Das Universum – Wissen und Staunen

„Die Vermittlung zwischen den Wahrnehmungsebenen von Naturwissenschaft und Religion ist wohl das größte geistige Abenteuer unserer Zeit.“ (176) Diese Einschätzung des Astrophysikers Arnold Benz dürfte auf forum-grenzfragen, das sich genau diesem Abenteuer verschrieben hat, auf mannigfache Zustimmung stoßen. In systematischer Weise hat Benz dies übrigens unter dem Titel „Kreatives Universum“ bei einer Tagung entfaltet. An dieser Stelle aber lassen wir uns vom Bildband ein Stück weit mitnehmen auf die abenteuerliche Reise ins nahe und ferne Universum, bei der Benz uns eine Vermittlung von astrophysikalischen Erkenntnissen und religiöser Erfahrung vor Augen führt.

Staunen als Brücke

Eine erste Antwort darauf, was uns als Vermittlung erwartet, gibt bereits das Vorwort der Theologin Ruth Wiesenberg Benz, die Zitate aus veröffentlichten und unveröffentlichten Texten ihres Mannes zusammengetragen und neben die beeindruckenden Bilder gestellt hat, die von Arnold Benz beigesteuert wurden. Diese „Collage“ ist also kein systematisches Fachbuch über Naturwissenschaft und Glaube, sondern „ein Buch, in dem sich die beiden Ebenen im Staunen begegnen“ (4). Zwar könne „die Existenz eines Gottes weder bewiesen noch widerlegt werden“, wichtig sei aber „das intuitive Erahnen, dass unsere Welt und unsere Existenz nicht selbstverständlich sind“ (4).
Das Staunen spielt auch im weiteren Verlauf des Buches eine zentrale Rolle bei der Vermittlung. So lasse man sich – nun in den Worten von Arnold Benz – „im Staunen … auf die Wirklichkeit ein und nimmt sie als nicht selbstverständlich wahr“. Mehr noch: Kosmische Erkenntnisse und Schöpfungsvorstellungen „begegnen sich neben anderem im Staunen“ (170). Denn „Rationalität behindert das Staunen nicht“ (50). Bei aller Rationalität bleibt aber „in der Welt immer ein Geheimnis“ (172), da wir uns letztlich in einem logischen Zirkel bewegen: „Wenn wir über das Universum nachdenken, denkt das Universum über sich selbst nach“ (172). Das „Ignoramus et Ignorabimus“ von Du Bois-Reymond lässt grüßen. Auch angesichts dieses unüberwindbaren Geheimnisses, der Grenze des Ignorabimus, die „nie verschwinden“ (60) wird, bleibt Benz theologisch zurückhaltend, wenngleich er vorsichtig fragt, ob dieses Geheimnis „mit den Geheimnissen meines Bewusstseins und meines Lebens zu tun hat“ (172).

Wissenslücken und co.: Brücken, die nicht tragen

An anderer Stelle konstatiert Benz: „Je genauer die Naturwissenschaften die Wirklichkeit untersuchen, desto rätselhafter erscheint sie“ (18). Auch das mag zum Staunen führen, kann aber nicht direkt theologisch ausgeschlachtet werden: „Rätsel sind keine Fingerabdrücke eines Schöpfers, denn diese Rätsel lassen sich im Prinzip lösen. Unerklärtes ist kein zwingender Hinweis auf einen Plan“ (18), und einen „Lückenbüßer-Gott braucht es nicht“ (20). Es gebe zwar viele Wissenslücken, „aber diese Lücken und Grenzen liegen innerhalb der von der Physik erforschten Natur. Sie sind keine Indizien für Gott“ (60).
Ebensowenig sind „Kreativität des Universums, Zeit und Feinabstimmung … als Gottesbeweise“ oder „als handfeste Fingerabdrücke des Schöpfers zu verstehen“ (22). Auch Gott im oder vor dem Urknall zu suchen, erscheint Benz „aussichtslos“ (18), die „religiöse Erklärung des Urknalls eine theologisch falsche Spur“ (96). Für Benz „ist klar, dass die Schöpfung nicht an den Anfang des Universums gebunden sein kann“, sondern als „creatio continua“ zu verstehen ist, als „fortgesetzte Schöpfungstätigkeit Gottes … in der Zeit und im Heute“ (122).
Auch der Zufall gebe theologisch nichts her, er „kann nicht etwa als Riss in der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit betrachtet werden, durch den wir direkt den souverän handelnden Gott schimmern sehen“ (64). Und selbst wenn man die Entstehung der Komplexität des menschlichen Bewusstseins in Betracht zieht, „passt die Metapher des Plans oder ‚Designs‘ nicht zur kosmischen Entwicklungsgeschichte mit den ungeheuren Katastrophen, Sackgassen und unermesslich verschwenderischen Fehlentwicklungen“ (40).
Deismus, Kreationismus, Intelligent Design und vorschnellen Harmonisierungen ist damit eine Absage erteilt, denn „Glaube und Naturwissenschaft bewegen sich auf verschiedenen Ebenen, die sich nicht schneiden“ (24). Allgemein gesprochen: „Der Versuch, von der Natur auf Gott zu schließen, musste fehlschlagen, weil Gott und die naturwissenschaftliche Wirklichkeit auf verschiedenen Ebenen liegen“ (93).

Ikonen der Schöpfung und teilnehmendes Wahrnehmen

Ein beziehungsloses Nebeneinander ist damit aber nicht ausgesagt, Beziehung gibt es eher „von einer übergeordneten Warte aus“ (24). Statt von „Beweisen“, „Schlüssen aus der Natur“ oder „Fingerabdrücken“ spricht Benz lieber von „Ikonen“. Für gläubige Menschen können – so Benz – astrophysikalische Erkenntnisse „transparent für das Göttliche werden“, sie weisen „wie Ikonen auf Schöpfung hin“ (22). Was Benz mit „Ikone“ meint, wird deutlich, wenn er auf die Bibel zu sprechen kommt. Denn diese sei ebenfalls eine „Ikone, die als Gemälde nicht heilig ist, an der aber das Heilige wahrnehmbar wird. Es leuchtet auf, wenn man sich darauf einlässt und daran teilnimmt“ (104).
Es geht also nicht um distanziertes Beweisen oder objektives Schließen, sondern eher um „ein teilnehmendes Wahrnehmen, in das der Mensch involviert ist“. Dazu braucht es „ein Wollen, sich auf diese Art von Wahrnehmung einzulassen“, bis es zum „Mitschwingen“ (89) kommen kann. Eine solche teilnehmende Wahrnehmung kann wieder das Staunen sein, in dem man „eine subjektive Beziehung zu den Objekten“ (108) eingeht. Dies sei „genauso ernst zu nehmen wie die objektive Wahrnehmung der Naturwissenschaft. Entscheidend sind hier die existenziellen Erfahrungen der Menschen. Sie sind der Grund für die Religion, und nicht das Nichtwissen oder die Lücken der Naturwissenschaft“ (90).
Dies ist keine Extrapolation naturwissenschaftlichen Wissens, sondern Deutung. „Durch Deuten können Fakten in einen Sinnzusammenhang eingeordnet werden“ (144). Fakten legen Deutungen aber nicht fest, „es sind verschiedene Deutungen möglich“. So gibt es zwei Alternativen: Man kann „die Situation der Menschheit als Geworfensein“ deuten, oder aber „als Geschenk“ (144).

Schöpfung als Geschenkerfahrung

Wenn man Staunen zu und teilnehmendes Wahrnehmen ernst nimmt, kann es zur zweiten Alternative, zu einer Schöpfungserfahrung kommen. Benz versteht darunter „Momente im Leben, in denen uns staunend die Augen aufgehen, dass uns etwas Lebenswichtiges gegeben ist, das wir nicht selbst bewirken können und doch notwendig ist für unsere Existenz. Diese Geschenkerfahung ist der Sitz im Leben der Schöpfungsidee“. Und „in der Metapher des Geschenks wird der Schenkende zu einer Person“ (130).
Auf der Ebene der Deutung bietet Benz ein weiteres Deutungsmuster an, das bei den Naturwissenschaften einen Resonanzboden hat: „Das Entstehen von Neuem ist ein Muster auf der Ebene der Naturwissenschaften“ (115). Das Neue hat indes einen Preis und eine Gegenseite, den Zerfall. Aber auch dies lässt sich in den aufgespannten Sinnhorizont integrieren: „Die Evolution – naturwissenschaftlich gesehen eine Folge von Katastrophen und Gräueln – könnte man deuten mit dem Muster von Tod und Auferstehung, den grundlegenden christlichen Schöpfungsparadigma von Zerfall und Neuem“ (115). Benz hebt hervor: „Es gibt keinen Plan oder Design des Universums, aber ein Muster, das sich ständig wiederholt: Zerfall von Altem und Entstehen von Neuem. Das Muster ist im Beispiel von Karfreitag und Ostern erkenntlich und überall zu entdecken“ (116). Das Karfreitag-Ostern-Geschehen wird bei Benz nicht als einzigartig, sondern als exemplarisch (116) verstanden, „als Muster, in dessen Licht die Entwicklung des Universums in Vergangenheit und Zukunft zur Schöpfungsgeschichte wird … Gott handelte nicht nur am Anfang, auch in der Gegenwart und Zukunft entsteht überraschend unerwartet Neues, noch nie Dagewesenes. Diese Art von Schöpfung kann auch im menschlichen Leben wahrgenommen werden“ (142).
An Schöpfung glauben bedeutet deshalb, „die Entwicklung des Universums in guter Hand zu wissen“ (148) – analog zur Hoffnung, „dass der Tod nicht das letzte Wort sein wird, so wenig wie Karfreitag der Schlusspunkt war“ (156). Dass diese Entwicklung weiterhin Fülle hervorbringt und nicht abbricht, kann ich erhoffen, ich darf darüber staunen, muss aber auch „das Meine dazu beitragen“ (160).

Fazit

Auch wenn die Analogie zum Karfreitag-Ostern-Geschehen manchem als zu gewagt erscheinen mag, wird man das Buch mit Gewinn lesen. Mich hat die saubere Trennung (und Würdigung) der beiden Zugangsweisen zur Wirklichkeit, die Abweisung unzulänglicher Schöpfungsvorstellungen und nicht tragfähiger Harmonisierungen inkl. theologischer Vereinnahmungen, sowie die Brücke über das Staunen und die Erfahrung der Geschenkhaftigkeit meiner Existenz wissenschaftstheoretisch und theologisch überzeugt. Da das Buch nicht den Anspruch einer durchgehenden Systematik hat, lädt es eher ein zum Schmökern, zum meditativen Innehalten und zum Einnehmen vielleicht ungewohnter Perspektiven auf das Universum und das eigene Leben. Wer weiterfragen und vertiefen möchte, kann über die Textnachweise der Zitate die Originalquellen finden. Dies ist allerdings etwas umständlich gestaltet, da die Textnachweise nur mit Abkürzungen arbeiten, die man immer wieder umständlich auflösen muss.
Für jeden, der kein systematisches Sachbuch erwartet, sondern sich durch eine hervorragend ausgewählte Zitatensammlung meditativ anregen lassen möchte, ist „Das Universum – Wissen und Staunen“ eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

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