Die Hoffnung und der Wolf – Vom Tatort-Kommissar zum Wolfsbotschafter

Mittlerweile dürfte es für Andreas Hoppe nervig sein, immer als Ex-Tatort-Kommissar Mario Kopper vorgestellt zu werden. Aber warum sollte man seine Popularität nicht in den Dienst einer guten Sache stellen: dem engagierten Eintreten für das Miteinander von Mensch und Wolf. Genau dieses will das Buch vermitteln, ein Buch, das ausdrücklich als „autobiografisch“ gekennzeichnet ist. Es ist also kein Sach- oder Fachbuch im engeren Sinn, sondern eher ein Erlebnis- und Reisebericht, der aber durch die lebendig geschilderten Begegnungen mit wissenden, weisen und empathischen Zeugen einer Naturbeziehung auch eine Fülle von Sachinformationen bietet – nicht zuletzt durch die verschiedentlich eingestreuten fachlichen Exkurse und Gastbeiträge.

Wie alles begann …

„Das Heulen der Wölfe bei der kleinen Blockhütte am großen See, ihren Anblick und den gefundenen Elchriss habe ich nie mehr vergessen“ (28). Man wird es eine Art naturmystische  Erfahrung nennen können, die Hoppe mit den Wölfen und der kanadischen Wildnis insgesamt als Glück „im Jetzt und Hier“, als „Nachhausekommen“ (27) und „persönliche Initiation“ (28) erleben durfte. Sie habe sein „Leben verändert und beeinflusst, bis heute“ (28), derart, dass es „ein Zurück in den Andreas ‚davor'“ (27) nicht gibt. Er erfuhr und erfährt diese „magischen Quellen“ als Gegenwelt zu unserem urbanen Alltag der „gehetzten und genervten, müden Zivilisationsgesichter“ (28). Rückblickend kann Hoppe sagen: „Mein Engagement für Natur und Umwelt, mein Einsatz für den Erhalt der Artenvielfalt gründet sich in dieser Zeit“.

… und die Visionen für morgen

Hoppe weiß, dass Deutschland nicht Kanada ist, sondern vor allem Kulturland. Vielleicht gerade deshalb geht es auch hier darum, die durch stetes Wirtschaftswachstum immer mehr bedrohte Natur und die auch durch die Wiedervereinigung neu zugänglich gewordene natürliche Vielfalt angemessen zu erhalten. Hoppe hat dabei den Eindruck, „dass wenige Menschen diesen Reichtum schätzen und respektvoll damit umgehen können“. Darum: „Begeisterung für die Natur und ihre Bedeutung“ zu vermitteln, „das sehe ich als meine Aufgabe – und den Wolf mittendrin“ (30)
Hoppe geht es zwar primär, aber nicht ausschließlich um den Wolf, der „stellvertretend steht für unseren Umgang mit der Natur, unserer Erde und der erweiterten und vom Menschen weitgehend unbeeinflussten Natur, der Wildnis“ (17). Entsprechend war für Hoppe „das Unter-Schutz-Stellen des Wolfes … eine Hoffnung – auf einen verantwortungsvollen Umgang mit einer erweiterten, autonomen Natur in unserer Heimat. Eine Entwicklung hin zu einer Balance der Natur und ihrer Kräfte, getragen von Respekt und Hoffnung“ (17-19). Damit macht das Zusammen von “Wolf” und “Hoffnung” im Titel des Buches gespannt auf die Stimmen, „die mir Informationen und Nahrung für meine Sehnsucht und Hoffnung geschenkt haben“ (22).

Interessenkonflikt: Wolf oder Weidetiere?

Bei allem Engagement für Wolf und Wildnis nimmt Hoppe die Perspektive der durch den Wolf potenziell bedrohten Nutz- und Weidetierhaltung durchaus ernst. Mit dem Besuch beim Rinderzüchter Swen Keller zeigt Hoppe den Zielkonflikt: Die Umstellung auf tierfreundliche Freilandhaltung drohte durch die erfolgten Wolfsrisse wieder rückgängig gemacht zu werden (69) – Wolfsschutz versus artgerechte Haltung? Das Beispiel Swen Keller hat nicht zufällig Eingang in Hoppes Buch gefunden, gehört es doch zu den „ermutigenden Erfahrungsberiche[n]“ (71), bei denen mit vereinten Kräften die Sicherung der Herde gelingen und der Zielkonflikt aufgelöst werden konnte. Die Kombination von Elektrozaun und Herdenschutzhunden war hier erfolgreich. Hoppes Bilanz, dass „dieses Herdenschutzprojekt … also zu funktionieren“ (71) scheint, hört sich nach Patentrezept an. Aber ist dieser gelungene Einzelfall übertragbar?
Hoppe selbst kennt und benennt eine der Grenzen der Übertragbarkeit. Sein nächster Besuch führt ihn nämlich in die Oranienbaumer Heide und stellt klar: „Hier in der Heide ist der Einsatz eines wolfsabweisenden Zauns oder von Herdenschutzhunden … nicht möglich“ (92). Selbst wenn die ungeheure Größe der Weidefläche umzäunt werden könnte, wäre die Funktion nicht sichergestellt: Wenn nachwachsende Pflanzen die untere, wichtige, stromführende Litze des Zauns berühren, macht der entstehende Kurzschluss die Wolfsabwehr unbrauchbar (92). Dies dürfte auch die Wanderschäferei betreffen, die ebenfalls nicht in gleicher Weise eingezäunt werden kann.

Konikpferde und Heckrinder in der Oranienbaumer Heide © H.-U. Küenle [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Der Exkurs des NABU ringt ebenfalls um die „Koexistenz der für den Naturschutz so wichtigen Weidetierhaltung und des Wolfes“ (180). Für ihn hat „die traditionelle Schäferei … über Jahrtausende … einmalige Kulturlandschaften geschaffen“, und „ohne eine zukunftsfähige Schäferei können diese wertvollen Landschaften nicht erhalten werden“ (180). Bei der ohnehin bestehenden Krise der Schäfereibetriebe können „die Rückkehr des Wolfes und der mit dem Herdenschutz verbundene Mehraufwand … der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“ (182). Der NABU fordert daher angemessene Fördermaßnahmen, damit „der wichtige Beitrag, den diese Berufsgruppen zum Erhalt unserer Ökosysteme leisten, insgesamt angemessen entlohnt wird“ (182).

Zum Abschuss freigegeben? Die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Dass „die Förderung von Präventionsmaßnahmen, also zum Beispiel der Kauf von Herdenschutzzäunen … der beste Schutz gegen Übergriffe auf Weidetiere“ (61) ist und verbessert werden soll, sieht nicht nur der Nabu so, sondern – im Gespräch mit Hoppe – auch Staatssekretär Jochen Flasbarth im Umweltministerium. Die bange Frage nach einer möglichen Lockerung des Naturschutzes führte Hoppe in die Welt der Politik, die ihm aber versichert, dass die Neuregelung „keinen Freibrief zum Abschuss“, sondern nach wie vor „Ausnahmeanträge für eine Entnahme“ (sprich: Abschuss) vorsehe. Flasbarth klingt anscheinend glaubwürdig, und Hoppe gewinnt „einen Hauch von Vertrauen in das politische Handeln zurück“ (60).
Wer sich einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, findet ab Seite 78 den Änderungsentwurf des Gesetzes; etwas verwirrend, dass er nicht direkt dem Besuch im Umweltministerium folgt, sondern erst ein Kapitel später.

Bekämpfen oder integrieren? Franz von Assisis Umgang mit dem Wolf

Franz von Assisi instruiert den Wolf (Carl Weidemeyer, 1911; public domain)


Auf der Suche nach den historischen Wurzeln der Angst vor dem Wolf stößt Hoppe auf zahlreiche Märchen und Legenden, in denen der Wolf als „das furchtbarste Wesen der Welt … als das schrecklichste und hässlichste Tier aller Zeiten“ (135) beschrieben wird und die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben. Aber Hoppe findet auch dies: Die Legende des hl. Franz von Assisi und dem Wolf von Gubbio (138f.). Auch hier wird der Wolf zunächst als menschenmordendes, schreckliches „Untier“ mit einem Hunger von „grimmiger Wildheit“ beschrieben, dem man außerhalb der Stadtmauern nur mit Waffen hatte begegnen können. Dann aber geschieht durch Franz die wundersame Wende: Der Feind wird zum Freund, man spricht von „Bruder Wolf“, und nach Jahren friedlicher Koexistenz waren „die Bürgersleute … über seinen Tod sehr traurig“ (139).
Wie hat Franz die Wende bewirkt? Der heilige Franziskus, Vorbild und Modell für heute? Hoppe jedenfalls entdeckt „spannende Akzente zu meinem Thema und mögliche Übertragungen“ (136), wie sie z. B. in der psychologisierenden Interpretation durch Prof. P. Dr. Ludger Ägidius Schulte OFMCap deutlich werden. Schultes Interpretation der Legende kommt unter dem Titel „Der Angst gegenübertreten“ (140-147) zu dem Schluss: „Angst gehört zu unserem Leben“, aber: „Anstatt etwas zu bekämpfen und auszurotten, ist es immer besser, etwas anzuschauen und auf Augenhöhe zu kommen, es in mein Leben hineinzunehmen und nach seinem Sinn zu fragen“ (147). Der Transfer ins Heute liegt auf der Hand und unterstützt das Anliegen Hoppes und des vorliegenden Buches, „Bruder Wolf“ mit Respekt statt mit Feindschaft zu begegnen.

Fazit

Es hat mir einfach Freude bereitet, in dieser reich bebilderten Sammlung von Begegnungen, Geschichten und Informationen zu schmökern. In jeder Erzählung begegnet Hoppes Respekt vor den Wölfen und seine Liebe zur Natur – glaubwürdig und ansteckend. Ich habe nicht wenig Lust bekommen, die Orte, von denen Hoppe so lebendig zu erzählen weiß, selbst kennen zu lernen. Nun, Kanada ist weit, die Oranienbaumer Heide oder das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin aber liegen in der Nachbarschaft – gehören zu unserer Heimat, die nun auch zur Heimat der Wölfe geworden ist. Als Wolfsbotschafter des NABU ist Hoppes Standpunkt transparent, aber nicht missionarisch; er nimmt gleichzeitig die Konflikte ernst, die mit der zunehmenden Verbreitung des Wolfes aufgekommen und längst nicht bewältigt sind. Wer sich auf das Thema Wolf auf narrative Weise einstimmen möchte, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.
Er sollte sich indes nicht davon abschrecken lassen, dass manche Passagen recht weitschweifig das Hauptthema umrunden. Hoppe selbst gibt an einer Stelle zu: „Manch einer wird sich fragen, was das denn mit unseren Wölfen zu tun hat“ (157). Mich hat es nirgends wirklich gestört, weitschweifig muss ja nicht langweilig sein.
Hilfreich wären allerdings eine qualifizierte Literatur- und Linkliste gewesen, die die neugierig gewordenen LeserInnen zur Vertiefung eingeladen hätte. Ein wenig erfüllt der Nabu-Link diese Funktion.
Eine kurze Nebenbemerkung zu Franziskus und dem Wolf von Gubbio: Offenbar hat sich Pater Schulte durch eine bereits 2001 veröffentlichte Predigt zum „Wolf von Gubbio“ von Prof. Dr. Josef Imbach anregen lassen, Teile davon wörtlich übernommen (ein Schelm, wer Böses dabei denkt 😉 ), aber auf das Thema Angst, wie oben ausgeführt, umgeleitet.
Der Vollständigkeit halber sei aber auch Imbachs interessante Interpretation angedeutet:

Konflikte sind unvermeidbar. Sie entstehen im privaten Leben und im öffentlichen Bereich. Mauern sind schnell errichtet, die Waffen leicht zur Hand. Im Grunde hat man dann nur die Wahl zwischen dem Gleichgewicht der Kräfte und dem Schwergewicht des Vertrauens. Wer auf Letzteres setzt, kommt nicht darum herum, den ersten Schritt zu tun. Das gelingt wohl nur, wenn man selbst im Gegner und in der Feindin den Bruder oder die Schwester sieht. (Imbach 2001)

Wie auch immer, es bleibt dabei: Wer sich auf das Thema Wolf niederschwellig einstimmen möchte, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.
Heinz-Hermann Peitz

Related Blogs