurteilte, dass der Wissenschaftler „Gott spiele“ und forderte, Christen müssten in ethisch-politische Debatten eingreifen und Einfluss nehmen. Der Menschenversuch in China verletze wissenschaftliche Standards, weil heimlich, ohne Risikoabschätzung und ohne die Einbeziehung einer Ethikkommission vorgegangen worden sei. „Das verletzt die Menschenwürde massiv“, sagte Fürst. Im Hinblick auf die Risikoabschätzung gebe es keinerlei gesicherte Erkenntnis, aber generationsübergreifende Konsequenzen für alle Nachkommen der Babys. „Das ist höchst unverantwortlich“.
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Hinter dem Vorgehen steckt nach Fürsts Überzeugung die Idee des perfekten Menschen, dabei gehe es aber nicht um Fortschritte in Können und Wissen, sondern um Grenzenlosigkeit. Was einen Menschen „perfekt“ macht, sei nicht objektiv; denn was als perfekt angesehen werde, sei von unterschiedlichen Wertvorstellungen geprägt. „Reproduktion wird damit total individualisiert, der Mensch wird nach einem Baukastensystem zusammengesetzt.“ Bischof Fürst sieht darin eine große Gefahr von Rassismus; schon jetzt gebe es in der Reproduktionsmedizin etwa in den USA ganz erhebliche Marktunterschiede. „Das Geld schafft Klassen“, warnte Fürst, „es gibt dann die Validen und die Invaliden“.

Genforscher Cathomen plädiert für Präimplantationsdiagnostik

Auch aus Gründen des Lebensschutzes wandte sich Fürst gegen Genmanipulationen bei Zygote und Embryo. Die Verschmelzung von Ei und Samen erzeuge keinen Zellhaufen. Es sei menschliches Leben von Beginn an, weil es mit sich selber identisch bleibe und irreversibel sei. Deshalb gelte die Menschenwürde von Anfang an.
In diesem Punkt gab es einen klaren Dissens zwischen Forscher und Theologe. Cathomen plädierte für die Präimplantationsdiagnostik, um Eltern mit schweren Erbkrankheiten zu einem gesunden Kind zu verhelfen. Cathomen sprach sich dafür aus, die Chancen von 1:4 für ein gesundes Kind im 8-Zell-Stadium nicht verstreichen zu lassen – zumal es klare Vorgaben für das Vorgehen gebe. Auf Nachfrage äußerte sich Cathomen allerdings kritisch zum Thema „Helferbaby“. Ein Kind nur zu dem Zwecke zu zeugen, um einem kranken Geschwisterkind zu helfen, sei ethisch nicht zu rechtfertigen, sagte er in Übereinstimmung mit Fürst, weil es andere Möglichkeiten gebe zu helfen.

International verbindliche Regeln sind notwendig

Einig waren sich Fürst und Cathomen auch in der Forderung, die Politik müsse klare gesetzliche Regelungen schaffen, um gefährlichen Wildwuchs bei der Genforschung zu unterbinden. Übereinstimmend war freilich auch ihre Skepsis, dass dies weltweit in absehbarer Zeit gelingen könne. Zu unterschiedlich seien die grundlegenden Werte, zu groß die wirtschaftliche Verlockung.
Den gesellschaftlichen Diskurs zu suchen, die Probleme öffentlich zu machen und zu diskutieren, auf welchen Werten basierend die Entwicklung dieser Forschung gesehen werden muss, ist da besonders wichtig. Der Abend in Hohenheim hat hierfür einen guten Beitrag geleistet. (Barbara Thurner-Fromm)
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Fotos © Frank Eppler

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